Gealterte Avantgarde
Vor 50 Jahren schrieb kein geringerer als Norman Mailer eine große Reportage über die Mondlandung. Ist sie heute noch lesenswert?
Ein Star-Autor schreibt über ein Jahrhundert-Ereignis – was soll da noch schiefgehen? 1969 beauftragte das US-Magazin „Life“ den damals 46-jährigen Journalisten und Schriftsteller Norman Mailer, über die erste Mondlandung zu schreiben. Spätestens seit seinem Weltkriegsroman „Die Nackten und die Toten“ von 1948 zählte Mailer zur ersten Garde amerikanischer Erzähler. Später wurde er mit Truman Capote, Hunter S. Thompson und Tom Wolfe zu einem der profiliertesten Vertretern des sogenannten „New Journalism“, der auf radikale Subjektivität und literarische Stilmittel setzte.
Mailer bekam von Life angeblich eine Million Dollar. Dafür lieferte er eine 115.000 Worte lange Reportage ab – der längste nicht-fiktionale Text, den Life je veröffentlicht hat. Später erschien die dreiteilige Serie unter dem Titel „A Fire on the Moon“ als Buch. Der Taschen-Verlag hat nun eine Jubiläumsausgabe als Bildband herausgebracht.
Wie macht sich das journalistisch-literarische Experiment heute? Ist die Avantgarde gut gealtert?
Ähnlich wie Tom Wolfe in „The Right Stuff“ interessiert sich Mailer vor allem für die Psychologie der Raumfahrer. Allerdings ist er verbohrter als Wolfe. Mailer kann es nicht fassen, dass den drei Apollo-11-Astronauten jeder Sinn für große Gesten, Heldentum, Metaphysik und Magie abgeht. Als er sie fragt, was sie angesichts des nahen Todes tun würden, sollte die Mondfähre beim Rückflug streiken, antwortet Buzz Aldrin trocken: „Wir würden versuchen, das Ding wieder ans Laufen zu kriegen.“
Hier treffen zwei Welten aufeinander. An solchen Stellen wird das Buch zugleich interessant und schwer erträglich. Mailer will große Worte hören, aber Neil Armstrong spricht am liebsten gar nicht, und Aldrin über die technischen Details der Rendezvous-Manöver im All. Für Technik hingegen interessiert sich Mailer hingegen herzlich wenig, obwohl er selbst einen Harvard-Abschluss als Flugingenieur hat. Und so fällt ihm wenig mehr ein, als sich über Armstrongs Genuschel zu mokieren und sich in seitenlange Exkurse über Philosophie und sein Privatleben zu flüchten.
Man möchte Mailer an den Schultern packen und sagen: Wo ist Dein Problem, Mann? Natürlich sind das alles nüchterne Techniker, was hast Du erwartet? Wäre es anders, würde eine so komplexe Mission halt nicht funktionieren. Dies mag für einen Literaten angesichts des großen historischen Moments enttäuschend sein. Dass sich Mailer aber so in die Suche nach Tiefe verbeißt, dass er die ganzen technischen Höhepunkte kaum würdigt, ist für den Leser ebenfalls enttäuschend.
(grh)