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Menschwerdung einer Marke

Klassiker: Saab 900 Cabrio

Autos Bernd Kirchhahn
Saab 900 Cabrio

Die Geschichte vom Untergang Saabs gibt es in unterschiedlichen Längen und Varianten. Sie soll hier nicht mehr erzählt werden. An dieser Stelle betrachten wir nicht, was wir verloren haben, sondern feiern, was wir einmal hatten. Es folgt eine Festrede auf das Saab 900 Cabrio

Die Geschichte vom Untergang Saabs gibt es in unterschiedlichen Längen und Varianten. Sie soll hier nicht mehr erzählt werden. Es geht darin stets um General Motors und die Trauer um den Saab 900 Turbo. Dazwischen ein paar Worte des Bedauerns und Wirtschaftsplattitüden von Leuten, die immer erst hinterher schlauer sind, gefolgt von irgendwelchen Reminiszenzen an die schwedische Kultur. An dieser Stelle betrachten wir deswegen nicht, was wir verloren haben, sondern feiern, was wir einmal hatten. Und das waren weder Saab 92 noch Saab 96 oder der Saab 900 Turbo. Nein, es folgt eine Festrede auf das Saab 900 Cabrio.

Schlaue Burschen

Es waren die Intellektuellen, die Saab nach vorne brachten. Schlaue Menschen, die sich für eine Karriere als Architekt oder Professor, Chefredakteur oder Wissenschaftler entschieden hatten. Sie erhoben die Schrulligkeiten der Marke zu technischen Raffinessen und wer hätte es schon gewagt, ihnen zu widersprechen? Niemand. Und wer hätte das gewollt? Ein jeder für sich ein feiner Mensch und schlauer Bursche von der Art, mit denen man nicht streiten möchte. Wenn nicht gleich wohlhabende, so doch gut situierte Personen, bescheiden bis zur Selbstaufgabe. Sonst wären sie im Porsche [1] gesessen. Oder im BMW [2].

Und damit begann das Dilemma. Denn bei aller Bescheidenheit: gesehen werden wollten sie ja doch. Aber in einem Saab wird der Fahrer nicht gesehen. Zum einen, weil alle nur das Auto sehen, zum anderen, weil die hohe Gürtellinie des Fahrzeugs die Fensterfläche minimiert. Das war eine der besagten technischen Raffinessen. Also musste es runter, das Dach.

Der Anfang

Aber von vorn. Die Menschwerdung der Marke Saab begann mit dem Saab 99. Es war das letzte Auto an dessen Design Sixten Sason, der Künstler hinter Hasselblad [3], mitwirken sollte. Der Wagen kam 1968 auf den Markt und es folgten im Jahresrhythmus Verbesserungen, Innovationen und Modellpflegen. Eine Scheinwerfer-Reinigungsanlage beispielsweise oder eine Sitzheizung und natürlich prügelte Stig Blomqvist [4] den Wagen über den Fluss und durch die Wälder.

Die Baureihe wurde dann um das Combi-Coupé erweitert, womit die Grundlinie gezeichnet war, mit der aus dem 99 der Saab 900 erwachsen sollte. Eine Metamorphose, mit der sich die Marke allerdings Zeit ließ. Es kann dies als skandinavischer Trotz verstanden werden. Schon als der Saab 96 eingestellt wurde, war dessen theoretischer Nachfolger, der Saab 99, bereits seit zwölf Jahren auf dem Markt. Als die Produktion des Saab 99 wiederum im Jahr 1984 ein Ende gefunden hatte, war der Saab 900 bereits sechs Jahre alt. Vielleicht lag es ja an dieser Sturheit, die Dinge einfach weiterlaufen zu lassen, dass Saab die einzige Marke war, die Neuwagen mit einer Aura gut gepflegter Oldtimer anbot. Anachronistisch, aber schick, edel und überlegen.

Mit einem längeren Radstand, neuer Front und einem turbogeladenem Motor mit 145 PS machte Saab im Jahr 1978 aus dem 99 den 900. Noch einmal acht Jahre vergingen, bis Teile des Schwedenstahls durch Stoff ersetzt wurden. 1986 lancierte die Marke das erste offene Fahrzeug seiner Firmengeschichte: Das Saab 900 Cabrio.

Ein Auto, das dringend nötig war. Denn Saab hatte den Schwung verloren. Rallyelegenden wurden nicht mehr in erster Linie mit Saab in Verbindung gebracht. Das Modellprogramm wurde alt und überhaupt hatte eine Globalisierung eingesetzt, die den kleinen Autofirmen schwer zu schaffen machte. Eigenheiten und Charakter waren auf einem weltweiten Markt nicht mehr gefragt. Plötzlich baute Jaguar günstige Autos, Alfa und Lancia verloren das Extrovertierte und Rover dachte tatsächlich [5] ... ja was haben die sich eigentlich gedacht?

Andere Ligen

Neue Ideen waren gefragt und Saab fiel das Cabrio ein. Wie es sich für die Marke gehört, bauten sie aber nicht irgendeines, sondern eines mit vier, nach damaligen Maßstäben, vollwertigen Sitzen. Das mag heute weder überraschen noch begeistern, im Jahr 1986 war das aber ein mittleres Beben auf dem Automarkt. Denn es gab mit dem BMW 3er lediglich einen vergleichbaren Konkurrenten. Rolls Royce Corniche, Ford Escort und VW Golf [6] hatten zwar grundsätzlich ein ähnliches Lastenheft (kein Dach, vier Sitze) spielten aber in völlig anderen Ligen – nämlich deutlich ober- und unterhalb des Saab 900 Cabrio.

