Yamaha HipSR 400

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Yamaha umwirbt allerdings nicht diese alten Bärte, sondern die jüngeren Bärte: Kradkulturisten, die auf ihren persönlichen Stil umbauen, die eine Tolle haben, die Hipster der Motorkultur also. Für die ist die SR 400 vollkommen uninteressant. Sie ist viel zu teuer, und das riesige Angebot an Zubehör, das es mittlerweile für die 500er gibt, passt an ein paar kritischen Stellen nicht. Sitzbank. Einige Abdeckungen. Vor allem aber Tank: Der alte Tank der SR 500 hat einen Sprithahn. Der neue Tank hat einen Sprithahn, einen Rücklauf vom Druckventil der Einspritzung, einen dicken Entlüfterschlauch von der Einspritzpumpe, einen Schlauch an der vorderen Tankentlüftung und ein Stromkabel am Reservelampensensor. Einen schönen Alutank für die SR 500 gibt es umme Ecke. Einen schönen Alutank für die eingespritzte SR 400 gibt es (vielleicht) in Japan. Nein, die SR 400 wird meistens original bleiben. Yamaha selbst bietet im Werkszubehör keine Tanks, sondern Batteriestandsanzeigen mit gut zugänglichem Ladegerätstecker an, im Wissen, dass dieses Teil jene Ewigkeiten herumstehen wird, in denen sich die kleine Batterie selbst entlädt (die SR hat keine Standverbraucher).

Ich habe gar keinen Bart, und ich frage mich, wie so ein Motorrad einem Fahrer im Alltag taugt. Ein weiser Mann mit einem lediglich virtuellen Bart sagte mir einmal das, was jeder verinnerlichen muss, der das Thema SR verstehen möchte: "Niemand kauft eine SR wegen ihres Fahrverhaltens. Man kauft eine SR, weil sie so einfach ist. Es gibt kein schrauberfreundlicheres Motorrad." Selberschrauber lieben die SR. Vielfahrer dagegen finden sie meistens nur so lange toll, bis sie sie mal fahren mussten. Um das Elend nicht unnötig lang auszubreiten, eine Zusammenfassung: Das Fahrverhalten war schon 1978 retro.

Retro-Speed-Dating

Wie der BMW-Mini war die SR von Anfang an als Retro-Fahrzeug geplant und wurde entsprechend beworben. Yamaha hoffte damals schon auf junge Männer mit Bärten und Faible für markige Nonsens-Sprüche: "Der Einzylinder für Männer, die noch richtig zupacken können." Tatsächlich liebte eine stark überproportionale Anzahl von Frauen die SR, denn sie war niedrig, niedlich, beim gemächlich herumpötteln harmlos, und schnell fahren interessierte schon damals nur wenige Motorradfahrerinnen. Ohne den bei Damen ungeliebten Kickstarter wäre ihr Anteil unter den Besitzern noch wesentlich höher. Doch der Kickstarthebel bietet auch für Frauen einen eigenen Nutzen: Wer sich als Frau mit minimalem Aufwand die maximale Anzahl an Verehrern sichern möchte, nimmt sich zehn Minuten Zeit, das Ankicken einer SR zu lernen und fährt damit irgendwohin, wo viele Männer mit Motorrädern stehen. Speed Dating ist ein Scheiß dagegen.

Wirklich interessant fand ich jedoch die neue SR 400, weil ich Fahrer der alten SR 500 damit kennenlernte. Sie fahren ganz anders als ich. Sie streunern kaum undefiniert hunderte von Kilometern, sondern fahren bevorzugt Strecken bekannter, tendenziell geringer Länge in dem Mittelgebirge, in dem sie wohnen: "Dieses Motorrad ist für mich ein Kurzstreckenfahrzeug. Wenn ich Strecke machen muss, nehme ich das Auto." Sie vermeiden die Heizer-Strecken, sondern suchen sich Kurvenradien, die bei SR-Tempo Laune machen. Es ist die perfekte Kundschaft für die Harley-Davidson Livewire, die schön gemachte Elektrische der Company: kurze, definierbare Strecken in gemäßigtem Tempo auf einem optisch interessanten Fahrzeug. Da kann Harley von eigenen und Yamahas Erfahrungen profitieren und alles wie immer machen: Junge Männer mit Bärten umwerben, um an alte Männer mit Geld und erstaunlich viele Frauen zu verkaufen. Ein schicker Batterielader wird eh Serie sein. (cgl)