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Unterwegs im VW Passat 2.0 TDI mit 150 PS

Mittelwert

Fahrberichte Martin Franz
VW

Der aktuelle VW Passat verkauft sich als Kombi mit Dieselmotor bestens. Wir wollten wissen, was ihn so erfolgreich macht und haben ihn uns in die Redaktion geholt. Dabei zeigte er keine herausragenden Stärken, wohl aber unerwartete Schwächen

München, 11. Juni 2015 – Ob nun eher Stärken oder doch Schwächen für eine Charakterisierung ausschlaggebend sind, mag höchst unterschiedlich gesehen werden und ist wohl auch nicht ganz einfach zu klären. Autos, die versuchen alles richtig zu machen, haben es aber so oder so schwer. Denn oft genug kommen dabei vermeintliche Alleskönner heraus, die kaum Fehler, aber auch kaum herausragende Talente vorweisen. Zählt der aktuelle VW Passat zu diesen Kandidaten? Für 14 Tage haben wir uns zur Klärung dieser und anderer Fragen einen Variant mit der wohl populärsten Maschine in die Redaktion geholt: den 2.0 TDI mit 150 PS.

Einer der Größten

Der erste Eindruck ist positiv und betrifft das Raumangebot. Es ist vorn wie auch im Kofferraum ausgesprochen großzügig. Gerade bezogen auf das Gepäckabteil lässt sich festhalten: Dieser Kombi ist tatsächlich noch einer. Hinten bietet der Passat dagegen deutlich weniger Platz als ein Skoda Superb, dessen Radstand mit 2,84 m nur 5 cm länger ist als der im Passat. Fairerweise sei freilich erwähnt, dass derzeit kein Kombi auch nur ansatzweise so großzügig in diesem Bereich geschnitten ist wie der Tscheche.

Die aufpreispflichtigen Sitze des Testwagens boten viel Seitenhalt und lassen sich vielfältig einstellen. Ich hätte mir noch eine etwas kräftigere Ausformung der Lordosenstütze gewünscht, was nichts daran ändert, dass es sich auf diesen Sitzen stundenlang ohne Schmerzen aushalten lässt. Die Massagefunktion ist eine nette Spielerei, mehr nicht. Die Kopfstützen lassen sich nicht nur sehr weit nach oben, sondern auch nach vorn rücken.

Kontraste

Schwächen zeigen sich dort, wo wir sie bei VW so ohne weiteres nicht erwartet hätten. Der Testwagen war mit hellem Leder und Holz ausgestattet, was die ansonsten verbauten Materialien in einen seltsamen Kontrast setzt. In der Türverkleidung sind Holz, Leder und Hartplastik direkt nebeneinander eingebaut. Die Kopfstützen sind vorn mit weichem, sauber vernähtem Leder bezogen, hinten mit allerbilligstem Kunststoff verkleidet. Im Testwagen war zudem die Navigationseinheit leicht schief eingesetzt und die linke Seitenverkleidung im Kofferraum lose. Auch wenn der Wagen nirgendwo klapperte: Kleinigkeiten wie diese erzeugen nicht gerade das Gefühl, in einem sorgsam zusammengesetzten Auto zu sitzen. Der Golf, den wir im Januar hier hatten [1], wirkte im Detail viel akkurater verarbeitet. Da passt es fast ins Bild, dass die Seitenwange des Fahrersitzes durch eine dunkle Jeans schnell verfärbt war.

Was VW derzeit gut löst, ist die Bedienung. Das fängt bei dicken, angenehm anzufassenden Lenkrad an, auf dem die Tasten sinnvoll angeordnet sind. Trotz einer großen Funktionsfülle bei Assistenten und Navigationssystem lässt sich fast alles intuitiv bedienen. In den meisten Fällen führt der einfachste Weg zum Ziel. Das große Navigationssystem des Testwagens macht seine Sache in jeder Hinsicht prima. Vor allem fällt immer wieder auf, die vorbildlich die Reaktion auf Eingaben über den Touchscreen funktionieren, der allerdings etwas höher eingebaut sein könnte. Auch die Sprachsteuerung ist verständiger als in manch anderen Autos, die die Redaktion in den vergangenen Monaten hier hatte. Etwas enttäuscht war ich dagegen vom immerhin 1325 Euro teuren Dynaudio-Soundsystem: Der Klang ist okay, aber nicht zu vergleichen mit dem, was etwa Volvo für ähnliches Geld ab Werk bietet. Die Anlage dort klingt leidenschaftlich [2], die im VW versucht alles richtig zu machen.

