Eine Frage des Vertrauens: Finger weg vom Homeoffice!

Viele Konzerne wollen das Homeoffice abschaffen. Die Politik hingegen diskutiert über ein gesetzlich verankertes Recht darauf. Was spricht dafür, was dagegen?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Ein Mann sitzt am Computer im Homeoffice und denkt ans Großraumbüro

(Bild: Erstellt mit Dall-E von iX-Redaktion)

Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Golo Roden
Inhaltsverzeichnis

Finger weg vom Homeoffice! Dieser Titel ist so wunderbar zweideutig: Einerseits kann man ihn als Warnung verstehen, bloß nicht erst mit dem Homeoffice anzufangen. Andererseits lässt sich dieser Titel auch als Aufforderung deuten, das inzwischen doch weit verbreitete Homeoffice nicht anzutasten oder es in Frage zu stellen. Im Sinne von:

"Nehmt uns bloß nicht unser lieb gewonnenes Homeoffice weg!"

the next big thing – Golo Roden

Golo Roden ist Gründer und CTO von the native web GmbH. Er beschäftigt sich mit der Konzeption und Entwicklung von Web- und Cloud-Anwendungen sowie -APIs, mit einem Schwerpunkt auf Event-getriebenen und Service-basierten verteilten Architekturen. Sein Leitsatz lautet, dass Softwareentwicklung kein Selbstzweck ist, sondern immer einer zugrundeliegenden Fachlichkeit folgen muss.

Und genau dieser Titel spiegelt auch wunderbar die derzeitige gesellschaftliche Lage wider: Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Konzerne, die das Homeoffice am liebsten wieder komplett abschaffen würden. Auf der anderen Seite steht die Politik, die derzeit immerhin darüber nachdenkt, ob es nicht ein gesetzliches Recht auf Homeoffice geben sollte. Und bei so viel Hin und Her, so viel Pro und Contra, stellt sich natürlich die Frage: Wer hat denn nun eigentlich recht? Was haben wir wirklich Positives vom Homeoffice? Und welche negativen Aspekte bringt es möglicherweise mit sich? Und genau um diese Fragen geht es im heutigen Blogpost.

Bevor wir richtig loslegen, noch eine kleine Ankündigung in eigener Sache: In den vergangenen beiden Blogposts hatte ich gefragt, ob Interesse besteht, dass ich einmal den von uns bei the native web gelebten Entwicklungsprozess vorstelle. Da das Feedback sehr positiv war, wundern Sie sich jetzt vielleicht, dass es heute nicht um diesen Prozess geht. Der Grund, warum wir heute nicht über unseren Prozess sprechen, ist ganz einfach: Wir glauben, dass eine umfassende Beschreibung den Umfang eines Blogposts deutlich übersteigen würde, zumal es sicherlich zahlreiche Fragen dazu geben wird.

Daher wollen wir uns für dieses Thema mehr Zeit nehmen und veranstalten am kommenden Mittwoch, 25. September, um 18 Uhr einen Livestream, in dem wir uns unserem Prozess ausführlich widmen können. Wenn Sie diesen Livestream nicht verpassen wollen, rufen Sie ihn jetzt schon einmal auf und aktivieren Sie dort die Erinnerung, damit YouTube Sie rechtzeitig daran erinnern kann. Alternativ können Sie den Termin natürlich auch ganz klassisch in Ihren guten, alten Kalender eintragen. Und damit zurück zum eigentlichen Thema.

Homeoffice ist für die meisten Menschen, die in der IT-Branche tätig sind, etwas, das im größeren Stil erst seit der Corona-Pandemie existiert. Klar, auch davor war es je nach Unternehmen möglich, mal den einen oder anderen Tag von zu Hause zu arbeiten, aber die Regel war das sicherlich nicht. Tatsächlich ist das bei uns, also bei the native web, ein wenig anders. Wir arbeiten seit unserer Gründung im Jahr 2012 vollständig remote – zu 100 Prozent. Das heißt, bei uns gab es de facto noch nie etwas anderes als Homeoffice.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Sowohl meine Kolleginnen und Kollegen als auch ich schätzen die Vorteile dieser Arbeitsweise sehr: Homeoffice bietet uns allen eine viel höhere Flexibilität im Alltag. Man kann zwischendurch einkaufen gehen, man kann einen Spaziergang machen oder mit dem Hund rausgehen, man kann bei den Hausaufgaben helfen, als Familie gemeinsam zu Mittag essen, man spart sich die Zeit, die sonst für das Pendeln draufgeht, und vieles mehr. Kurz gesagt: Man hat eine ganz andere Lebensqualität.

