Weiße im Wilden Westen

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Ein Mini brannte. Über eine Kuppe kommend konnte ich einen der Holländer sehen. Er stand an der Kurvenaußenseite, winkte mit einem Schraubenschlüssel und gestikulierte auf die Kurveninnenseite. Erst auf dem Kuppenzenith sah man, was er beschreiben wollte: Seine BMW war gestürzt und in der Unart aller Boxer auf dem Zylinderdeckel mit leichtem Kontakt der Reifen ohne Fahrer auf die Kurveninnenseite gefahren, also dorthin, wo Nachkommende den besten Durchgang erwarten. Das klingt alles nach einer ereignisreichen Woche oder einem vollen Tag lang Fahrt. Konkret reichte es jedoch nur für drei oder vier Runden, denn die meiste Zeit war die Strecke wegen Unfall geschlossen. Als ich an diesem Abend den Transporter nach Hause fuhr, sah ich zum Abschied an der B412 einen brennenden Laster stehen. Die Hitze strahlte auf meine Backe und ich dachte: "Das ist insgesamt ganz schön krass hier."

Kulturgut Nürburgring

Fast Forward, 2015. Es sind Leute da, aber es ist nicht voll. Wir ziehen Tickets. "Jetzt warten wir ganz in Ruhe, bis der erste Schwung sich verteilt hat", entscheidet Sebastian, der alte Hase. Und dann fahren wir. Die erste Runde erinnert mich an meine letzte Runde mit der RC8, als es im Vergleich zum restlichen Tag wunderbar ruhig wurde in der goldenen Sonne der späten Tageszeit. Ich winke ein Renntaxi durch und kann mich dann in Ruhe mit mir, der Strecke und der VFR beschäftigen. Mist, Bremshebel zu weit nach innen gestellt. Aber keine Boxermotorräderfallen, keine Holländergruppenstürze, keine brennenden Fahrzeuge. Überhaupt kein Unfall. Die bescheuerten Geschwindigkeitsbegrenzungen stehen noch, und entgegen aller Beteuerungen werden sie nun auch bei den ersten gebuchten Veranstaltungen eingefordert – von wegen "nur provisorisch". Sowas muss jedem Rennsportfreund das Herz schwer machen, überhaupt die ganze Mauschelei um den Ring. Kurt Beck war da ja nur die Kirsche auf der Torte, wenn man so will.

Aber genau wegen der ständigen Hiobsbotschaften aus den Nürburgring-Finanzen war so ein erdendes Erlebnis wichtig. Man vergisst sonst schnell, um was es geht. Der Ring hat nichts mit den meisten Immobilienprojekten zu tun, nichts mit einem Parkhaus in Frankfurt, einem Bahnhof in Stuttgart oder einem Flughafen in Berlin. Der Nürburgring nebst seiner Nordschleife ist mehr als Infrastruktur oder Unterhaltung, er ist ein kulturelles Gut, eines der wenigen aus Deutschland, die weltweite Relevanz erreicht haben. Wie jedes gescheite Kulturgut funktioniert er als Bezugspunkt einer Menschengemeinde. Sebastian hat hunderte von Runden auf der Nordschleife verbracht, als er in der Gegend wohnte. Ein paar Stränge seiner Wurzeln werden immer hier im Erdreich stecken oder im Kiesbett. Letztendlich geht es um solche Leute. Sie machen die Szene aus, das Leben am Ring. Vielleicht brauchen wir alle gelegentlich so einen normalen, guten Tag auf der Nordschleife. Vielleicht findet sich dann unter den wohlhabenden Besuchern irgendwie, irgendwo, irgendwann einmal jemand, der den Nürburgring so betreibt, wie er es verdient hätte. (cgl)