Was macht eine fahrradfreundliche Stadt aus?

Radwege sind ja schön und gut. Aber wirklich entscheidend ist etwas anderes.

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In der ersten Runde der bundesweiten Aktion "Stadtradeln" hat eine kleine westfälische Stadt namens Bocholt (71.000 Einwohner) weitaus größere Metropolen wie Aachen, Hannover, Dresden, Essen oder Nürnberg in Grund und Boden gefahren. Und das benachbarte Rhede hat allein mit seinen 19.000 Einwohnern rund doppelt so viele Radkilometer zusammengebracht wie etwa Osnabrück. Kein Wunder: Beim Fahrradklimatest 2014 des ADFCs kam Bocholt in seiner Kategorie bundesweit auf den ersten Platz, Rhede landete auf Platz drei in seiner Größenklasse.

Woran liegt das? Was genau macht diese Städte so fahrradfreundlich?

Da ich in Bocholt aufgewachsen und seitdem in ziemlich vielen anderen Städten herumgeradelt bin, traue ich mir eine Antwort zu. Klar, zunächst einmal ist es dort flach. Das erklärt aber nicht alles. Flach sind Städte wie Bochum oder Mönchengladbach auch, und sind beim Klimatest trotzdem ganz hinten gelandet. Die nächste Erklärung wäre, dass Städte wie Bocholt einfach eine bessere Infrastruktur haben. Tatsächlich gibt es dort reichlich Radwege, -ampeln, -spuren, -ständer und -aufstellflächen. Doch die gibt es etwa in Hannover auch.

Was das Radfahren im Westmünsterland meiner Erfahrung nach so angenehm macht, ist etwas anderes: Die Autofahrer. Praktisch jeder Autofahrer ist gleichzeitig auch Radfahrer. Und das merkt man. Man wird zum Beispiel nicht gleich weggehupt, wenn man mal nebeneinander fährt.

Es fängt schon in der Fahrschule an. Bei mir hatte der Fahrerlehrer (es war Sommer) immer den rechten Arm aus dem Fenster hängen. Plötzlich machte es Wamm!, dass mir das Herz bis zur Schädeldecke flog. Er hatte mit der flachen Hand mit voller Wucht gegen die Autotür geschlagen. Grinsend erklärte er: "So, das wäre jetzt der Radfahrer gewesen" – ich hatte den Schulterblick beim Rechtsabbiegen vergessen.

Wer in Bocholt den Führerschein macht, wird derart auf den Schulterblick gedrillt – etwa beim Öffnen der Fahrertür – dass er ihn nie, nie, nie wieder vergisst. In anderen Städten hingegen wurde ich schon angepöbelt, weil ich Rechtsabbiegern nicht freiwillig die Vorfahrt überlassen habe.

Also: Diese ganze Radwegbauerei ist ja schön und gut, aber der eigentliche Schlüssel zu einer fahrradfreundlichen Stadt liegt bei den Autofahrern – und ihrer Ausbildung. Hier gibt es noch viel Potenzial. Wie wäre es denn zum Beispiel, eine Radtour durch die Stadt zum Pflichtprogramm in der Fahrschule zu machen? (grh)