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Suzukis GSX-S 1000 ist ein gutes Motorrad. Und das reicht nicht

"Gut, gut ..."

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Suzuki hat mit der GSX-S 1000 den tollen Motor ihres Superbikes von vor zehn Jahren als Power Naked gebracht. Leider blieb es technisch und emotional auch beim Stand von vor zehn Jahren

"Das ist ein gutes Motorrad", sagten mir eine Reihe von Leuten über die Suzuki GSX-S 1000, und an keiner der Behauptungen fanden sich Anlässe zu Zweifeln. Sicher ist die GSX-S gut. Ich würde dasselbe sagen. Wie ist die neue nackte Suzuki? Gut. Wie war übrigens heute das Essen in der Kantine? Gut. Wie ist Angela Merkels Politik? Ach, sie macht das doch ganz gut. Das stimmt nach Sichtweise der Antwortenden alles. Nur darf man auch nicht vergessen, dass wir über ein "gut" der Realpolitik reden. Das Kantinenessen ist gut genug, dass es unten bleibt. Frau Merkel tut nichts, also wenigstens schon mal nichts Falsches. Und Suzuki tritt 2015 mit etwas an, das gegen die erste Triumph Speed Triple in arge emotionale Bedrängnis geraten wäre. Kantinenmaultaschen, zehntes Merkeljahr, GSX-S, da werden unsere Barden alle keine Lieder drüber singen nach der Apokalypse.

Die GSX-S bringt uns auch technisch nichts, das wir nicht vor zehn Jahren schon hatten. Doppeldrosselklappen. Hm. Traktionskontrolle nach Drehzahlen. Okay. ABS. Selbstverständlich geworden. Alles an ihr ist so mittel. Sie fährt ganz gut, ist aber zwei Generationen entfernt von einer BMW S 1000 R, die 1000 Euro mehr kostet, was in Prozent gerade einmal 7,6 sind. Es ist kein Preisvorteil, der Motorräder verkauft, also müssen wie bei der V-Strom 1000 oder der KTM 1050 Adventure (beides ebenfalls zweifellos gute Motorräder) die Händler ran und Preise nachlassen, dass sie schreien. Ich stelle mir gerade vor, ich wäre ein Händler für Volkswagen und Suzuki. Bringt mir den Strick!

Fairer Vergleich, in Japan geblieben

Ein anderes (gutes!) Motorrad, das mit der GSX-S noch vergleichbarer ist als die BMW: die aktuelle Kawasaki Z 1000. Sie kostet ohne Liefernebenkosten auf den Euro genau dasselbe. Die Spitzenleistung ist praktisch dieselbe. Suzuki bietet 145 PS, Kawa 142 PS, aber aus etwas mehr Hubraum. Auf dem Prüfstand liefert Suzuki in ersten Messungen sehr satt ab, aber wen interessiert das von den Endkunden? Die fahren alle auf Mitten-Drehmoment statt Nennleistung. Auf beiden Motorrädern sitzt man satt, es sind trotz allem "neu! neu!" geradezu archetypische Vertreter des japanischen Big Bikes: chefige Sitzposition, basslastiger Reihenvierzylinder, hoher Alltagsnutzen. Nur hat die Kawa eben ein Design. Ob man das nun ganz gelungen findet (ich) oder voll daneben (viele andere), es ist ein Thema, wenn man von der Z spricht. Von der GSX-S spricht man bestimmt auch, aber was will man über dieses Design sagen? Es ist ja nicht einmal bemerkenswert hässlich, sondern vollkommen egal. Die GSX-S sieht aus wie eine Packung Damenshampoo vom Aldi. Sowas ist in der Aldi-Klasse der Fahrschulmotorräder gelegentlich ein Pluspunkt, war aber für ein Bad Boy Big Bike noch nie einer.

Zwar enthält Kawasaki ihrem Big Bike Z aus uns Gaijins unerklärlichen Gründen die fertige Traktionskontrolle des verkleideten Schwestermodells vor, aber es gibt ein modernes LED-Licht in der verkniffenen Predator-Maske. Es gibt einen lustigen Resonator in der Airbox, sodass dich der Motor im Resonanzbereich anheult wie ein Godzilla-Film. Es gibt Showas Big Piston Fork, die auch nicht jeder mochte, aber ich schon. Es gibt eine interessante Gestaltung auch am Auspuff, mit interessanten Details wie dem schönen Exzenter-Kettenspanner. Und wissen Sie, wie sich dieses Motorrad trotz aller dieser Tugenden verkauft? Nicht so gut. Und die Suzuki ist nicht besser.

