Klartext: Meinungsreifung

Alte Männer haben mir einmal gesagt: Fahre stets einen Rennstreckenreifen auf der Rennstrecke, denn wir Alten Weisen haben unsere Erfahrungen gemacht. "Jajaja, aaaber", dachte ich damals als Neuling und ignorierte den Rat

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Alte Männer haben mir einmal gesagt: Fahre stets einen Rennstreckenreifen auf der Rennstrecke, denn wir Alten Weisen haben unsere Erfahrungen gemacht. "Jajaja, aaaber", dachte ich damals als Neuling und ignorierte den Rat. Aber: Ich fahre gar nicht so schnell, dass ich so einen Reifen brauche. Aber: Rennstreckenreifen sind in miesem Alpenwetter doof. Aber: Man könnte doch diesen abgerabbelten Reifen fernab von Polizeikontrollen aufbrauchen. Aber: Dann müsste ich gelegentlich Reifen wechseln, und das ist ja Arbeit. Ein wirklich weiser alter Mann sagte im Wissen um die grenzenlose Ignoranz des Neueinsteigers: "Mach deine eigenen Erfahrungen." Die habe ich gemacht. Außerdem bin ich seitdem stark gealtert, sodass ich jetzt selber Ratschläge geben möchte, damit sie ignoriert werden: Reifen sind das wichtigste Tuning-Teil an jedem Fahrzeug. Dort sollte man zuallererst Geld ausgeben. Es folgt eine Begründung, geschrieben im mobilen Büro im Fahrerlager von Oschersleben, getrieben von herausgeschmissenem Geld, das ich Anderen sparen möchte.

Zunächst mal: Ja, Rennfahrer legen ganz erstaunlich gute Zeiten auf ganz erstaunlich schlechten Reifen hin. Deshalb sagen stark talentierte Fahrer gelegentlich: "Reifen? Mir egal." Sie fahren alles an die Grenzen, aaaber (ganz wichtig) selten darüber hinaus. Die Meisten (zum Beispiel Sie und ich) sind zum Fahren wenig talentiert, und profitieren nicht trotzdem, sondern gerade deswegen von besserem Gummi. Wenn einem Rennfahrer aufgrund einer Überlastungsspitze ein Rad weggeht, gehört das für ihn zum Fahralltag. Er fängt es routiniert wieder ein. Wenn dem Rest von uns ein Rad weggeht, folgen wir ihm oft einfach ins Kiesbett, weil die Aufregung zu groß ist.

Im Wissen all dessen wollte ich nach meinem Test, ob Rennstrecke mit meinem Einzylinderfahrrad mit Hilfsmotor überhaupt Spaß macht, die serienmäßigen Straßenreifen Michelin Pilot Power gegen Rennstreckenreifen tauschen. Es gab allerdings keine mit Straßenzulassung zum nach dem Training im Schwarzwald aufbrauchen, also ließ ich mir vom Reifenhändler einen Satz Bridgestone S20 aufschwatzen. Steht "Hypersport" drauf! Voll rennstreckentauglich! Trotzdem ultrasupergut auf der Straße! Bestnoten durch die ganze Fachpresse! Testsieger gar! Nur 240 Euro der Satz! *Ka-tschinng!* Gekauft. Die Fortschritte in der Reifentechnik und so. Um es kurz zu machen: ein Desaster. Ich wusste bis dato nicht, was Schwingenrütteln ist, aber der S20 zeigte es mir. Ich wusste nicht, dass ich je ein Fahrerlebnis haben würde, das den alten Dunlop D220 an Scheußlichkeit übertrifft. Ich wusste nicht, dass die Duke im dritten Gang auf trockenem Asphalt dutzende Meter lange Slides fahren kann mit ihren 68 Pferdchen, aber der Glitschstone machte es möglich. Und man sollte sich keinen souveränen Poster-Slide vorstellen, sondern mich kreischend, am Gasgriff subjektiv um mein Leben fürchtend.

Wie kann der Fortschritt in der Reifentechnik mich so nach hinten werfen im Vergleich zu eckigen Pilot Powers? Und was machen Superbike-Fahrer mit einem S20? Außer Traktionskontrolle gekauft haben, meine ich. Das Dilemma bei einem Fehlkauf: Man hat ja Geld ausgegeben. Das muss man vor sich rechtfertigen. Man probiert: Reifenhändlerluftdruck? Geht gar nicht. KTM-empfohlener Luftdruck? Naja. Glitschstone-Empfehlung für die Duke: auch naja. Ich glaube wirklich, dass dieser Reifen auf vielen Motorrädern unter vielen Fahrern wirklich so super sein kann, wie alle schreiben, aber für mich auf der Duke ist er Schrott – und nur darauf kommt es an.