Aber das Arbeiten von zu Hause aus hat nicht nur Vorteile. Es kann schnell zur sozialen Isolation führen. Es kann dazu führen, dass man, wenn es an Selbstdisziplin und Eigenverantwortung mangelt, den Job vernachlässigt. Es kann zu Konflikten in der Partnerschaft führen, weil man zwar körperlich, aber nicht gedanklich zu Hause ist. Es kann zu Schwierigkeiten kommen, wenn das Privatleben und die beruflichen Anforderungen miteinander kollidieren. Kurz gesagt: Homeoffice ist nicht zwangsläufig ein Zuckerschlecken, sondern kann auch sehr anstrengend werden.

Hinzu kommt, dass Homeoffice natürlich nicht für jede Branche gleichermaßen geeignet ist: Was in der Softwareentwicklung sehr gut funktionieren kann, wird in IT-Berufen, die auf Spezialhardware wie Roboter oder Ähnliches angewiesen sind, schon schwieriger. Und über Berufe außerhalb der IT müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen: Es ist zum Beispiel völlig illusorisch anzunehmen, dass jemand in der Gastronomie oder in der Pflege von zu Hause arbeiten könnte. Im Gegenteil, dort ist die physische Präsenz oft unerlässlich. Daher beziehe ich mich im Folgenden ausschließlich auf die IT-Branche, und alle Aussagen, die ich treffe, sollten in diesem Kontext verstanden werden.

Und damit kommen wir zu einem Punkt, der seit etwa zwei Jahren immer wieder heiß diskutiert wird: nämlich die Pflicht, ins Büro zurückzukehren. Das ist ja etwas, was vor allem die größeren Tech-Konzerne gerne fordern. Wobei, um fair zu bleiben, nicht nur die Großen betroffen sind: Solche Forderungen gibt es auch im kleineren Rahmen, nur führt das dann eben nicht zu so vielen Schlagzeilen. Ein krasses Negativbeispiel sind Elon Musk und Tesla. Im Sommer 2022 stellte Musk den Tesla-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern ein Ultimatum: Entweder sie kehren ins Büro zurück oder sie kündigen. Wenn man sich ansieht, wie Musk generell mit seinen Angestellten umgeht, wird schnell klar, dass ihm völlig egal ist, wer jemand ist oder welche Aufgabe jemand im Unternehmen übernimmt: Wer nicht zurückkommt, wird eben entlassen, immerhin hatte man ja die Wahl. Sinngemäß: "Dein Problem, wenn Du Dich (aus seiner Sicht) falsch entschieden hast."

Nun ist es vielleicht nicht so, dass jedes Unternehmen, das die Rückkehr ins Büro fordert, direkt so hart vorgeht. Aber immer wieder hört man von Unternehmen, in denen das Thema "zu Hause arbeiten versus im Büro anwesend sein" für Spannungen sorgt. Für mich stellt sich dabei die Frage: Warum fordern so viele Unternehmen die Rückkehr ins Büro? Ich habe dazu meine eigene Theorie. Natürlich weiß ich nicht, ob sie zutrifft, und ich will auch nicht jedem Unternehmen pauschal unterstellen, dass es so ist. Aber ich kenne genug Firmen, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass meine Theorie ziemlich genau die Gründe trifft, warum die Rückkehr ins Büro gefordert wird.

Meine Theorie lautet: Es geht um fehlende Kontrolle. Viele Führungskräfte, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe, denken: Wenn jemand nicht vor Ort ist, kann man sie oder ihn auch nicht kontrollieren. Und wenn jemand nicht vor Ort ist, woher soll man dann wissen, ob diese Person auch wirklich arbeitet? Und nur um das klarzustellen: Ich will hier nicht alle Führungskräfte über einen Kamm scheren. Es gibt auch viele fähige und gute Vorgesetzte, aber es gibt eben auch schwarze Schafe.

