So denkt der Kradist

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Folglich bewege ich mich mit höchster Wahrscheinlichkeit im Auto also selber in geologischen Geschwindigkeitsmaßstäben. Woran liegt das? Früher dachte ich, das liegt bestimmt am besseren Leistungsgewicht. Diese Annahme hat sich allerdings als falsch herausgestellt. Beispiel Honda MSX 125: 10 PS, 100 kg Fahrzeuggewicht, plus 70 kg Fahrer, Helm, Jacke. Das ist selbst ohne Gepäck das Leistungsgewicht der lahmsten Kleinwagen, und trotzdem stellt sich auf der MSX dasselbe Gefühl ein. Jedes moderne Auto könnte einen ausbeschleunigen, jedes Auto ist physikalisch in der Kurve schneller, doch die Eisberge bleiben langsam. Deshalb glaube ich, die veränderte Zeitwahrnehmung resultiert daraus, dass Motorradfahren eigentlich nur wach funktioniert. Wer nicht wach ist, wird schnell tot. Und Wachsamkeit komprimiert eben die Zeit.

Die Frage "Wieso flitzt der da so durch?" lässt sich also einfach beantworten: Er flitzt in seinem Raster gar nicht, er rollt gemütlich. Den Einwand "Aber ich fahre doch schon rund 50 km/h!", möchte ich statistisch entkräften durch GPS-Messungen: Nein, du fährst 36 km/h, sobald am fernen Horizont eine Kurve erscheint. Das ist selbst beim besten Willen nicht "rund 50", das ist auf einer normalen Stadtverkehrsader nur entschuldbar durch Motorschaden oder Verwendung eines Fahrrads. Sollte ich je Verkehrsminister werden, wird ohne Grund Andere behindernd zu langsam fahren (StVO § 3, Abs. 2) mindestens genauso streng verfolgt wie innerorts zu schnell fahren. Was diese Trödler die deutsche Wirtschaft jedes Jahr kosten!

Das Zeitraster beantwortet jedoch nur zum Teil die Folgefrage "Warum müsst ihr immer so kurz vor Kurven überholen? Da seid ihr doch auch nicht wirklich früher daheim!". Wie oben gesehen ist es zunächst einmal im Sattel des Motorrads überhaupt nicht "kurz vor der Kurve", sondern die Kurve liegt noch in ferner Zukunft. Vor allem jedoch zeigt der zweite Teil das häufigste Missverständnis. Wir möchten gar nicht schnell heim. Streng betrachtet haben wir gar kein Ziel. Es geht um den Weg, es geht sehr konkret darum, diese Kurve unbehindert durchzirkeln zu können. Deshalb ist es von höchster Priorität, alles möglichst vorher zu überholen. Für die Autofahrer, die es nicht wissen: Man kann diesem Überholen durch die prinzipbedingt überlegene Kurvengeschwindigkeit des Zweispurfahrzeugs entgegenwirken. Wenn Sie in Geläuf ohne Geraden von einem Motorrad überholt werden, haben Sie einfach nicht alles gegeben.

Doch der beste, einzig wahre Weg, Motorradfahrer im Straßenverkehr zu verstehen, ist: einer sein. Es gibt kein Fahrzeug, das den Fahrer mehr über die Dynamik des Straßenverkehrs lehrt. Experten empfehlen dazu stets, eine Triumph Street Triple 675 zu besetzen. Erwachet! (cgl)