Ein Plädoyer fürs Handy-Tuning

Schwarz oder weiß - das Symbol westlicher Individualisten, das iPhone, gibt es nur im quasi-maoistischen Einheitslook. Die vermeintlich kollektivistischen Japaner verpassen ihren Mobiltelefonen dagegen mit Basteleien eine persönliche Note.

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Von
  • Martin Kölling

Ein Phänomen hat mich schon immer fasziniert: Wie sich vermeintliche Individualisten mit Begeisterung freiwillig dem Einheitsdesign-Diktat bestimmter Firmen verschreiben.

Apples iPhone gibt es beispielsweise in genau zwei Farbvarianten, schwarz und weiß. Selbst im hochmaoistischen China gab es Mao-Anzüge in immerhin drei Farben – grau, khaki und indigoblau. Was bin ich daher froh, dass sich die vermeintlich kollektivistischen Japaner gegen das iPhone-Einerlei auflehnen.

Selbst der offizielle japanische Vertriebspartner, der Mobilnetzbetreiber Softbank, bietet inzwischen diverse Schmuckhüllen für das Apple-Gerät an. Den Vogel schießen aber fünf ansehnliche, super-edle japanische Lackarbeiten mit je dem Familienzeichen eines berühmten Samurai ab. Das Quintett besteht aus Oda Nobunaga, Date Masamune, Uesugi Kenshin, Naoe Kanetsugu und Sanada Yukimura. Kostenpunkt 99.800 Yen, rund 750 Euro.

Softbanks Initiative ist allerdings nur die dekadente Spitze eines Massentrends: dem Handy-Tuning. In den letzten Jahren hat der Drang der Japaner, ihre Geräte individuell zu gestalten, eine regelrechte Industrie geschaffen. In Kaufhäusern werden Perlen, Glastand, Bilder und Ornamente zum Aufmotzen des Handys in Heimarbeit angeboten. Inzwischen gibt es sogar kleine Tuning-Studios, in denen Frau und Mann die Individualisierung ihres Lebensmittelpunkts in Auftrag geben kann.

In Nippon können sich viele Menschen ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen. Aber selbst vor Subnetbooks wie Sharps just vorgestelltem "Netwalker" macht der Trend nicht halt. Schon bei der Presseschau des neuen, kaum mehr als Handteller-großen Minirechners wartete der Hersteller nicht nur mit diversen Hüllen, sondern sogar mit auffallenden Schmuckideen auf – beispielsweise einer Rose.

Die Entwicklung zeigt mir eins: In Japan ist das Handy bereits dabei, dem Auto als Ausdruck des Individualismus den Rang abzulaufen. Nicht nur sinkt die Zahl der Fahrzeuge seit Jahren (auch schon vor der Krise), während die Zahl der Handys steigt. Auch die einst in Japan so starke Auto-Tuning-Branche leidet, weil immer weniger junge Männer sich Autos mit Spoilern, Zusatzlichtern und anderen Produkten aufdonnern. Stattdessen stecken sie ihr Geld in den Mobilfunk.

Ich bin mir sicher, dass dieser Trend – wenn auch wahrscheinlich abgeschwächt – sogar in Deutschland Fuß fassen könnte. Denn eines muss man dem iPhone lassen: Es hat den Rückstand der Welt auf Japan in der Nutzung des mobilen Internets erheblich verringert. Damit dürften sich auch die in Japan bereits deutlich ausgeprägten sozialen Konsequenzen der Allgegenwart des Netzes in der Hand stärker zeigen.

Der Beweis für meine These bin ich selbst. Ich muss gestehen: Beim Schreiben dieses Blogs bin ich schwach geworden. Als ich zur Auffrischung meiner Erinnerung ins Kaufhaus ging und vor den Regalen mit Handy-Schmuck stand, fiel mir ein Yin-Yang-Aufkleber ins Auge. Nun schmückt er auch schon mein Gerät. wirklich sehr individuell. (wst)