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Motorradredakteure untereinander sind wie Schüler auf Klassenfahrt

Klartext: Klassenkampffahrten

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Die Auflagen sinken, die Bandagen werden härter geschnürt, die Verlagsoberen keilen gegen die Konkurrenten aus. Doch auf der Ebene der Redakteure geht es zumindest im Motorradbereich sehr freundlich zu

Als ich die Motorradheftewelt nur vom Kiosk kannte, dachte ich immer, die Redakteure stehen sich bei zufälligen Treffen starrend gegenüber in einem Mexican Standoff, in der das erste falsche Wort ein Wortgefecht bis zum Tod durch Mundvertrocknung auslösen kann. Auf diese Idee kommt der Leser, wenn er zwischen den Zeilen die Konkurrenz zwischen Heften liest oder wenn er einen Blick auf die Chefetagen erlangt, auf der die Formulierung „ewige Feindschaft“ angemessen wirkt. Kim Jong-Un spricht freundlicher [1] von anderen Staaten als ein Verlags-Chef von anderen Verlegern. So weit, so erwartet. Wo der Leser mit seiner Einschätzung jedoch falsch liegt, das ist die Ebene der Redakteure, die sich immer wieder auf allen möglichen Terminen treffen. Hier gibt es nicht mehr Feindschaft als bei Fußball-Freundschaftsspielen der Kreisliga. Es herrscht daher die Stimmung einer Klassenfahrt der Motorradfahrer-Realschule.

Dass der Leser ebendies nicht erwartet, kann ich gut verstehen. Auf Terminen zum Thema Automobil zum Beispiel schaut es häufig ganz anders aus. Der mag den nicht, der wiederum nur kommt, wenn jener auch eingeladen ist, denn sonst kann der Termin ja nicht wichtig genug sein für ihn, den wichtigsten Menschen der Geschichtsschreibung des gesamten Weltraums in Ewigkeit, Amen. Da zicken sich erwachsene Männer an, dass ich heimlich hoffe, gleich beginnen sie einen Tuntenkampf mit Kratzen, Beißen, Haareziehen und engagiert, aber ineffizient den anderen bepatschen, bis ein Hemdknopf abreißt und einer heult – bisher leider noch nicht in meinem Beisein passiert, es kann aber nur eine Frage der Zeit sein.

Das liegt daran, dass den gemeinen Autoredakteur sein Thema über einen sehr kleinen Kern hinaus kaum interessiert. Wenn ich auf Autoterminen die Leute treffe, die Autos noch wirklich richtig toll finden, setze ich mich immer zu denen, also meistens am Katzentisch mit Rasern, jungen Bloggern und Motorenentwicklern. Ich würde an keinem der anderen Tische sitzen wollen, an denen eh nur das Essen diskutiert wird („weißt noch die Spaghetti damals in Paris?“).

Die klassenlose Ledergesellschaft

Den Motorradfahrer interessiert das Fahrzeug dagegen immens. Es geht gar nicht anders. Wer sich nicht fürs Motorrad [2] als Fahrzeug interessiert, der fährt es nicht. Deshalb laufen Motorradfahrer ja so gern die Treffs an, obwohl es dort außer Bußgeldbescheiden nichts zu holen gibt, am wenigsten schöne Fahrzeit. Sie sprechen dort mit Gleichgesinnten über ein Herzthema, und wenn man sie dabei sieht, denkt man immer kommunistenromantisch: Näher an die klassenlose Gesellschaft als das hier wird die Menschheit in ihrer Existenz nicht mehr kommen.

Was für die gesamte Gruppe der Motorradfahrer gilt, gilt genauso für die Untergruppe der Motorradredakteure. Was soll der Kollege aus Unna sich mit der Delegation Stuttgart streiten, wenn doch alle dasselbe wollen: Motorradfahren und dann was darüber erzählen? Jeder arbeitende Mensch wird irgendwann erkennen, dass er seine Kollegen besser kennt als seine Familie, weil er einfach mit diesen Menschen den Großteil seiner wachen, aktiven Zeit verbringt (Netflix-Bingeing zählt nicht).

Motorradredakteure erleben dies noch deutlich stärker, weil sie nicht einfach nur zähe Zeit mit ihren Kollegen verbringen, in der Schraubensäcke oder Tapetenkleister verkauft werden müssen, sondern sie erleben miteinander Dinge, die als unvergesslicher Fügestoff zusammenschweißen. Gemeinsam im Zelt, als der unerwartete Schneesturm über die Hochalpen fegte. Zehn Stunden eiskalten Schiff auf einem kurz vor Versagen japsenden Motor gemeinsam ausgestanden, mit der Erholung am Feuer. Tagelange Luftfahrt-Odysseen so organisiert, dass am Ende doch noch Motorrad gefahren werden konnte. Nahtod-Erlebnisse im Hunderterpack. Klar, dass da die eigene Frau den Mann weniger gut versteht als der Kollege. Sie kennt die Normalität. Er kennt die Extreme, die Charakterzüge offenlegen, unerwartet wie ein Schneesturm im Sommer.

Preis für ein weniger lustiges Leben

Wenn ich also auf mein Konto schaue, überlege ich mir ob der mikroskopischen Zahlen dort gelegentlich, was da wohl heute stehen würde, wäre ich Programmierer geblieben. Die nackten Zahlen sind recht eindeutig. Dann fällt mir immer ein, was diese Zahlen bedeuten, ihr Kontext. Würde ich am Punkt größerer Zahlen stehen wollen? Das hieße: Ein Leben als Programmierer. Meine Extreme wären rein abstrakter, geistlicher Natur. Sicherlich kein schlechtes Leben. Aber meins ist halt besser. Wenn ich mir höhere Zahlen vorstelle, weiß ich, dass der Preis dafür ein weniger lustiges Leben wäre. Und weil es selbst im Motorradbereich schwierig ist, gute Leute zu bekommen, möchte ich eins in die Welt hinausschreiben: Einen in jeder Hinsicht besseren Beruf musst du lange suchen. Ich freue mich, die nächsten, jüngeren Jahrgänge auf Klassenfahrt zu treffen.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Nordkorea-Trump-hat-den-Krieg-erklaert-3841373.html
[2] https://www.heise.de/autos/thema/Motorrad.html