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Klartext: Zweckehen im australischen Busch

Wie einem sogar ein Renault Koleos ans Herz wächst

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Beziehungen funktionieren manchmal nicht von Anfang an, sondern weil man daran arbeitet, mit sich Arrangieren und gemeinsamen Erlebnissen. Das funktioniert manchmal sogar bei Beziehungen aus Hass. Wie beim Renault Koleos

In Indien, dem Land der Verabredungen zur Lebenspartnerschaft, gab es etwa um die Jahrtausendwende einmal eine Studie zu einer dort sehr wichtigen Frage: Wer ist eigentlich glücklicher, aus Liebe Heiratende oder zum Zweck Heiratende? Zunächst wenig Erstaunliches: Wer aus Liebe heiratet, ist zunächst glücklicher damit. Doch die Studie begleitete die Paare über eine lange Zeit und je länger sich die Beziehungen hinzogen, umso mehr kippte das Glück um: Die zwecklich zueinander geordneten Menschen waren irgendwann tendenziell glücklicher. Dafür gibt es viele Gründe, und manche davon finden wir auch in der Beziehung Mensch-Auto.

Am ehesten kann man das Phänomen am Schalter der Mietwagenausgabe nachvollziehen, weil dort so häufig eine Zuteilung zum Ungewollten stattfindet. Ich habe schon häufig Autos gemietet, aber noch nie das Auto bekommen, das ich mir ausgesucht hatte. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz der Vermieter zu sein, eine solche Wahl zu verhindern. Für eine Woche an der Südküste Australiens herumfahren mietete ich einen Suzuki Swift und bekam einen Renault Koleos. Ich liebe den Swift. Ich hasse alle diese Softroader mit ihren bescheuerten Namen.

Ein kurzer Hoffnungsschimmer: Das Navi funktionierte nicht, weil der Renault die Karten nicht von der SD-Karte lesen mochte. Techniker informiert. Konnte auch nichts tun, versprach ein anderes Auto. Leider passierte das nicht, sondern die Tante gab mir ein australisches "Navmate" mit einer breit akzentuierten Sheila als Stimme, sodass ich mich mit Madame Koleos arrangieren musste wie der Inder mit der Wahl seiner Eltern. Was für eine Karre! Zweiteiliger Kofferraum vom Range Rover abgeguckt, wofür soll das gut sein? Navi tot. Keyless-System verlangt in zufälligen Intervallen, dass die Keycard doch aus der Tasche geholt wird. Und wo ist überhaupt das Lenkrad?! Ach ja, auf der rechten Seite in Australien ...

Boxen und Fahrräder

Doch wir wissen aus anderen Forschungsarbeiten auch, dass selbst die ungewollte Beziehung davon lebt, ja: daran wächst, was man zusammen erlebt, und da gab es am anderen Ende der Welt ja einige Hoffnung. Mein Plan war, nach dem Test der neuen Suzuki GSX-R 1000 R [1] auf der GP-Strecke Phillip Island (dazu später mehr) auf eigene Faust ein paar Tage Entspannung dranzuhängen, wenn man schon um die halbe Welt jettet. Ich wusste nicht, dass sich die Gegend um Melbourne nur bedingt zur Entspannung eignet. Das Land präsentierte sich mir hochinteressant, aber eher in der Art eines Box-Sparrings mit interessanten Schlägen in die kurzen Rippen. Ähnlich ging es meinem alten Heise-Kollegen und Freund Harald Bögeholz, der zufällig zur selben Zeit in Australien ankam, um dort zu bleiben.