Persönlich halte ich von dieser Argumentation übrigens überhaupt nichts. Die bloße Tatsache, dass jemand im Büro körperlich anwesend ist, bedeutet noch lange nicht, dass diese Person tatsächlich arbeitet. Man kann, und das sage ich aus eigener Erfahrung, auch sehr intensiv im Internet surfen, an privatem Code arbeiten, Spiele spielen und so weiter, und dabei so tun, als sei man schwer beschäftigt. Wer das Ganze noch auf die Spitze treiben will, kann sich mit zwei oder drei Kolleginnen und Kollegen einen Konferenzraum buchen. Denn wer im Konferenzraum wild diskutiert, muss ja arbeiten, oder? Dass hinter verschlossener Tür vielleicht lediglich die Bundesliga-Ergebnisse vom Wochenende besprochen werden, darauf kommt natürlich niemand.

Der Punkt ist: Körperliche Anwesenheit und tatsächliches Arbeiten sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Und wenn ein Unternehmen Zweifel daran hat, dass jemand arbeitet, nur weil die Person nicht physisch präsent ist, dann ist das aus meiner Sicht kein Problem von "Homeoffice ja oder nein", sondern von fehlendem Vertrauen. Und wenn es eigentlich um fehlendes Vertrauen geht, dann liegt das tatsächliche Problem sehr viel tiefer.

Wenn man den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, nicht vertrauen kann, wird das auch nicht besser, wenn sie vor Ort sind. Dann hat man lediglich die Illusion von Kontrolle. Aber fehlendes Vertrauen ist ein gravierendes, fundamentales Problem für die Zusammenarbeit. Und ich glaube, und das ist meine Theorie, dass die meisten Unternehmen, die so vehement die Rückkehr ins Büro fordern, ein großes Vertrauensproblem in ihrer Unternehmenskultur haben. Es ist aber so viel einfacher, die Symptome zu bekämpfen, indem man fordert, die Leute sollen doch bitte zurück ins Büro kommen, als sich mit den eigentlichen Ursachen auseinanderzusetzen und zu fragen, warum das Vertrauen eigentlich fehlt.

Das Problem dabei ist, dass man Vertrauen nicht anordnen kann. Ich kann nicht befehlen, dass plötzlich Vertrauen herrscht. Es gibt keine Technologie und kein Tool, das mir dabei wirklich helfen kann. Vertrauen muss gegeben werden, es kann nicht eingefordert werden. Und ich weiß, dass es Menschen gibt, die anderen mit einem großen Vertrauensvorschuss begegnen, und andere, die sagen, dass man sich Vertrauen erst verdienen muss. Beide Ansichten sind für mich in Ordnung, aber es müssen eben beide Seiten (das Unternehmen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) ihren Beitrag leisten, damit langfristig eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist.

Was schafft denn Vertrauen? Aus meiner Sicht als einer der Geschäftsführer von the native web gibt es einen zentralen Punkt, den ich immens wichtig finde und der auch essenziell für unsere Unternehmenskultur ist: Vertrauen entsteht vor allem dann, wenn man sich gehört und wertgeschätzt fühlt. Wenn man merkt, dass das Gegenüber die eigenen Anliegen ernst nimmt und sich auch ernsthaft bemüht, Verbesserungen vorzunehmen, zu unterstützen und zu helfen.

Deswegen sage ich jeder neuen Mitarbeiterin und jedem neuen Mitarbeiter am ersten Tag, dass sie oder er alles, was merkwürdig, ineffizient oder unlogisch erscheint, jederzeit offen ansprechen kann. Nur so besteht die Chance, dass Dinge verbessert werden, die bislang vielleicht niemandem aufgefallen sind oder die niemand hinterfragt hat. Natürlich kann es sein, dass einer neuen Mitarbeiterin oder einem neuen Mitarbeiter etwas auffällt, das einen nicht sofort ersichtlichen tieferen Sinn hat. Aber auch das ist nicht schlimm: Wird es angesprochen, gibt es im Zweifelsfall eine gute Erklärung, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Es gibt also entweder einen Lerneffekt (was gut ist) oder es führt zu einer Verbesserung (was ebenfalls gut ist).

Und das gilt nicht nur für technische und organisatorische Prozesse, sondern auch für alles andere. Ich möchte, dass meine Kolleginnen und Kollegen jederzeit zu mir kommen und sagen können:

"Hey Golo, mich bedrückt etwas."

oder:

"Mich beschäftigt etwas."

