FĂĽhrt KI zu mehr arbeitslosen Entwicklern oder zu mehr Softwareproduktion?
Künstliche Intelligenz könnte zu einem enormen Produktivitätssprung in der Softwareentwicklung führen. Welche Auswirkungen kann das haben?
- Eberhard Wolff
Nehmen wir einmal an, dass wir es schaffen, die Produktivität in der Softwareentwicklung um eine Größenordnung – also um den Faktor zehn – zu verbessern. Um es ganz konkret zu machen, ein Gedankenexperiment: Eine Projektleiterin wacht morgens auf und weiß, dass in ihrem Projekt statt 100 Menschen nur 10 Menschen notwendig sind. Sie weiß auch, welche Menschen das sind. Das ist absolut sicher, so wie der Himmel blau ist.
Was wird die Projektleiterin nun tun?
Die erste Option wäre, das Projekt mit zehn Personen fortzusetzen und den restlichen 90 Personen andere Aufgaben zu geben oder sie gar zu entlassen. Diese Option umzusetzen ist schwierig, weil die Projektleiterin sich und anderen damit eingesteht, dass zu viele Menschen an dem Projekt gearbeitet haben. Außerdem ist das Management eines 100-Personen-Projekts prestigeträchtiger als die Leitung eines Projekts mit zehn Personen. Das Vorgehen birgt auch ein Risiko, weil man die Personen nicht so einfach wiederbekommt, wenn man doch eine sinnvolle Aufgabe für sie findet.
Eine andere Option ist, die zehn Personen an dem ursprünglichen Projekt arbeiten zu lassen und den anderen eine andere Aufgabe zu geben. Dazu könnte man den Scope des Projekts vergrößern. Das ist gegebenenfalls relativ einfach möglich, denn der Wunsch nach mehr Features ist eher die Regel. Oder man sucht für die Menschen ein anderes Projekt. Am Ende steht bei beiden Optionen mehr Wert für die Organisation und damit mehr Prestige für alle Beteiligten.
Vielleicht könnte man das Projekt auch durch die zusätzlichen Personen beschleunigen. Das erscheint aber schwierig, da mehr Menschen ein Projekt sogar verlangsamen können, weil Einarbeitung und mehr Kommunikation notwendig sind. Fred Brooks hat genau darauf in seinem Buch "The Mythical Man Month" hingewiesen.
Realistisch?
Aber ist ein solches Gedankenexperiment überhaupt realistisch? Auch hier hat Fred Brooks eine Antwort: In seinem Paper "No Silver Bullet" stellt er die Behauptung auf, dass keine einzelne Maßnahme alleine die Produktivität in der Softwareentwicklung um eine Größenordnung verbessern kann. Das lässt aber Raum dafür, dass eine Kombination von Maßnahmen dieses Ziel erreichen kann. Und außerdem ist es – so wie dieser Blog-Post – auch eine Hypothese, die er nicht weiter belegt.
Ein Grund, warum das Szenario vielleicht doch realistisch ist: Wie schon erwähnt, bedeuten mehr Menschen in einem Projekt mehr Prestige und somit gibt es einen Drang dazu, Projekte möglichst mit vielen Menschen durchzuführen. Das Gesetz von Parkinson besagt nun, dass alle verfügbaren Menschen auch an dem Projekt mitarbeiten werden. Da Softwareentwicklung viel Kommunikation bedeutet, kann diese Vielzahl an Menschen zu erschwerter Kommunikation führen. Weil die Kommunikation sich auch in der Architektur niederschlägt, bricht dann auch die Architektur zusammen. Die Beziehung zwischen Kommunikation und Architektur geht auf Conway und sein Gesetz zurück. Er hat auch die These von aufgeblasenen Projekten mit schlechter Kommunikation und am Ende schlechter Architektur aufgestellt, die bereits Thema eines anderen Blog-Posts war.
Dann kommt man aber mit einer sauberen Architektur, weniger Menschen und damit weniger Kommunikation und Kommunikationsproblemen vielleicht genauso schnell zum Ergebnis, sodass das Gedankenexperiment vielleicht doch nicht ganz unrealistisch ist.
KĂĽnstliche Intelligenz?
Motivator für das Gedankenexperiment ist aber eine andere Entwicklung: Es kann sein, dass wir durch künstliche Intelligenz bei der Produktion von Code deutlich effizienter werden, wie ein anderer Blog-Post diskutiert hat. Dann ist die Frage, was bei einer Verbesserung von Produktivität um einen Faktor 10 passiert, sehr relevant.
Das Gedankenexperiment legt den Verdacht nahe, dass selbst bei einem solchen Fortschritt eher mehr Software produziert wird und in der Konsequenz Software auch fĂĽr Bereiche genutzt wird, fĂĽr die es sich im Moment noch nicht lohnt.
Tatsächlich gibt es in der Ökonomie für dieses Phänomen: Rebound-Effekt. Wenn beispielsweise Autos effizienter werden, werden sie für mehr Fahrten genutzt, sodass am Ende nicht etwa der Verbrauch sinkt, sondern gegebenenfalls sogar steigt. Vielleicht führt KI zu einem ähnlichen Effekt: Softwareentwicklung wird damit zwar effizienter, aber Software wird dann auch für andere Einsatzzwecke genutzt, sodass am Ende der investierte Aufwand derselbe bleibt. Tatsächlich unterstützt Software immer mehr Bereiche und KI könnte diesen Trend dann noch verstärken.
Im Extremfall können Menschen Software entwickeln, denen das technische Skillset eigentlich fehlt. Auch dieses Versprechen gab es schon mehrfach, mit Technologien wie COBOL, aber auch Low- oder No-Code. Aber selbst wenn KI hier erfolgreich ist: Andere Branchen zeigen, welche Effekte solche Disruptionen haben. Mit Desktop-Publishing können im Vergleich mit den Achtzigerjahren nun viel mehr Menschen Druckerzeugnisse erstellen, aber die Qualität ist eher schlechter geworden und Profis haben immer noch ihr Betätigungsfeld.
Das mag nun so wirken, als sei die Zukunft der Softwarebranche auch gegen KI abgesichert. Aber natürlich ist die Zukunft schwer vorhersagbar. Man hätte auch argumentieren können, dass die aktuelle Krise am IT-Markt nur ein Vorbote von dem ist, was KI anrichten wird. Die Zukunft ist offen.
tl;dr
Selbst eine Verzehnfachung der Produktivität in der Softwareentwicklung, wie sie KI vielleicht hervorbringt, bedeutet nicht unbedingt, dass weniger Menschen in dem Bereich arbeiten werden, sondern vielleicht eher, dass Software für noch mehr Einsatzzwecke genutzt wird.
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(rme)