Ähnliches gilt im Prinzip auch für die Maschine. Mit dem 150-PS-Diesel ist der Passat anständig motorisiert. Sein maximales Drehmoment von 340 Nm liegt zwischen 1750 und 3000/min an, doch schon ab 1300/min ist ausreichend „Druck“ vorhanden. Die maximale Leistung steht zwischen 3500 und 4000/min bereit. Noch höher zu drehen ist sinnlos, denn dann wird die Leistungsentfaltung zäh. Wer sich zwischen 1300 und 3500/min aufhält, kann über fehlende Leistung eigentlich nicht klagen. Es gibt Motoren in dieser Klasse, die antrittstärker, leiser oder auch sparsamer sind. VW hat aber insgesamt einen recht ordentlichen Kompromiss aus diesen Kerntugenden zusammengestellt.

Blue Score Trainer

Im NEFZ ist dieser 2.0 TDI, der ohne AdBlue auskommt, mit 4,1 Litern angegeben. Mit einiger Zurückhaltung haben wir mal 4,7 Liter hinbekommen, was sicher auch mit der üppigen Bereifung des Testwagens zu tun hat. Auf die 18-Zoll-Felgen waren Reifen im Format 235/45 R18 aufgezogen. Eine nette Spielerei ist der Blue Score Trainer, der die Fahrweise überwacht und Punkte vergibt. Mein Bestwert war 97 von 100 möglichen Punkten, weniger als 65 waren es auch bei einer Gangart, die ich schon ausgesprochen flott nennen würde, nie.

Über den gesamten Testzeitraum kamen wir auf 5,9 Liter, ohne das der Wagen besonders zurückhaltend oder aggressiv bewegt worden wäre. Anders ausgedrückt: Abweichungen sind je nach Naturell des Fahrers nach oben wie auch nach unten möglich. Aktuell sind bei Spritmonitor nur 15 vergleichbare Passat gelistet, die im Schnitt rund 6 Liter verbrauchen.

Im Testwagen war das adaptive Fahrwerk eingebaut, was zwischen den Modi „Comfort“ und „Sport“ tatsächlich deutlich fühlbare Unterschiede bietet. Allzu weite Ausreißer leistet sich VW dabei nicht: Der Passat wird weder zur schaukligen Angelegenheit noch zum unnachgiebigem Sportler. Klar zu spüren sind allerdings Antriebseinflüsse in der Lenkung, wenn man beispielsweise gar zu rabiat einen Kreisverkehr verlässt.

Gewerbewagen

Ein derart gut ausgestatteter Passat wie unser Testwagen kostet laut Liste mehr als 50.000 Euro, wobei ihm zur Komplettausstattung nicht mehr viel fehlte. Ob es diese Opulenz nun braucht, liegt sicher im persönlichen Ermessen. Die beiden Ausstattungslinien Trendline und Comfortline sind erheblich billiger als die von uns gefahrene Topversion Highline. Der Basis verwehrt VW einiges, was sich für die Comfortline gegen Aufpreis ordern lässt. Dazu gehören Dinge wie Ledersitze, das große Navi, einige Assistenzsysteme oder auch die Alarmanlage. Wir raten zur mittleren Variante Comfortline, sofern nicht ohnehin eine ausgesprochen luxuriöse Ausstaffierung angestrebt wird.

Dann ist ein Listenpreis von unter 40.000 Euro möglich, ohne dass etwas Existenzielles fehlt. Damit wird andererseits eines deutlich: Der Listenpreis spielt in der Praxis nur noch eine geringe Rolle. Der Passat wird neu zu mehr als 90 Prozent gewerblich zugelassen. Seine Rolle als braver Familientransporter tritt er meistens erst in zweiter Hand an.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/VW-Golf-1-2-TSI-mit-110-PS-im-Fahrbericht-Befoerderungsmitte-2514473.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Volvo-S60-D4-im-Fahrbericht-Ein-neuer-Tonfall-2185131.html