Natürlich mache auch ich Fehler, aber ich bemühe mich zumindest stets, auf solche Anliegen einzugehen, einen Rat zu geben oder etwas zu verändern. Außerdem frage ich oft auch von mir aus nach, wenn ich den Eindruck habe, dass jemand nicht so gut gelaunt ist wie sonst oder ich anderweitig das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt. Ich spreche die Person dann im Einzelgespräch an und frage, ob alles in Ordnung ist. Oft stellt sich heraus, dass alles okay ist, manchmal jedoch entsteht ein wertvolles Gespräch. Für mich ist es wichtig, auf Augenhöhe und mit Respekt miteinander umzugehen, denn das schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre. Und das ist etwas, was wir bei the native web meiner Meinung nach ganz gut hinbekommen.

Allerdings reicht Vertrauen allein nicht aus, damit Remote-Arbeit gut funktioniert. Es braucht noch etwas anderes. Und das habe ich vorhin schon kurz erwähnt, als ich über die Vor- und Nachteile des Homeoffice gesprochen habe, nämlich Selbstdisziplin und Eigenverantwortung. Gerade weil die physische Komponente im Homeoffice fehlt, ist es wichtig, dass man sich selbst organisiert und Verantwortung übernimmt.

Wenn ich zum Beispiel an einem Problem festhänge, kann ich nicht einfach zur Kollegin oder zum Kollegen am Nachbartisch gehen und um Hilfe bitten. Ich bin erst einmal auf mich allein gestellt. Natürlich kann ich versuchen, jemanden zu erreichen, aber je nachdem, womit die anderen gerade beschäftigt sind, klappt das nicht immer sofort. Dann darf ich mich jedoch nicht einfach zurücklehnen und stundenlang nichts tun, sondern muss konstruktiv nach einer Lösung suchen. Als Vorgesetzter ist mir persönlich dabei aber gar nicht so wichtig, ob die Lösung am Ende klappt. Mir ist vielmehr die Initiative wichtig. Es ist völlig in Ordnung, wenn mir dann jemand sagt:

"Ich habe dies und das und jenes ausprobiert, aber es hat aus diesen und jenen Gründen nicht funktioniert."

Dann weiß ich nämlich: Die Person hat sich bemüht. Und das zeigt mir, dass mein Gegenüber die Arbeit ernst nimmt, auch wenn es in dieser Situation vielleicht einfacher gewesen wäre, nichts zu tun. Und das wiederum weiß ich zu schätzen.

Insofern ist das mit dem Vertrauen eine gegenseitige Angelegenheit: Meine Kolleginnen und Kollegen müssen mir vertrauen können und ich muss ihnen vertrauen können. Das ist jedoch der Punkt, der in vielen Unternehmen fehlt: gegenseitiges Vertrauen, das auf Respekt, Menschlichkeit und auf einem Umgang auf Augenhöhe basiert. Wenn dieses Vertrauen aber gegeben ist, dann spielt es keine Rolle, ob man remote oder vor Ort arbeitet. Wenn es jedoch fehlt, dann hilft es auch nicht, die Leute zurück ins Büro zu zwingen. Dann liegt das Problem viel tiefer, denn die Teamzusammenstellung oder die Arbeitskultur passt irgendwo nicht.

Dieses Vertrauen und dieser gegenseitige Respekt sind die Basis für so vieles im Unternehmensalltag. Ein Beispiel: Wir bei the native web kommunizieren viel schriftlich über Slack (also asynchron). Und es kommt vor, dass ich am Wochenende oder mitten in der Nacht eine Idee habe und diese in Slack schreibe. Nun gilt aber: Nur weil ich am Wochenende schreibe, erwarte ich von meinen Kolleginnen und Kollegen keine sofortige Antwort. Es ist völlig in Ordnung, wenn ich erst am Montagmorgen eine Antwort bekomme. Nichts ist jemals so dringend, dass ich jemanden am Feierabend, am Wochenende oder gar im Urlaub stören würde. Und das Interessante dabei: Gerade weil wir diese Grenzen respektieren, bekomme ich oft sogar am Wochenende oder abends noch eine Antwort, obwohl ich explizit geschrieben habe, dass es nicht eilig ist. Das Paradoxe ist also: Weil ich nichts fordere, wird viel eher gegeben. Und das schätze ich sehr.

Der Punkt ist aber: Mir ist jedes Mal, wenn ich dann doch schon vor Montagmorgen eine Antwort bekomme, klar, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, dass das etwas Besonderes ist, das ich wertzuschätzen weiß und wofür ich dankbar bin. Und das äußere ich dann auch. Denn mir ist wichtig, das zu respektieren. Und eigentlich sollte all das überhaupt nicht erwähnenswert sein, aber leider sieht die Praxis in vielen Unternehmen anders aus.