Suzuki hat in der GSX-S 1000 einen der beliebtesten Vierzylinder-Reihenmotoren aus Japan wiederbelebt: den des Superbikes GSX-R 1000 K5/K6. Wir hatten damals eine K6 als Dauertester, und bis auf den unschönen Makel, dass der Rahmen zu brechen neigte, war das ein unschlagbar gutes Superbike für alle, die auch Landstraße fahren wollten. Sie klang ab Werk interessant, ohne mit übertriebener Lautstärke zu nerven. Ihr Auspuff war dreieckig und aus Titan. Ich kann mich an den Zubehör-Auspuff-Vergleichstest des Kollegen Jörg Lohse erinnern. Er schrieb einfach nur drüber "Warum?", denn es gab keinen Grund, das Motorrad mit teuer Geld zu verhunzen. Der Motor war der langhubigste im Superbike-Feld, was beim Herausbeschleunigen in der Drehzahlmitte nur Vorteile hatte. Kurz: Auf diesen Motor haben sich alle gefreut, die sich auf die GSX-S gefreut haben. Aber diesen Motor hat Suzuki nicht verbaut. Stattdessen kommt die GSX-S als Kastrat.

Ich habe nie verstanden, wieso alle Japaner das Motoren kastrieren derart zelebrieren. Es muss irgendwo ein obskures Gesetz geben oder eine Shinto-Tradition. Auf jeden Fall denken die Firmen immer, sie müssten jetzt diese Motoren mal neu anlegen. Neue Nockenwellen rein! Anderes Mapping sowieso. Airbox. Gasdynamik. Bisschen was geht immer, bisschen was weniger halt. Am Ende soll stets "mehr Drehmoment in der Mitte" herauskommen, aber ich habe diese PR-Behauptung schon tausendmal gelesen, aber ihre Wahrheit nie gespürt. Die GSX-S hat selbst objektiv auf dem Prüfstand mit ihrem überarbeiteten Motor nicht mehr Drehmoment in der Mitte, sondern weniger. Da sie mit ihren neuen Nockenwellen aus dem Stand so kräftig antritt, fällt das umso stärker auf.

Warum konntet ihr uns nicht einfach den Superbike-Motor geben, Suzuki? Das hätte viel Geld gespart. Man möge sich die Geschichte der Moto Morini Corsaro Avio anschauen. Morini wollte eine günstigere Version ihres V2-Stampfers anbieten, hatte aber keine Kohle, den Motor wie geplant zu kastrieren. Also verbauten sie den starken Standard-Motor, für den ich hier eine Erlebnisempfehlung aussprechen möchte. Moto Morini sparte viel Geld und erfreute jeden Kunden einer Avio. Ich habe jedenfalls keinen Käufer gehört, der haareraufend dem Kastrat hinterherheulte, der ihm entgangen war. Genauso wird es niemanden geben, der sagen wird: "Danke, Suzuki, dass du mir mit viel Geld diesen Hänger in die Drehzahlmitte gebaut hast! Was würde ich ohne ihn nur tun?"

Aaalt

Das beim Kastrieren der Motoren verschwendete Geld könnte an so vielen Stellen sinnvoll eingesetzt werden. Wie wäre es denn endlich mit einem modernen Kabelbaum, Japan? Der CAN-Bus ist eine Technik aus den Achtzigern, da haben jetzt Millionen Fahrzeuge gezeigt, dass es funktioniert. Wie wäre es mit einem E-Gas, auch für einen weicheren Eingriff der Traktionskontrolle? Wie wäre es mit einem richtigen Sonderausstattungssortiment? BMW verdient sich mit genau sowas dumm und dämlich, denn außer den Bayern hat offenbar keiner Lust auf so ein "schwieriges" (O-Ton) Unterfangen. Wie wäre es mit Design, Suzuki? Wenn ich die acht Jahre alte Suzuki B-King neben die GSX-S stelle, schaut die GSX-S zehn Jahre älter aus als der King of Big Bikes. Gerade fahre ich viele Kilometer auf Hondas VFR 800 [1], die genauso alte Technik in neu verkauft. Doch die VFR bietet für ihren ebenfalls hohen Preis zumindest ein einzigartiges Erlebnis, einen Nineties-Sporttouring-Flashback mit LED-Lampen, ABS, Traktionskontrolle und schön integrierten Koffern. Wer sich dagegen verbundenen Auges auf die GSX-S setzt, wird nie erraten, was er da gefahren ist. Wars eine wenig gefahrene Honda CB 1000 R? Ach, sowieso egal.

