Die Rückkehr des großen Bruders

Frankreichs Regierungschef will die Künstliche Intelligenz nicht allein dem Silicon Valley überlassen. Ist das eine Verheißung oder eine Bedrohung?

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Was Innovationsfähigkeit und Zukunftsorientierung angeht, hatten Staaten noch vor kurzem einen ziemlich miesen Ruf weg. Nur private, profitorientierte Unternehmen, so die Logik des dominanten neoliberalen Denkens, wären in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Kunden wirklich zu erkennen - und natürlich auch mit Geld wirklich wirtschaftlich umzugehen. Wenn staatliche Verwaltungen und Betriebe aber nicht einmal in der Lage wären auf aktuelle Bedürfnisse einzugehen, wie sollten sie dann erkennen, was in Zukunft wichtig sein würde?

Der rasante Aufstieg des Silicon Valley goss gewissermaßen Benzin in diese Flammen. Radikale Vordenker der neuen Hightech-Elite propagierten gar die komplette Abschaffung des Staates - oder zumindest seine Reorganisation nach den Erfolgsprinzipien der Internet-Giganten. Kein Wunder, dass im Zuge dieser Entwicklung auch auch die staatliche Forschungsförderung unter den Verdacht der ineffizienten Geldverschwendung geriet.

Seit einigen Jahren gerät diese Position jedoch zunehmend in die Defensive: Eine wachsende Zahl von Experten betont, nur Staaten wären in der Lage, die Grundlagen für technische Durchbrüche zu legen - und hätten das im Übrigen in der Vergangenheit auch sehr erfolgreich getan. Die Ökonomin Maria Mazzucato erklärt immer wieder gerne, dass Apple gar nicht so innovativ sei wie oft kolportiert. Der Konzern habe lediglich öffentlich finanzierte Technologie clever zusammengesetzt: Die Sprachassistentin Siri beispielsweise wurde von der DARPA entwickelt, der Touchscreen vom CIA und das GPS von der US Navy.

Bis vor kurzem war die Debatte allerdings noch ein wenig akademisch. Denn die Googles, Facebooks und Baidus dieser Welt bestimmten das Tempo und die Richtung bei der Entwicklung einer der wichtigsten neuen Technologien des 21. Jahrhunderts: der Künstlichen Intelligenz.

Jetzt drängen sich massiv staatliche Akteure ins Bild. Erst China mit seinem Plan bis 2030 die führende KI-Nation der Welt zu werden, und dann die EU, die ebenfalls ein milliardenschweres KI-Förderungsprogramm auflegen will. Was dem französischen Präsident allerdings offenbar nicht gereicht hat, denn die französische Regierung hat eine eigene nationale KI-Offensive angekündigt und will ebenfalls 1,5 Milliarden Euro in die Förderung der KI stecken.

In einem langen Interview mit Wired packte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Initiative in große Worte, die tatsächlich einige weit reichende Ankündigungen enthalten. So will die französische Regierung beispielsweise sämtliche Software, die im Rahmen dieser Initiative entwickelt wird, offenlegen - genau wie die Daten der französischen Verwaltung. Im Großen und Ganzen bleibt das Interview allerdings vage.

Unbedingt zur genaueren Lektüre kann ich daher nur den Bericht empfehlen, der den Rahmen für das Programm umreißt. Das Papier umfasst zwar satte 125 Seiten mit vielen Verwaltungsfloskeln, aber auch spannende Details. So denkt man beispielsweise über die Einrichtung von "Innovation Sandboxes" nach, in denen Unternehmen ihre Entwicklungen "unter realistischen Bedingungen" testen können. Und natürlich ist ein zentraler Bestandteil des Plans der Aufbau von bis zu sechs neuen interdisziplinären Forschungseinrichtungen - deren Ziele von der Politik definiert werden. Was das für die weitere Förderung der Informatik an französischen Hochschulen bedeuteten wird, wäre eine andere, aber auch sehr interessante Frage.

Das neue Gewicht staatlicher Akteure bei der weiteren Entwicklung der KI kann mich jedenfalls nicht wirklich beruhigen. Dass die chinesische KP die Technologie nicht für Frieden und Demokratie verwenden wird, ist erwartbar. Dass Facebook und Co. sich jeder öffentlicher Kontrolle entziehen und bei denen im Zweifelsfall Profit vor Moral geht, ist eigentlich auch klar. Der Vorstoß von Macron lässt allerdings befürchten, dass auch hier in Europa ein mächtiger, staatlich-industrieller Komplex entstehen wird, dessen öffentliche Kontrolle zumindest sehr schwierig werden wird. Im schlimmsten Fall wäre das sozusagen die Rückkehr des "großen Bruders" - einer Superbehörde mit Kontrolle über Daten und Algorithmen. Die Tatsache, dass dieses Problem eigentlich fast niemanden interessiert, weil eigentlich alle andere Sorgen haben, macht die Sache nicht besser.

(wst)