Virale Geschichte

In China grassiert eine Virusinfektion und das Internet keucht. Der grassierende Unfug ist offenbar noch ansteckender als 2019-nCoV.

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In China grassiert eine hochansteckende neue Virusinfektion, die bereits mehr als 80 Todesopfer gefordert hat. Mittlerweile hat das Coronavirus auch Deutschland erreicht. Die Nachrichtenlage heizt sich täglich mehr auf, und das Internet hyperventieliert.

Kein Wunder, die Bilder zur aktuellen Nachrichtenlage sind spektakulär: Eine abgeriegelte Millionenmetropole, ein Krankenhaus, das innerhalb weniger Tage aus dem Boden gestampft wird, Soldaten vor überfüllten Krankenhäusern, Menschenmassen mit Gesichtsmasken.

MIMIKAMA, der Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch kommt kaum mehr nach, beim Fake Busting. Jüngstes Beispiel: Bill Gates und seine Stiftung sollen hinter dem Virus stecken – weil die Gates-Stiftung eine Klinik finanziert hat, die ein Patent auf das Virus angemeldet hat.

Die Geschichte mit dem Patent ist natürlich krasser Unfug, denn es handelt sich um abgeschwächte, lebende Coronaviren, die für die Produktion von Impfstoffen verwendet werden.

Aber auch jenseits der Verschwörungstheorien gibt es derzeit viel Verunsicherung. Würde mich nicht wundern, wenn mehr Leute an den Spätfolgen von Bluthochdruck sterben, der durch ständige Panik ausgelöst wurde, als am neuen Coronavirus aus China.

Für erhebliche Aufregung sorgen beispielsweise die ersten Abschätzungen der hohen Basisreproduktionszahl der Infektion. Die Größe, die oftmals als R0 bezeichnet wird, gibt wieder, wie viele andere Patienten ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Sie liegt in diesem Fall bei 3-5. Der Tweet eines Harvard-Epidemiologen, der von einem "thermonuklearen Level" sprach, wurde mehr als 16.000 mal retweetet. Nimmt man dazu noch die Computer-Simulation der Ausbreitung einer solchen Krankheit durch den globalen Flugverkehr, kann einem in der Tat Angst und Bange werden.

Ein lesenswerter, bemerkenswert unaufgeregter Artikel aus dem Atlantic hilft jedoch, diese Zahlen einzuordnen. Die Reproduktionszahl von Masern beispielsweise liegt bei 12-15. Allein die Ansteckungsgefahr sagt nichts über die Schwere der Erkrankung.

Nebenbei geht der Artikel auch auf die Angst vor so genannten Super Spreadern ein – Menschen, die besonders viele andere anstecken. Denn R0 ist nur eine durchschnittliche Größe. Bei manchen Infektionskrankheiten verbreiten einzelne Patienten das Virus massiv, während andere kaum zur Verbreitung beitragen: Im Fall von SARS, der schweren Lungeninfektion von 2003, hatte ausgerechnet ein Arzt sich als Super Spreader erwiesen, der die Krankheit in vier Ländern verbreitete. Das klingt auf den ersten Blick extrem bedrohlich. Allerdings, schreibt Ed Yong im Atlantic, könne eine Krankheit, die sich über Super Spreader verbreite, viel besser durch Quarantäne-Maßnahmen eingedämmt werden.

Beinahe tröstlich fand ich daher das Interview mit Rolf Hilgenfeld in Nature. Der Biologe arbeitet seit 2003 an einem Impfstoff gegen Coronaviren und will jetzt zwei vielversprechende Ansätze an Mäusen in China testen. Während andere Deutsche ausgeflogen werden sollen will Hilgenfeld nach Wuhan. Da der Mann seit Jahren auf diesem Gebiet forscht, gehe ich mal davon aus, dass er weiß, was er tut. Sieht also so aus, als sei der Weltuntergang bis auf weiteres doch noch mal verschoben.

(wst)