Von drauß‘ vom Walde

Klartext: Die Geburtswehen der deutschen Tesla-Fabrik

Proteste in den Straßen, Mädchen in den Bäumen, Feuer in den Foren: Tesla will Elektroautos in Brandenburg bauen. Warum entzürnt das überhaupt so die Gemüter? Ford gehört seit langem zu Deutschland.

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ein historischer Moment in Brandenburg: Ein US-Autohersteller will dort seine Topseller fertigen. Ich weiß nicht genau, wann so etwas das letzte Mal passiert ist. Wie vielen Kollegen fällt mir zunächst nur Ford ein, eine geradezu exemplarische Geschichte transatlantischer Freundschaft und mustergültiger Integration. Ab 1926 fertigte Ford im Deutschen Reich, zuerst in Berlin, ab 1931 dann im eigens neu gebauten Werk in Köln-Niehl.

Ford zog von Anfang an gern den „Deutschland“-Joker, und die Standort-Identität als US-Marke mit Fertigung in Deutschland überlebte das Deutsche Reich und damit den Krieg. Über Fords außerordentlich interessanten Eiertanz mit Hitlers NSDAP diesseits und der Roosevelt-Regierung jenseits des Atlantiks lesen Sie besser anderswo ausführlich. Denn heute geht es um die Integration eines Neuwerks, die zu einigen Protesten führt. „Focht“ gehört heute fest zu Köln. Warum sollte es bei Tesla grundsätzlich anders sein?

BrAAaanndenburg!

Die Begleitumstände: Anno Domini 2020 befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auf einer heiligen Mission zum Vorbildvorreiter in Sachen technologisch orientiertem Klimaschutz. Die Verbraucher zahlen Rekordabgaben auf Haushaltsstrom, um eine deutsche Energiewende zu finanzieren. Zum Gesamtkonzept gehört, lokal emissionsfreie Elektro-PKW zu fördern, denn Strom ist flexibel und der Staat verdient daran. Junge Menschen gehen auf die Straße und prangern an, dass diese politischen Maßnahmen zu wenig sind, zu spät kommen. In diese Situation springt der US-Autohersteller Tesla Motors mit dem Plan, ein Elektroautowerk in Brandenburg zu bauen. Der Applaus fällt angesichts des Gesamtkontexts erstaunlich verhalten aus.

Obwohl viele Menschen in der Region eine neue Wirtschaftskraft sicher befürworten, schenkt die Presse wie immer der lauten Minderheit Rampenlicht. Demonstranten machen sich auf Fotos oder Filmschnipseln eben immer gut, und geschickt gerahmt ist kaum zu sehen, wie viele da eigentlich herumstehen. Es scheint wie beim Windpark zu sein: erst einmal dagegen! Eine Autofabrik verbraucht Wasser und Platz.

Nicht mit uns!

Absurde Waldschutztöne klingen an. Es geht um ein Gebiet von rund 300 Hektar in Grünheide (Freienbrink), das liegt zwischen Berlin und Fürstenwalde. In einem ersten Schritt sollen 91 Hektar davon abgeholzt werden. Die Polizei hat schon die ersten Aktivisten von Baumplattformen gepflückt, obwohl eine Fläche gerodet wird, die Naturschützer eher eine „Kieferplantage“ nennen würden: eine große quasi-Monokultur zur Holzwirtschaft. Das Land Brandenburg hatte den Ort daher als Industriefläche ausgeschrieben.

Hin und her

Das Landesumweltamt hatte Tesla genehmigt, auf eigenes Risiko schon einmal mit der Rodung zu beginnen. Die Umwelt-Organisation „Grüne Liga Brandenburg“ konnte per Eilantrag erreichen, dass dieses als übereilt empfundene Vorgehen nun doch vorerst stillsteht, die normalen Prüfungszeiten einhalten muss. Zitat: „Tesla steht nicht über dem Gesetz.“ Der zuständige Wasserverband Strausberg-Erkner wies von Anfang an auf „umfangreiche und schwerwiegende Probleme mit der Trinkwasserversorgung und Schmutzwasserentsorgung“ hin. Eine werkseigene Grundwasserförderung gefährde die lokale Trinkwasserversorgung. Der Verkehrsclub Deutschland weist darauf hin, dass es sowohl auf den Bahn- als auch den Autobahn-Strecken mehr Verkehr geben wird.