Harald erhielt mit seinen 50 Jahren noch ein volles Stipendium der Monash University [2], wo er erst seinen Ph.D. machen und danach an den mathematischen Grundlagen des Maschinenlernens forschen soll. Das hat nichts mit dem Thema des Textes zu tun, soll hier aber dennoch stehen als Respekt vor Haralds Mut und Grips. Während meines Projekts, Harald moralische Unterstützung zukommen zu lassen, half der Koleos mit Nützlichkeit. Wir fuhren zum Beispiel den 170 cm langen Flugfrachtkarton des Rennrads zum Fahrradheini und ein flugs gekauftes Alltagsfahrrad zurück. Das verbesserte das Ansehen des Renault in meinen Augen ungemein. Es hält ja wirklich nicht jeder Softroader das Versprechen von Platz, das seine Außenmaße geben.

Der große Ozean

Einer der Gründe für einen Mietwagen war Australiens Great Ocean Road, eine 243 km lange schöne Küstenstraße. Man sagte mir, sie sei die schönste Küstenstraße der Welt. Als Kenner vieler Küstenstraßen würde ich das nicht unterschreiben, doch sie ist zumindest einmalig in ihrer Länge, auf der die Schönheit nie wirklich aufhört. Verzweifelt suchte ich den ESP-Abschalter, gab es aber dann auf, weil die Strafen in Australien drakonisch sind, die Kontrollen allgegenwärtig, der Verkehr so hoch und die Teilnehmer so langsam, dass ohnehin nicht viel Spaß zu erwarten war mit der motorisch schwachen Rennöse, und schließlich konnte ich anhand der Kommentare vom Beifahrersitz feststellen, dass Harald schon das sub-ESP-Tempo nicht besonders gefiel.

Also durfte der Koleos seine französischen Cruising-Tugenden zeigen, mit Musik über Bluetooth vom iPhone [3] aus der Bose-Anlage, leisem Innenraum und weichem Abrollen. Nachdem ich mir mit LSF 30 knappe 10 Minuten Baden ohne (größere) Strahlenverbrennung erkauft hatte, war mir das Auto schon ein selbstverständlicher Lebensteil geworden. Ja, einige Dinge nervten. Aber einige Dinge nerven immer, in jeder Beziehung. Man entdeckt jedoch auch immer unerwartete Pluspunkte. Diese Range-Rover-Klappe zum Beispiel verwendete ich wie beim Vorbild schnell als Sitzbank. Man sitzt genau so weit draußen, dass es nach draußen riecht statt nach Auto, und genau so weit drinnen, dass die obere Klappe noch als Dach funktioniert. Ich nahm mir also vor, mehr mit dem Auto zu touren, dann hoffentlich ohne ESP, ohne Beifahrer und ohne bekannte Touri-Attraktionen durch den Busch.

Der noch größere Busch

Der Busch. Erster Gedanke: Das hätte ich gleich machen sollen. Noch nie in meinem Leben an keinem Ort der Welt waren jemals die großen Touri-Attraktionen die besten Erlebnisse, sondern immer die weniger bekannten Dinge, über die man überall zufällig stolpert. Mein Hotel lag in in Richtung der Dandenong Ranges, von denen aus ich weiterfuhr in die Yarra Ranges. Dort stehen wunderschöne Urwälder in kaum besiedelter Gegend, praktisch frei von Verkehr. Endlich fand ich den ESP-Aus-Knopf, den man auch nicht lange oder gar mit geheimer Uboot-Sequenz drücken muss, sondern der sofort bei Kontakt das ESP abschaltet. Damit fuhr die Rennöse zwar nicht signifikant schneller, aber erstaunlicherweise deutlich besser, weil das Auto in den Kurven nicht sekundenlang komplett abschaltete, sondern leise wimmernd leicht über die Vorderachse schob.

Oben auf dem Mount Donna Buang saß ich dann mit baumelnden Beinen auf meiner Land-Rover-Klappe, zufrieden und mit ersten unaustralischen Anflügen von Urlaubsentspannung. Ein Radfahrer sagte mir, mit "dieser Art von Auto" solle ich mich Richtung Marysville halten, da gebe es tolle Pisten. Zunächst verstand ich nicht, was er mit "dieser Art von Auto" meinte, doch er spielte wohl auf den "Allrad"-Aufkleber am Heck des Koleos an. Denn der Australier frönt einem Hobby, das er hier ausleben kann wie kaum an einem anderen Ort der Welt: Offroading.

