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Es gibt kaum noch Gründe für Motorrad-Navis

Klartext: Motorrad-Navi-Elend

Klartext Clemens Gleich
Klartext

TomToms Motorrad-Navi-Reihe Rider saugt sich voll Wasser. Garmin kann keine Stromstecker bauen. Software können sie beide nicht. Kein Wunder, dass in diesem Umfeld kleine Klitschen wie Calimotor Traktion finden

Stets habe ich für spezielle Motorrad-Navis gesprochen. Aber langsam gehen mir die Argumente aus – gar nicht die prinzipiellen, denn die stimmen immer noch: Angepasste Spezial-Hardware kommt besser mit den Bedingungen am Motorrad zurecht. Dinge wie: enorme Vibrationen, Regen, Staub und Gerätetemperaturen von +80° bis -20° C. Auf solcher Spezial-Hardware läuft dann Spezial-Software, die auf Bedürfnisse der Motorradfahrer eingeht, prominentest das Kurven fahren. Aber gerade habe ich die Smartphone [1]- (und Web-)App Calimoto im direkten Vergleich mit drei teuren, speziellen Motorrad-Navis gesehen und musste fast weinen.

Die Hardware-Argumente bleiben. Im Dauerbetrieb muss ich allerdings eingestehen, dass weder TomTom noch Garmin das so richtig gut machen in den aktuellen Generationen. TomToms Rider-Reihe der Generation 4XX hat irgendeinen Konstruktionsfehler, weil die Geräte sich nämlich bei Regen irgendwann regelrecht vollsaugen mit Wasser. Das stellte ich fest, als im starken Regen wie in einem Aquarium Wasser hinter der Touchscreen-Scheibe stand. Tapfer brachte mich das Teil noch heim, wo ich es sofort öffnete, um es zu trocknen. Zu spät: Am nächsten Morgen zeigte es nur noch einen weißen Bildschirm an. Ich kaufte als Ersatz gebraucht ein Garmin Zumo 590.

Profi-Defekte

Nun geht in der Szene das hartnäckige Gerücht um, dass TomTom eher die Consumer bediene und Garmin eher die Profis. Wahrscheinlich liegt es am höheren Preis, den Garmin aufruft. Viel Mühe gaben sie sich auch beim transflexiven, hintergrundbeleuchteten, resistiven Touchscreen (Handschuhe!). Alles schön. Alles gut. In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass der Garmin-Schirm selbst bei Hochsommersonne kaum besser lesbar ist als TomToms modern heller TFT. Manche aktuellen Smartphones können es sogar besser. Die 59X-Geräte hatten zudem ein Problem ausgerechnet mit Vibration: Der Akku-Stecker verlor an zwei Pins immer wieder den Kontakt, sodass die Laufzeitschätzung durcheinander kam, und selbst bei vollem Akku eine Warnung ausgab oder gleich abschaltete. Die Folgegeneration des Akkus sollte das Problem nicht mehr haben, laut Garmin.

Laut Praxis hat sie es aber genauso, nur nicht gleich ab Werk, sondern nach 12.000 Kilometern auf der KTM 1190 des Vorbesitzers. Auf der Einzylinder-Duke ging es trotz dreifach in Reihe geschalteter Gummipuffer schnell weiter. So viel zum Thema Profi-Gerät. Das TomTom hing nur mit den Dämpfern des KTM-Adapters an der Duke und hielt das problemlos aus. Es ist schon ein bisschen doof, wenn du nicht weißt, ob du dich auf deine hunderte Euro teure Spezial-Hardware verlassen kannst. Vielleicht bist du dann besser dran, ein bekannt empfindliches Gerät (Smartphone) schonend zu verwenden. Denn dann kannst du dort Software verwenden, von denen Motorrad-Navi-Kunden nur träumen.

An der weit verbreiteten Einstellung „ist ja nur Software [2]“ könnte es liegen, dass TomToms und Garmins Funktionen häufig einfach eine Frechheit sind. Ich kann mich an das Zumo 550 erinnern. Das hatte eine versehentliche Nebenstraßen-Routing-Funktion, weil Autobahnen und große Bundesstraßen nur gemeinsam ausgeschlossen werden konnten, nicht die Autobahn einzeln (Garmin kommt aus Amerika, wo Highways und Interstates als Bundle ausgeschlossen werden). Das war sehr lustig, aber es hat sich seitdem erschreckend wenig getan. Garmin sucht mir eine kurvige Strecke mit meist mittelmäßigem Ergebnis, tut das aber seit Generationen auch in Städten. Ich will nicht Münchens paar Kurven voller Stau finden, sondern ich will den Moloch schnellstmöglich durchqueren. TomTom macht es minimal anders genauso schlecht seit genauso langer Zeit.

Die jungen wilden kleinen Klitschen

Dass das Problem offenbar kein schwieriges ist, zeigt Calimoto: in Ortschaften einfach durch, außerhalb Kurven finden. Man kann auch abschnittsweise Kurven suchen oder in sowieso langweiligen Abschnitten lieber Strecke machen. Wieso kriege ich das nicht von TomTom und Garmin? Erinnern wir uns kurz, wie mies Calimoto noch vor gut einem Jahr funktioniert hat und berücksichtigen wir, was das für eine kleine Klitsche ist, bleibt nur der Schluss: Es muss ganz gewaltige Probleme mit der Software-Kultur in den Häusern Garmin und TomTom geben.

Einen flüchtigen Einblick in die Art von Problem erlaubt der Routen-Import des Zumo 590 im Vergleich zum Zumo 390: Die von der eigenen Basecamp-Software aufgespielte Route schaut aus wie ein Schimmelpilzgeflecht unter dem Mikroskop, vollkommener Unsinn. Der User muss von Hand die Berechnungsoption ändern, damit das Gerät sinnvoll berechnet. Das weiß Garmin seit mindestens dem 550, das ähnliche Probleme machte. Ein Aufruf von „berechne Route (neu);“ fehlt aber beim Import. Beim 390 dagegen ist er drin. Aber miteinander sprechen tun die Teams offenbar nicht. Und so schwindet mir die Hoffnung, dass Kurven in Ortschaften je ignoriert werden, denn dass TomTom keine Software kann, hat die Firma genauso nachhaltig bewiesen wie Garmin.

Probleme aus dem letzten Jahrtausend

Der letzte Leser, der mich nach einer Motorrad-Lösung fragte, tat das so: „Reicht eigentlich Calimoto für ab und zu eine schöne Tour?“ Ja, tut es. Oder eine der günstigeren Alternativen. Mehr noch: Mache er sich nicht unglücklich mit dem Kauf eines Motorrad-Navis, das er ja auch gebraucht stets noch recht teuer bezahlt. Ein Google Pixel 2 [3] lief über mehr als 1000 Kilometer in einer Lenkkopf-Halterung, versorgt per USB-C aus einer Verkleidungs-Steckdose von Tante Louise. Zur Bedienung muss für die Feinarbeit der Handschuh ausgezogen werden, aber ratet mal, was? Das muss ich bei TomTom und Garmin auch, weil die Bedienelemente zu klein sind. Der einzige Vibrations-Effekt auf das Pixel: Der Kamera-Stabilisator war einmal kurz verwirrt, kriegte sich aber nach einem sanften Schlag auf den Hinterkopf wieder ein. Bei Regen muss das Pixel halt in die Jacke, reine Sprachansagen machen.


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