Zeitmanagement in der Arbeit: Ich habe noch Kapa frei

Ein Sprint ist erst dann fertig geplant, wenn alle zu mindestens 100 % ausgelastet sind. Oder?

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Elko auf einer Platine

(Bild: Harrison Broadbent/Unsplash)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Stefan Mintert

“Ich habe noch Kapa frei” ist ein Satz, der mir manchmal im Planning begegnet – “Kapa” als Abkürzung für “Kapazität”; gemeint ist in der Regel “Zeit”. Er fällt in die Kategorie “Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.” Die gute Absicht: Ein Teammitglied signalisiert, dass noch mehr Arbeit in den Sprint passt.

Escape the Feature Factory: Stefan Mintert

(Bild: 

Stefan Mintert

)

Stefan Mintert arbeitet mit seinen Kunden daran, die Unternehmenskultur in der Softwareentwicklung zu verbessern. Das derzeit größte Potential sieht er im Leadership; unabhängig von einer Hierarchieebene. Die Aufgabe, dieses Potential zu heben, hat er sich nach einem beruflichen Weg mit einigen Kurswechseln gegeben. Ursprünglich aus der Informatik kommend, mit mehreren Jahren Consulting-Erfahrung, hatte er zunächst eine eigene Softwareentwicklungsfirma gegründet. Dabei stellte er fest, dass Führung gelernt sein will und gute Vorbilder selten sind. Es zeichnete sich ab, dass der größte Unterstützungsbedarf bei seinen Kunden in der Softwareentwicklung nicht im Produzieren von Code liegt, sondern in der Führung. So war es für ihn klar, wohin die Reise mit seiner Firma Kutura geht: Führung verbessern, damit die Menschen, die die Produkte entwickeln, sich selbst entwickeln und wachsen können. Für Heise schreibt Stefan als langjähriger, freier Mitarbeiter der iX seit 1994.

Was soll daran negativ sein? Dass eine regelmäßige Auslastung von 100 % zu suboptimalen Ergebnissen führt, haben andere Autoren schon sehr gut dargestellt (z.B. Gunther Dueck in “Schwarmdumm”). Mit geht es hier aber (nicht nur) um die Auslastung, sondern vor allem um die Frage: Zu welchem Zweck macht man eigentlich die Arbeit?

Wer in einer Feature Factory die Auslastung um der Auslastung willen auf 100 % erhöht, erkennt oft keinen Zweck und kein Ziel mehr. “Ich habe noch Kapa frei” ist ein Zeichen dafür, dass gerade ohne Ziele geplant wird. Gäbe es ein Ziel, nimmt man in die Planung beziehungsweise den Sprint alles rein, was erforderlich ist, um das Ziel zu erreichen. Aber nicht mehr. Weshalb sollte man mehr mitnehmen? Alles, was nicht zur Erreichung des Sprintziels beiträgt, besitzt das Potenzial, vom Ziel abzulenken. Also sollte niemand im Team solche Tickets planen. Es ist besser, die Zeit freizuhalten.

Ich bin überzeugt, dass jedes Softwareteam viele sinnvolle und produktive Dinge zu tun hat, die offensichtlich nicht zwingend mit dem nächsten Ziel verbunden sind. Mir fallen hier viele Dinge ein: Technische Schulden, Testabdeckung, Refactoring, Experimentieren, Lernen und vieles mehr. Dazu kommen immer wieder unvorhergesehene Aufgaben. Das kann ein Bug sein, dessen Ursachen doch nicht dort liegen, wo man sie vermutet hatte. Das kann eine Story sein, deren Implementierung viel mehr Zeit erfordert, als vorher vermutet. Für all diese Überraschungen muss noch nicht verplante Kapa bleiben.

Deshalb mein Vorschlag: Wer sich selbst dabei ertappt, im Planning zu sagen, “Ich habe noch Kapa frei”, fragt einfach mal nach dem nächsten Ziel. Für nicht weniger wird geplant; und auch nicht für mehr. Dann kann es passieren, dass das Team schon vor dem Sprintende das Ziel erreicht. Oder es kann einzelne Tage geben, an denen man selbst keinen Beitrag zur Zielerreichung leisten kann. Daraus kann sich zeitlicher Freiraum für Dinge ergeben, die man als Entwickler als notwendig erachtet und für die bisher (angeblich oder tatsächlich) keine Zeit zur Verfügung stand. Wenn man daran arbeitet, kann man immer noch ein Ticket schreiben, um die Arbeit transparent zu machen; es ist dann nur kein Ticket, das auf das Sprintziel einzahlt. Dafür zahlt es vielleicht auf die Kompetenzentwicklung, Erkenntnisgewinn oder ein übergeordnetes Produktziel ein.

Ach ja: Dass mein Beitrag nur Sinn ergibt, wenn das Team Ziele hat, dürfte offensichtlich sein. “Wir haben in unserem Team aber keine Ziele. Unser Ziel lautet: Mach den Sprint mit Tickets voll und arbeite sie ab.” Ja, das kenne ich. Das nenne ich Feature Factory. Wenn das bei Euch so ist, nervt den PO oder PM oder … doch mal ein bisschen und drängt auf vernünftige, erstrebenswerte Ziele.

  1. Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam; Gunter Dueck; Campus Verlag 2015

(rme)