Meine Rolle als Vorgesetzter sehe ich dabei nicht darin, das Team anzuführen, wie das in vielen Unternehmen der Fall ist. Ich sehe meine Aufgabe eher darin, das Team zu schützen und auf mein Team aufzupassen. Ich bin also weniger der Löwe, der mit Gebrüll vorneweg rennt und einen auf "Big Boss" macht, sondern vielmehr bin ich die Entenmama, die aufpasst, dass keinem ihrer Küken etwas passiert. "Fürsorge" ist, denke ich, hier das passende Wort. Es ist vielleicht nicht die verbreitetste Art von Management, aber es ist zumindest meine.

Und aus genau dieser Perspektive heraus hatten wir übrigens auch sehr lange keine Zeiterfassung. Wir haben immer mit Vertrauensarbeitszeit gearbeitet, und bei uns hat noch niemals jemand Überstunden gemacht. Das ist in zwölf Jahren noch kein einziges Mal vorgekommen. Natürlich kommt es vor, dass man mal ein oder zwei Stunden länger macht, weil man noch etwas fertigstellen möchte, aber: Ich sehe das eher wie eine Einladung zum Essen unter Freunden. Mal zahlt der eine, mal der andere, aber am Ende gleicht sich das aus. Genauso deshalb ist es auch völlig in Ordnung, wenn jemand mal früher Schluss macht. Es wird auch wieder Tage geben, an denen es länger dauert, und solange sich das ausgleicht, und beide Seiten fair miteinander umgehen, ist das okay.

Deshalb bin ich auch kein Freund des EuGH-Urteils zur verpflichtenden Zeiterfassung, weil es die Falschen trifft: Unternehmen wie wir, die schon vorher freiwillig darauf geachtet haben, dass niemand zu viel arbeitet, müssen sich nun mit zusätzlicher Bürokratie herumschlagen. Diejenigen, die ihre Mitarbeitenden knechten und ausbeuten wollen, werden trotzdem Mittel und Wege finden, das auch weiterhin zu tun. Aber sich aufzuregen, bringt an der Stelle leider nichts.

Nun habe ich Slack bereits mehrfach erwähnt. Es ist für uns das wichtigste Kommunikationsmittel, weil wir darüber schreiben, telefonieren und Videokonferenzen abhalten können. Aber das Wichtigste ist nicht das Tool an sich, sondern die Asynchronität. So kann jeder konzentriert arbeiten und wird nicht ständig unterbrochen. Aber ohne Selbstdisziplin und Eigenverantwortung von allen Beteiligten funktioniert asynchrone Kommunikation nicht.

Wir bei the native web sind ein Beispiel dafür, wie Homeoffice als dauerhaftes Modell gut funktionieren kann. Das Entscheidende dabei ist nicht, dass wir gerade Slack verwenden oder dass wir eine elektronische Zeiterfassung nutzen. Das Wichtige ist, dass es uns seit zwölf Jahren gelingt, die richtigen Menschen zusammenzubringen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen. Und das ist meiner Meinung nach der eigentliche Schlüssel, den man braucht, damit Homeoffice im großen Stil funktionieren kann. Denn wenn dieses Vertrauen nicht gegeben ist, dann wird es schwierig, und zwar völlig unabhängig davon, ob man remote oder vor Ort arbeitet.

Wenn Sie mich nun fragen, wie die Zukunft der Remote-Arbeit in der IT-Branche aussieht, muss ich ehrlich sagen: Ich weiß es nicht. Einerseits sehe ich großes Potenzial, das Ganze noch viel weiter auszubauen. Andererseits bin ich mir unsicher, ob allzu viele Unternehmen bereit sein werden, diesen Weg zu gehen und ein Stück ihrer (vermeintlichen) Kontrolle abzugeben. Vertrauen ist etwas, das aktiv gepflegt werden muss. Es passiert nicht einfach so. Man muss die richtigen Menschen zusammenbringen, die entsprechende Kultur etablieren und selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Was die Politik sich dazu ausdenkt oder welche Technologien morgen in Mode sind, spielt dabei letztlich keine Rolle. Es ist am Ende immer eine Frage der Menschen. Deshalb weiß ich auch nicht, wie sich die Branche als Ganzes entwickeln wird, weil es keine Frage der Branche ist, sondern eine Frage, die jedes Team für sich selbst beantworten muss. (rme)