Agiles Projektmanagement: nichts für Anfänger?!

Letztens war ich auf einer interdisziplinären Projektmanagement-Konferenz, die unter dem Motto "Agiles Projektmanagement" stand. Als Informatiker verstehe ich unter "agilem PM" natürlich einen ganz bestimmten Ansatz, d.h. eine Menge konkreter Konzepte (regelmäßige Lieferung brauchbarer Versionen in kurzen Iterationen, regelmäßige Retrospektiven, hohe Kundeneinbindung etc.). Auf der Konferenz stellte sich heraus, dass Nichtinformatiker, beispielsweise Projektmanager, die Flugzeuge oder Gebäude bauen, "agiles PM" vor allem im Wortsinne verstehen, also einfach als "bewegliches Projektmanagement".

Trotzdem wurde in vielen Diskussionen hierzu deutlich, dass die Beteiligten trotz unterschiedlicher Herkunft und Kontexte die Konzepte, die wir Informatiker unter "agil" subsumieren, ebenfalls sehr positiv sehen. Wobei andere Branchen ja auch andere Möglichkeiten haben bzw. eben nicht haben. Wer über einen Zeitraum von 10 Jahren einen Satelliten baut, der möglicherweise auch erst mehrere Jahre nach Abschuss ins Weltall in Betrieb geht, wird schwerlich inkrementell das System in Produktion stellen können.

Mein Eindruck war, dass je erfahrener die Projektmanager waren, desto selbstverständlicher waren ihnen die Konzepte des agilen PM, wobei diese oftmals eine etwas andere Terminologie verwendeten. Andererseits habe ich in den letzten Jahren auch immer wieder Projektleiter kennengelernt, die beispielsweise XP-Konzepte anwendeten oder anwenden wollten, dabei aber einen recht naiven Eindruck machten, d.h. die eine oder andere (negative) Implikation oder Konsequenz nicht wahrnahmen.

Das führt mich zu der Frage: Ist agiles Projektmanagement ein Projektmanagement für Profis?

Folgende Gedankenkette steckt dahinter: Agil bedeutet beweglich / Für Beweglichkeit brauche ich entsprechende Freiheiten / Freiheit heißt ggfs. auch Abweichung vom Üblichen / Die Kehrseite von Freiheit heißt Verantwortung / Je mehr Freiheit ich habe oder mir nehme, desto mehr Verantwortung habe ich zu tragen / Wie werde ich der Verantwortung gerecht? / Es bedarf hierzu Kompetenz / Wenn ich keine Ahnung habe, kann ich die Verantwortung nicht tragen, selbst wenn ich es wollte / Jemand, der viel Erfahrung und Wissen in einem Gebiet hat, hat wahrscheinlich eine höhere Kompetenz und kann also auch mehr Verantwortung übernehmen.

Dann könnte man kurz zusammengefasst sagen: Agiles Projektmanagement sollte von erfahrenen und qualifizierten Projektleitern angewendet werden. Und im Umkehrschluss: Agiles Projektmanagement ist nichts für unerfahrene oder PM-Anfänger.

Ist das so?

Für mich fühlt sich diese Aussage durchaus schlüssig an, weil ich viele Beispiele kenne, wo sie passt. Langjährige Projektleiter, meistens auch mit entsprechender formaler Qualifikation und Zertifizierung (z.B. GPM oder PMI), die agile Managementkonzepte sehr selbstverständlich, souverän und erfolgreich einsetzen. Und Anfänger, die mit agilen Techniken herumprobieren und anwenden auf Phänomene, die sie gar nicht recht verstehen.

Da fällt mir doch noch ein Zitat ein: "Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit; das ist der Grund, warum die meisten Menschen sich vor ihr fürchten." George Bernard Shaw (1856-1950) ()