Extreme Straßenreifing

Und so fuhr ich eine mustergültig gepflegte, frisch neu präparierte, planebene Strecke durch den Regenwald. Wo frische Erde für den Plattroller aufgebracht wurde, standen Schilder mit einem Limit von 80 km/h, wegen der "road works". Haha, dachte ich, wer fährt denn hier schon hundert? Die Antwort: Jeder, der einen fetten Geländewagen hat. Das ist in Australien ein Hobby, unabhängig davon, dass der fette Wagen in seiner Breite viel gefährlicher wird als ein schmaleres Straßenauto, das auf dieser glatten Strecke problemlos genauso schnell fahren kann. Es geht wohl um die Challenge. Das merkte ich, als der zweite Schnorchel-Hilux auf riesigen Geländerädern in der Mitte der Straße aus der uneinsehbaren Kurve schoss. Wahrscheinlich gilt hier: der mit der geringeren Masse gibt nach, indem er schnell in den Graben fährt. Es machte irgendwie Spaß, auf den glatten Straßenrädern über die glibbrigeren Passagen zu schlittern, in der Hoffnung, dass sich jetzt mal die Hinterräder zuschalten mit etwas Antrieb.

Ich sagte der Sheila im Navi: Finde mir den kürzesten Weg nach Marysville. Und Sheila führte mich quer durch den Wald. "Hier abbiegen!", sagte sie, und ich sah zunächst nicht, wo sie meinte: zwischen zwei Bäumen durch, die in mir Zweifel über die Spiegel-Spiegel-Breite des Renault wachsen ließen. Die Lädierung der Bäume zeigte, dass sich andere Navi-Nachfahrer hier mit breiteren Dingern durchgequetscht hatten. Was dann kam, war der Gedanke, wie dumm ich doch eigentlich war, auf Sheila zu hören. Ich rutschte ein steiles Stück hinunter, das ich mit den Straßenrädern sicher nicht mehr hochkonnte, in ein Schlammloch, aus dem ich mir sicher war, auch nicht ohne Winch entkommen zu können. Weitere gefühlte Sicherheiten: Ich war mir sicher, die Plastikverkleidungen vorne und hinten an den steilen Rampenwinkeln jetzt zu verlieren. Aber das war dann ein Problem später für den Hertz-Schalter. Da musste ich ja erst einmal hinkommen.

Und hier tat der Koleos etwas sehr unerwartetes: Er riss sich sein Plastik eben nicht ab, von einer kleinen Öse abgesehen, die ich wieder einstecken konnte. Die kurze, nach oben gerümpfte Nase funktioniert tatsächlich ganz gut, und obwohl der Allradantrieb vor allem zusammen mit der Automatik nicht viel taugt, ist er zumindest vorhanden und bis 30 km/h kann man den Hinterradantrieb auch auf "ständig an" schalten. Mit Wippen und 45° quer gegen die Rampe fuhr der Renault tatsächlich aus dem Sumpf heraus, über die Rampe, das letzte steile Wegstück runter und durch eine weitere kleine Schlammpfütze auf die Straße. Ich fühlte mich wie der König der Fahrkünste.

Und so kam es, dass ich den liebevoll handgewaschenen Renault mit einer reichen gemeinsamen Geschichte wieder am Flughafen Melbourne abstellte. Wir waren am Herzen ein bisschen zusammengewachsen. Wenn mir das vorher jemand über einen kackigen Softroader mit peinlichem Namen gesagt hätte, ich hätte ihn zur Satisfaktion gefordert. Aber es stimmt: Ich hätte dem Renault mein Leben auch für den Outback anvertraut, wäre mehr Zeit gewesen. Ich möchte allerdings auch nicht verschweigen, dass ich ständig lüstern auf die ganzen Subaru Outbacks um mich herum schielte ...


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