Löchrige Wahrheiten
Immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen halten einer Überprüfung nicht stand. Was tun?
Rund 37.000 Menschen haben am vergangenen Wochenende in Deutschland am March for Science teilgenommen – für überprüfbare wissenschaftliche Erkenntnisse und Logik, gegen "alternative Fakten" und "gefühlte Wahrheiten". Zweifellos eine gute Sache, aber im Elfenbeinturm läuft längst nicht alles so rund, wie es scheint.
Eines der Probleme heißt "Replikationskrise" und rührt an den Grundfesten der Wissenschaft selbst: 2015 hatte ein Team von insgesamt 270 Wissenschaftler versucht, die Ergebnisse von 100 Psychologie-Studien durch eigene, neue Experimente zu reproduzieren. In über der Hälfte aller Fälle gelang ihnen dies nicht.
Das ist ziemlich blöd, denn eigentlich beruht Wissenschaft nicht auf Vertrauen, sondern auf Überprüfbarkeit. Die fehlende Reproduzierbarkeit hat schon diverse scheinbare Durchbrüche in der Wissenschaft gekillt: unter anderem die so genannte "kalte Fusion" von Wasserstoffatomen bei Zimmertemperatur, die eine neue, billige und unerschöpfliche Energiequelle ermöglicht hätte. Nur leider konnte Niemand die Messergebnisse von Pons und Fleischmann reproduzieren.
Nun könnte man natürlich argumentieren: "Ja, in der Psychologie mag es dieses Problem geben. Das ist halt nicht so eine exakte Wissenschaft, aber überall sonst ist das doch kein Problem." Leider hat sich mittlerweile herausgestellt, dass die Reproduktionskrise der Psychologie eine Reproduktionskrise der Wissenschaft geworden ist.
Das Problem ist offenbar mittlerweile so drängend, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dazu eine Stellungnahme herausgebracht hat. Die DFG ist nicht irgendwer. Der Verein verfügt über einen jährlichen Haushalt von etwa 2,8 Milliarden Euro überwiegend aus öffentlichen Mitteln, mit dem er Forschungsprojekte fördert.
"Wissenschaftliche Ergebnisse können replizierbar sein", stellt die DFG nun also fest, "sie müssen es nicht. Nicht-Replizierbarkeit eines empirisch begründeten wissenschaftlichen Wissensanspruchs kann, muss aber nicht damit zusammenhängen, dass es sich um ein Resultat schlechter wissenschaftlicher Praxis oder von wissenschaftlichem Fehlverhalten handelt."
Aber wenn sich Ergebnisse nicht nachvollziehen lassen, obwohl das eigentlich möglich sein müsste, kann das schon als Hinweis auf ein "Qualitätsproblem" gewertet werden, heißt es weiter. "Neben individuellem Fehlverhalten gibt es für das Qualitätsproblem von Forschung allerdings auch strukturelle Gründe. Das mittlerweile in der Wissenschaft erreichte Gewicht von quantitativ parametrisierenden Steuerungs-, Bewertungs- und Gratifikationssystemen wirkt sich auf die Forschung als gestiegener (und weiter steigender) Wettbewerbs- und Beschleunigungsdruck aus."
Der letze Satz ist so schön, den muss man sich doch wirklich auf der Zunge zergehen lassen, oder?
"Die notwendige skrupulöse Sorgfalt bei der Vorbereitung, Durchführung, Auswertung, Darstellung und Publikation experimenteller und empirisch-quantitativer Forschung braucht Zeit, Gelegenheit, Mittel und Personal", heißt es weiter. "Sie muss eher gegen diesen Wettbewerbs- und Beschleunigungsdruck durchgesetzt werden, als dass sie von ihm befördert würde." Kann man das noch besser verklausulieren (Vorschläge nehme ich gerne per Mail entgegen)?
Böse ausgedrückt steht da doch: "Für Kinkerlitzchen wie sorgfältiges Arbeiten haben viele Forscher heute weder Zeit noch Personal". Die abschließende Liste von Forderungen und Maßnahmen der DFG könnte aber schwammiger und unverbindlicher nicht sein. Von "vielfältigen Anstrengungen zur Förderung guter wissenschaftlicher Praxis" ist da die Rede und von "systematischer Stärkung" der Replikation. Schöner rumgeeiert hat schon lange keiner mehr.
Wer Wissenschaft als Bollwerk gegen populistische Meinungsmache in Stellung bringen will, muss dafür sorgen, dass dieses Bollwerk auch hält. Im Moment, scheint mir, ist es aber an diversen Stellen ganz schön morsch.
(wst)