Hinten saß es sich vergleichsweise bequem, auch wenn das Gestänge des Verdecks die Breite ein wenig einschränkte und die hoch schwingende Gürtellinie, positiv formuliert, ein Gefühl der Geborgenheit aufkeimen ließ. Im Verlauf des Modelllebens ließ Saab den Fondpassagieren außerdem alle innovativen Features zukommen, die der Marke das Image verliehen, das sie am Leben erhielt – Gurtstraffer und verstärkte Flanken beispielsweise.

Ganzjahrestauglich

Weil skandinavische Winter ebenfalls zum Image der Marke gehörten, setzte sich das Saab 900 Cabrio an die Spitze, was die Ganzjahres-Tauglichkeit betrifft. Ein Umstand, der vielen Nicht-Saab-Fahrern unbekannt ist. Das führte dazu, dass vielen Freunde der schwedischen Marke blinde Liebe unterstellt wurde. Wer das tat, überschätzte den Purismus von Saab-Fahrern maßlos. Die Dämmung des Stoffdachs war vorbildlich, es gab es eine beheizte Heckscheibe und eine Sitzheizung gegen Aufpreis. Letzteres war frech, schließlich war diese im Saab 96 schon einmal Serienausstattung.

Handbremse hinten

Um klar zu machen, wo Saab das Cabrio sah, waren die ersten Modelle die beiden Turbovarianten (160 PS mit Katalysator, 175 ohne). Erst später kamen kleinere Motoren dazu; ein Zweiliter-Benziner mit 126 PS und ein 2,1-Liter mit 136 PS. Rein technisch profitierte der Wagen außerdem davon, dass es bereits den Saab 9000 gab, der eine Klasse höher auf Kundenfang ging. Dessen technische Neuerungen, allen voran ein Bremssystem mit auf die Hinterräder wirkender Handbremse, wurden dann auch gleich im 900 übernommen. Die Handbremse im 900 wirkt bis ins Jahr 1987 auf die Vorderräder – weswegen jeder Saab-Fahrer dieser Modellreihe auch eine HU-Plaketten-Schnurre zum Besten geben kann, in der es darum geht, dass die Handbremse angeblich nicht funktioniert, weil die falsche Achse getestet wird.

Saab verstand Cabrios als Autos, die in erster Linie offen zu fahren wären. Seine optischen Stärken spielte das 900 Cabrio vor allem ohne Dach aus. Erschwerend hinzu kam eine Art Gummilippen-Spoiler-Hemdkragen, der eine unfassbar wichtige aerodynamische Aufgabe gehabt haben muss, sonst hätten die Ingenieure eine derartige Verschandelung des Fahrzeugs mit Anlauf nicht zugelassen.

Öffnungs-Ritual

Also lieber offen fahren. Was eine feine Choreografie nötig machte. Zuerst musste die Handbremse angezogen werden. Saab wollte damit sicherstellen, dass niemand während der Fahrt das Dach öffnen und es so auf der Autobahn verteilen konnte. Anschließen mussten zwei Haken gedreht werden, woraufhin das Dach bis zur Hälfte geöffnet werden konnte. Dann mussten die Haken wieder eingeklappt werden, damit sie das in den Kofferraum gefaltete Dach nicht beschädigten.

Dort angekommen hätte das Stoffverdeck noch mit drei Plastikteilen abgedeckt werden können. Das tat aber niemand, weil die Plastikteile so unhübsch, unpraktisch und undurchdacht waren, dass sie noch heute unbenutzt, aber verstaubt in Garagen zu finden sein dürften. Denn niemand wollte die mitführen. Niemand. Warnung: Anekdotische Gegenbeweise zeigen nur, dass der, der sie ins Feld führt, nie wirklich ein ernsthafter Cabrio- oder Saab-Fahrer war.

Fliegen mit Gin aus den Zähnen zu putzen

Erst einmal offen wehte und blies es ziemlich im (ehemaligen) Innenraum. Die Unsitte, dass es in einem offenen Cabrio genauso windstill und perfekt klimatisiert zugehen muss wie in einem geschlossenen Cabrio ist ein neuer, nicht unterstützenswerter Zeitgeist. Früher war bei weitem nicht alles besser, aber sich nach dem Abstellen des Saab 900 Cabrios die Fliegen mit Gin aus den Zähnen zu putzen war ein geliebtes Ritual.

1993 erschien eine zweite Generation des Saab 900. Mittlerweile gehörten 50 Prozent der Anteile an Saab General Motors, weswegen reichlich Teile von Opel verwendet wurden. Doch der Saab 900 war so etwas wie die DNA der Marke. Alt ja, aber nicht veraltet. Weil er kein Trittbrettfahrer kurzlebiger Trends war, stand er immer noch halbwegs selbstständig und skandinavisch in den Verkaufsräumen. Erst als 1998 ein Modellwechsel anstand, sollte der Untergang beginnen und damit soll sich in dieser Festrede nicht beschäftigt werden.

Dem Saab 900 Cabrio blieb nach dem Ende der Marke der große Ruhm verwehrt. Er ist eines der am wenigsten gewürdigten Autos in der Geschichte. Einerseits wegen seines berühmten, geschlossenen Bruders. Andererseits wegen seines unrühmlichen Endes. Wenn wir uns für das Jahr 2018 etwas wünschen dürfen, dann einen Korb Lorbeeren für das Saab 900 Cabriolet. Der Anfang ist hiermit gemacht.


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[1] https://www.heise.de/autos/thema/Porsche
[2] https://www.heise.de/autos/thema/BMW
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hasselblad
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Stig_Blomqvist
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Rover-SD1-Last-Gentleman-standing-3901295.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/30-Millionen-VW-Golf-Tops-und-Flops-seiner-Geschichte-1891076.html