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Gefährdung per Gesetz

Kommentar: Motorradfahren ohne Prüfung

Klartext iga
Zweirad

Geht es nach Verkehrsminister Scheuer, sollen Autofahrer künftig Motorräder mit bis zu 125 ccm fahren dürfen – ohne eine weitere Prüfung. Würde das so umgesetzt, wäre es eine schlechte Idee für die Sicherheit im Verkehr

Das Bundesverkehrsministerium plant eine Änderung der Führerscheinregelung nach der Besitzer eines Autoführerscheins Motorräder [1] mit bis zu 125 cm3 Hubraum fahren dürfen ohne eine Führerscheinprüfung dafür ablegen zu müssen. Damit beweist Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer eine erstaunliche Konstanz in seinen übereilten und unausgegorenen Entscheidungen. Nachdem schon die Autobahnmaut für Ausländer [2] und die Erlaubnis, E-Roller auf Bürgersteigen zu fahren, gekippt wurden, wird auch dieser Entwurf hoffentlich wieder eingestampft werden.

Ohne ausreichende Ausbildung

Geplant ist, dass Besitzer eines Klasse-B-Führerscheins zukünftigen nach Absitzen von 90 Minuten Theorieunterricht und sechs praktischen Fahrstunden, die nicht zwingend im Straßenverkehr, sondern auch auf einem Verkehrsübungsplatz stattfinden dürfen, die Fahrerlaubnis von Leichtkrafträdern mit 125 cm3 erteilt bekommen, indem ihr Führerschein um die sogenannte Schlüsselzahl 195 ergänzt wird. Eine Prüfung entfällt, als einzige Voraussetzung muss man dafür lediglich mindestens 25 Jahre alt und seit mindestens fünf Jahren im Besitz des Klasse-B-Führerscheins sein. Es wird also niemand kontrollieren, ob der Kandidat das Motorrad überhaupt beherrscht.

Experten warnen

Viele Experten warnen dringend vor dem Plan: „Auch Autofahrer müssen den Umgang mit mittelschweren Motorrädern gründlich lernen, um sich sicher im Straßenverkehr bewegen zu können. Diese Kompetenz sollte auch in Zukunft von unabhängiger Stelle überprüft werden“, sagt Richard Goebelt, Bereichsleiter Fahrzeug und Mobilität des TÜV-Verbands. Ein Motorrad verhält sich völlig anders als ein Auto und die für das Beherrschen eines motorisierten Zweirads notwendigen Fähigkeiten lassen sich nicht vom Pkw übertragen. Eine sechsstündige praktische Ausbildung – unter Umständen auf einem Übungsplatz – sind dafür auf keinen Fall ausreichend.

Auch Experten aus dem medizinischen Bereich sehen die neue Regelung mit großer Sorge, wie Prof. Dr. Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und Chefarzt im St. Vinzenz Hospital in Köln: „Die aktuelle verkehrspolitische Planung ist besorgniserregend. Wir sehen die Gefahr, dass ohne Fahrpraxis und Fahrsicherheitstraining die Unfallgefahr steigt. Die Freigabe von Motorrädern bis 125 cm3 ohne Schulung mit Prüfung ist fahrlässig. Den Fahrern fehlt die Gefahreneinschätzung, die nur eine strukturierte Ausbildung und entsprechende Praxis leisten können. Nach der Einführung von E-Scootern ist dies eine weitere Planung, die nur zur Erhöhung der Unfallzahlen führen kann.“

Zu viele tödlich verunglückte Motorradfahrer

Der Einwand, dass es diese Regelung in Deutschland schon lange gibt, ist irreführend. Tatsächlich dürfen Klasse-B-Führerscheinbesitzer Leichtkrafträder fahren, ohne je eine Prüfung dafür abgelegt zu haben, wenn sie ihren Autoführerschein vor dem 1. April 1980 erworben haben. Aber es gab damals einen Grund, warum diese Regel nach dem Stichtag aufgehoben wurde: Eine sehr hohe Anzahl an schwer oder sogar tödlich verunglückten Motorradfahrern.

Seitdem haben der Gesetzgeber, die Motorradhersteller, viele Institutionen und auch Vereine wie der z. B. der ADAC zu einer stetig steigenden Sicherheit im Motorradsektor beigetragen und die Zahl der Verunglückten ist seitdem signifikant gesunken. Dennoch kommt es immer noch jedes Jahr zu tausenden Unfällen in die Motorradfahrer verwickelt sind. 2018 starben in Deutschland 699 Motorradfahrer im Straßenverkehr, das war eine Steigerung um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Unerfahrene Biker sind stark gefährdet

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) hält unter den Motorradfahrern vor allem die Altersgruppe von 45 bis 55 Jahren für stark gefährdet. Hier tummeln sich ohnehin schon viele Wiedereinsteiger, also Klasse-A-Führerscheinbesitzer, die aber teilweise seit über zwanzig Jahren nicht mehr gefahren sind, und ihre Fähigkeiten überschätzen.

Wenn nun auch noch Autoführerscheinbesitzer ohne jegliche Motorraderfahrung mit Krädern am Straßenverkehr teilnehmen, wären steigende Unfallzahlen wohl unausweichlich. Denn die Leichtkrafträder, also Motorräder mit 125 cm3 Hubraum, dürfen bis zu 15 PS leisten und erreichen Geschwindigkeiten von über 100 km/h. Im Fall der in Deutschland zurzeit meistverkauften 125er, der KTM 125 Duke, sind es maximal 110 km/h.

Schlechte Erfahrungen in Österreich

Zwar dürfen bereist Sechzehnjährige auf Leichtkrafträdern fahren, aber die haben eine umfangreiche Ausbildung absolviert mit vielen Fahrstunden plus zwölf Sonderfahrstunden und einem mehrwöchigen Theorieunterricht. Wenn das Bundesverkehrsministerium nun plant, völlig unerfahrene Autofahrer auf zwei Rädern am Verkehr teilnehmen zu lassen, ist das eine mehr als fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs. Tatsächlich wäre die neue Regelung zwar mit dem EU-Recht konform, aber Österreich hat diese bereits vor geraumer Zeit umgesetzt und schlechte Erfahrungen damit gemacht.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will angeblich die Mobilität besonders im ländlichen Raum mit der neuen Führerscheinregelung fördern. Dafür gibt es sicherlich sinnvollere Ansätze als unerfahrene Motorradfahrer. Vor allem die in Kurven notwendigen Schräglagen stellen Neulinge vor eine große Herausforderung. Auch beim plötzlichen Bremsen in Schräglage reagiert ein Motorrad anders als ein Auto – es stellt sich auf und verlässt den geplanten Kurvenradius entweder in Richtung Gegenverkehr oder Bordstein bzw. Leitplanke. Bleibt nur zu hoffen, dass Minister Scheuer durch die Warnungen der Experten zur Einsicht gelangt und die geplante Führerscheinregelung fallen lässt.


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