Klartext: Nachruf

Mein treuer Kamerad, der Honda Zoomer ist verstorben

Wenn der Familienhund stirbt, trauern wir. Doch wenn das alte Familienauto verschrottet wird, tun wir das auch. Wir geben es nur vielleicht ungern zu. Ich lernte etwas aus des Honda Zoomers Tod - Gedanken zum Thema Maschinenempathie

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Gestern ging völlig unerwartet der Honda Zoomer von uns. Er verstarb auf dem Wege zur rettenden Werkstatt mit einem schmerzhaften Geräusch, das mich ihn sofort abstellen ließ. Doch da blutete er bereits sein Lebensöl aus dem Getriebekasten. Ich schob ihn den Rest der Strecke zur Werkstatt, doch die Operation am offenen Herzen, die ihn wieder fit machen würde, sie ist teurer als ein Ersatz-Zoomer, lohnt sich also nicht. Ich hätte nie gedacht, dass mich das über den Geldbeutel hinaus treffen würde, aber das tut es.

Fast scheint es mir, als wäre der Zoomer ein braver Hund gewesen, der jetzt eingeschläfert werden muss. Denn auch dort peitscht einen ja das Gewissen mit dem Vorwurf, vielleicht doch nicht alles getan zu haben. Vielleicht hätten zehntausend Euro dem Tier noch drei schöne Tage erkauft, und wer möchte schöne Lebenstage hier in Geld aufwiegen? Niemand. Aber einer muss es dann doch tun, meistens Papa. Das Geld wiegt dann schwerer, wenn auch nicht so schwer wie das Gewissen: Der treue Kamerad muss drei Tage früher gehen.

„Ist doch nur eine Maschine!”

Früher belächelte ich Menschen, die so waren wie ich heute. „Ist doch nur ein alter Opel Kadett!” „Stell dich nicht so an!” „Das ist nur eine Maschine, die kannst du jederzeit durch eine bessere ersetzen.” Und wahrscheinlich haben sich diese Menschen in ihrer Trauer geärgert: „Wenn es ein Haustier wäre, hätte er das nicht gesagt.” Wahrscheinlich nicht. Aber ich werde es auch nicht mehr sagen. Denn wir belegen unsere Maschinen im Kopf mit Eigenschaften, die ihnen ein Leben zuweisen, das sie nicht haben können: „Och, der arme Focus! Muss jetzt im Regen stehen! Mami bringt dir einen Wunderbaum mit.” Das Leben des Autos findet natürlich nicht im Metallobjekt selbst statt, wohl aber in Mamis Kopf.

Maschinenempathie

Diese Belegung hilft uns, mit Maschinen oder Werkzeugen generell zurechtzukommen in unserer Wahrnehmungswelt. Warum funktioniert das Dings jetzt wieder nicht? Weil es mich hasst. Irgendwas habe ich ihm getan. Es tut mir leid! Funktioniere nur wieder! Maschinenempathie hilft den besten Mechanikern auch, sich so in die Funktion hineinzufühlen, dass sie Defekte zuverlässig mit wenigen Informationen diagnostizieren. Solche Leute fühlen Schmerz, wenn eine Maschine misshandelt wird. Wer das nicht glaubt, muss nur einmal einen kalten Motor in ihrem Beisein in den Begrenzer jagen und ihr Gesicht beobachten. Man hätte sie ebensogut mit einer Nadel stechen können.