Ford, Porsche, Hitler

Ich möchte die einzelnen Standpunkte gar nicht von Ferne aus bewerten. Das ist Aufgabe der Politik vor Ort. Ich möchte nur anhand der einzelnen Aussagen zeigen, dass Teslas Fabrik wie andere Großprojekte mit vielen Streiten und Kompromissen geboren werden muss. Es geht hier jedoch darum, wie sperrig diese Streite geworden sind, denn es ist durchaus nicht üblich, dass die ganze Nation über einen Investor in einem Bundesland diskutiert, als beträfe es uns alle gleichermaßen. Dem ist ja nicht so. Meine Trinkwasserquellen haben nichts mit denen von Freienbrink zu tun. Und Wirtschaftsanalysten haben schon recht, wenn sie angesichts der Tesla-Investition den alten Spruch zitieren: „Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe.“

Ferdinand, Henry und Adolf

Ich kann mich erinnern, als Porsche in Sachsen investierte. 2002 weihten unter anderem Gerhard Schröder, Georg Milbradt und Wolfgang Tiefensee das Werk Leipzig ein. Wie Tesla heute erhielt Porsche staatliches Fördergeld, auch für die nachfolgenden Zulieferbauten in der weiteren Umgebung. Auch Porsche musste grüne Flächen grau machen. Auch Porsche brauchte Verkehrs-Infrastruktur, Wasser und Strom. Doch als Nachricht taugte der Werksbau bundesweit nur zur Randnotiz im Wirtschaftsteil. Proteste? Nicht wahrnehmbar.

Warum ist das jetzt so anders? These: Tesla hat nur sehr bedingt Zugriff auf die filzigen Seilschaften, die zwischen deutscher Politik und deutscher Autoindustrie liegen. Wenn du (nicht nur) in Deutschland etwas tun willst, dann schlag das Gesetzbuch zu und das Adressbuch auf. Wer kennt wen, der was möglich machen kann? Zack! Kurzer Dienstweg, fertig ist die Laube, die Genehmigung, das Werk. Ohne es genau überprüfen zu können: Glaubt irgendwer, dass dem Porsche-Werk damals weniger Gründe entgegensprachen, um die ganz schnell Umwege gefunden wurden?

Bromance auf höchstökonomischem Niveau

Tesla müsste, sollte, könnte sich an die Brandenburger heran-shmoozen, wie es Ford damals getan hat. Henry Ford unterstützte die NSDAP mit Parteispenden und schenkte Adolf Hitler persönlich zum Geburtstag üblicherweise 50.000 Reichsmark. Im Gegenzug verlieh Hitler Henry Ford den Adlerschild des Deutschen Reiches und das Großkreuz des Deutschen Adlerordens – die höchstmöglichen Auszeichnungen des Deutschen Reiches für Ausländer. Es war eine Bromance auf höchstökonomischem Niveau. Nun denken wir uns hier die Antisemiten vergangener Tage weg und die Kapitalisten unserer Tage hin.

Elon Musk könnte Ministerpräsident Dietmar Woidke zu jedem Geburtstag einen Maßanzug schenken oder ein Model 3 (Test) für den Fahrdienst der Landesregierung. Brandenburg könnte Musk den Landesverdienstorden überreichen, das Kreuz mit dem roten Adler, Brandenburgs höchste Auszeichnung. Und in Grünheide könnte auf Porsche-Art reibungsreduziert eine Autofabrik entstehen, die hundert Jahre untrennbar zur Region gehört – vielleicht irgendwann gar mit EEG-Ausnahmeregelungs-Solaranlage auf dem Dach. Angela Merkel kommt zur Einweihung. Nach dem deutschen Bürgerweltkrieg 2078 erfreuen sich Tesla Brandenburgs Kriegs-Logoplaketten erhöhter Beliebtheit unter Sammlern: „Tesla – Brandenburgisches Erzeugnis“. Die Alternative: weitere hundert Jahre Kiefernplantage.