Der Kollege der MO, der die GSX-S als Dauertest-Pate betreut, bat mich um ein Fazit für die Dauertest-Rubrik dort (das Heft liegt gerade am Kiosk). Es lautete: "Suzuki hat sich damals in Deutschland beliebt und erfolgreich gemacht, indem sie gute Motorräder zu günstigen Preisen anboten. Der GSX-S fehlt vielleicht einfach der zweite Teil." Das schrieb ich da so rein in meinem altherrenlichen Leichtsinn, aber KANN Suzuki das mit den günstigen Preisen überhaupt noch? Es ist für einen japanischen Hersteller beim gegenwärtigen Yen-Kurs nicht einfach, ein Motorrad wie diese S als Preisbrecher zu bringen. Suzuki hat wahrscheinlich bereits getan, was sie konnten, auch bei den Kosten für Service, Treibstoff und Zubehörteile.

Schauen wir auf die derzeit bestverkaufte Suzi: Suzukis GSR 750 schafft ihren Preis von 8590 Euro, indem sie mit den Bremsen der SV 650 von 1999 und einem Fake-Schwingenüberzug aus Plastik antritt. Sie hat außerdem (winke, winke, mit dem Zaunpfahl) als eine der wenigen Suzukis ein Design, über das man streiten kann, gut, aber streiten ist besser als schulterzucken. Die GSR ist ein gutes Motorrad, aber zu einem Preis, der eigentlich gar nicht so günstig ist im Konkurrenzumfeld. Yamaha verkauft die FZ8 für 8250, und die hat eine schöne Alu-Bananenschwinge ganz ohne Fake, bissige Festsattelbremsen mit farbig eloxierten Stopfen und überhaupt das Finish, das Yamaha-Kunden bei jedem Aufsitzen erstmal zufrieden durchatmen lässt: Es war richtig, dieses tolle Aluding hier zu kaufen. Und Kawas Z 800 [2] gibt es in der Einstiegsversion für unter 8000 Euro. Das ist ein Preiskampf, den Suzuki aktuell nicht gewinnen kann. Letztendlich führt wohl kein Weg daran vorbei, dass Suzuki sich gänzlich umorientieren muss oder in Europa irgendwann nur noch Autos verkauft.

Stille Werkstattgebete gen Hamamatsu

Suzuki muss eine eigene, möglichst unbesetzte Position in diesem Markt finden, der sich so stark verändert hat. Am besten eine, die mit vorhandenen Stärken zu erreichen wäre. Der Preis-Wert war früher eine. Der Mensch tendiert stets dazu, verlorene Posten mit Ressourcen zu bewerfen, aber es lohnt sich nie. Je schneller eine neue Position bezogen wird, umso günstiger. Eine Facette dieser neuen Position sollte auf jeden Fall "Schrauberfreundlichkeit" sein. Denn Andere werben mit ihrer Schrauberfreundlichkeit, zum Beispiel BMW bei ihrem Superbike damals, 2010. Aber wenn ich an wirklich schrauberfreundliche Sportmotorräder denke, sind das alles Suzukis. Wieso hat nur Suzuki Sitze, deren Schrauben seitlich auf der Verkleidung sitzen, wo man sie sofort findet, erreicht und sie nicht in die Innereien fallen bei der Demontage (hallo, Kawasaki!)? Wieso hat nur Suzuki ein Cockpit, das mit einer Schraube demontierbar ist für die Rennstrecke? Zack, noch die Stecker abziehen, auch für die Blinker, die man dann sofort abschrauben kann. Einen Gummidichtungs-Drehverschluss im Kupplungsdeckel zum Einstellen der Slipper-Kupplung? Und so weiter. Wer etwas an seinem Suzuki-Sportler tun muss, findet überall die freundliche Denkunterstützung eines Ingenieurs aus Hamamatsu: Wir haben daran gedacht, dass du hier ranmusst.

Diese edle Tugend findet sich an vielen der höherwertigen Suzukis. Warum ist denn die GSX-S so günstig in der Wartung? Weil der Werkstattarbeiter sich nicht die Fingernägel und Haare ausreißen muss, um an wartungswichtige Teile zu gelangen. Wenn sie dann noch endlich einen Designer für Motorräder statt Damenshampoopackungen einstellen und anfangen, ein Big Bike vom emotionalen Schlag einer BMW R nineT [3] zu bauen, sehe ich das, was Suzuki gerade fehlt: eine Perspektive. Denn dann darf das auch die Preise kosten, die Suzuki dieser Tage für ihre Arbeit aufrufen muss. Die GSX-S 1000 kann man daher so zusammenfassen: Kaufen Sie das, wenn Sie, umzingelt von besseren Angeboten, ein gutes Motorrad suchen, weil keines der Konkurrenzmodelle ergonomisch passt. Ihr Schrauber wird es Ihnen danken.


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[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Auf-Wunsch-zahm-die-neue-Kawasaki-Z800-1738348.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/The-Soulful-Dynamics-2094655.html