Berliner Kammergericht zur Schmähkritik auf Facebook

Das Landgericht Berlin hatte in einem Urteil übelste verbale Entgleisungen gegen die Politikerin Renate Künast für rechtens erklärt. Diese Entscheidung korrigierte nun die höhere Instanz.

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Berliner Kammergericht zur Schmähkritik auf Facebook

(Bild: Shutterstock/FlightMedia)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
Inhaltsverzeichnis

Heftige Schmähungen gegen Politiker sind bei Facebook üblich. Die Ausfälle, die die Grünen-Politikerin und ehemalige Bundesministerin Renate Künast im Zusammenhang mit einem gefälschten Zitat über sich ergehen lassen musste, lagen noch dazu weit unter der juristischen Gürtellinie. Die Beschimpfungen reichten von „geisteskrank“, „Drecks Fotze" über „Drecksschwein“ bis hin zu Vergewaltigungswünschen und Gewaltandrohungen.

Anlass war ein Blog-Beitrag eines bekannten Rechtsradikalen. Er hatte der Politikerin einen Ausspruch in den Mund gelegt, den diese nie getätigt hatte: Neben einem Foto von Künast lautete die Überschrift „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz Okay. Ist mal gut jetzt.“

Die zugrundeliegende tatsächliche Äußerung stammte aus einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus im Mai 1986. Darin hatte ein CDU-Abgeordneter eine Zwischenfrage gestellt, wie Künast zum damaligen Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Diese Zwischenfrage hatte sie ergänzt mit dem Zusatz „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“. Die „Ganz-Okay“-Aussage, die der Rechtsradikale zufügte, hatte sie in Wahrheit nie gesagt. Bald machte der Blog-Beitrag auf Facebook die Runde und provozierte Hate-Speech-Kommentare.

Falsch zitiert: Ein rechter Blogger provozierte juristisch relevante Hasskommentare zu einer Äußerung der Politikerin Renate Künast.

(Bild: dpa/Felix Konig)

Künast entschied sich, gegen 22 besonders unflätige Kommentare rechtlich vorzugehen. Sie verzichtete auf Strafanzeigen und wählte stattdessen die zivilrechtliche Durchsetzung. In einem Verfahren gegen Facebook vor dem Landgericht (LG) Berlin beantragte sie die Herausgabe von Nutzerdaten der Kommentierenden. Dazu musste sie zunächst gerichtlich feststellen lassen, dass die Kommentare rechtswidrig sind. Konkret sollte Facebook anschließend die Namen der Verfasser und deren E-Mail-Adressen übermitteln. Außerdem ging es um die IP-Adressen, unter denen die Beiträge verfasst worden waren, sowie die IP-Adresse, unter welcher der Kontoinhaber zuletzt eingeloggt war.

Gegen jeden der so identifizierten Verfasser wollte Künast vor Gericht in neuen, eigenen Verfahren vorgehen, um Unterlassungserklärungen sowie möglicherweise auch Schmerzensgelder zu erwirken. Unterstützung dafür fand sie bei „Hate Aid“, einer gemeinnützigen GmbH, die Opfer von Hasskriminalität unterstützt und die Prozessfinanzierung übernimmt. Hate Aid kritisiert, dass Strafverfolgungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaften bei Gewalt im Internet häufig überfordert sind oder das Thema nicht ernst genug nehmen. Deshalb sei der von Künast gewählte zivilrechtliche Weg erfolgversprechender als Strafanzeigen.

Die Organisation Hate Aid unterstützte Renate Künast bei ihrer Herausgabe­forderung gegen Facebook.

Mit dieser Unterstützung stellte Renate Künast im Herbst 2019 den Antrag auf Herausgabe von Nutzerdaten. Als Rechtsgrundlage diente Paragraf 14 Abs. 3 des Telemediengesetzes (TMG). Danach darf der Diensteanbieter – in diesem Fall Facebook – Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, „soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte“ erforderlich ist. Welche Rechte das sind, stellt Paragraf 1 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) klar. Im vorliegenden Fall geht es vor allem um die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung.

Für viele Schlagzeilen sorgte die Entscheidung des LG Berlin (Az.: 27 AR 17/19). Dieses lehnte den Antrag der Politikerin hinsichtlich aller 22 Äußerungen ab. Diese Aussagen, seien sie auch noch so heftig und verletzend, seien sämtlich als zulässige Meinungsäußerungen zu qualifizieren, die in den Schutzbereich des Art. 5 Grundgesetz (GG) fallen (Meinungsfreiheit).

Von einer Schmähung könne dann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung im Kontext einer Sachauseinandersetzung stehe. Unzulässig sei die Aussage nur, wenn der diffamierende Gehalt so erheblich sei, dass sie „als bloße Herabsetzung des Betroffenen“ erscheine. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn besonders schwerwiegende Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – verwendet würden.

Bemerkenswerterweise sah das Landgericht in keinem der 22 Fälle eine solche Herabwürdigungsabsicht. Die Äußerungen seien „zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch“. Künast selbst habe sich aber mit ihrem Zwischenruf, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt habe, „zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert“. Zudem müsse sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen. Da alle Kommentare einen Sachbezug hätten, stellten sie keine Diffamierungen der Person Künast und damit keine Beleidigungen nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuchs (StGB) dar.

Die Entscheidung des LG führte zu einer öffentlichen Debatte darüber, was Politiker aushalten müssen und warum das Gericht hier offenkundig die Hilfe versagt. Künast legte gegen den Beschluss des LG Beschwerde ein. Damit hatte sie zumindest teilweise Erfolg. Das LG erklärte daraufhin sechs der 22 Äußerungen für rechtswidrig und wies Facebook an, Daten der Verfasser herauszugeben.

In der Begründung des Beschlusses übt das Gericht erhebliche Kritik an dem Anwalt der Politikerin, der es offenbar versäumt hatte, den Kontext des ursprünglichen Beitrags darzulegen. Dass das verfälschte Zitat von einem Rechtsextremisten stammt, der eine für solche aufhetzenden Aktionen bekannte Website betreibt, sei jedoch erheblich. Denn für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung sei darauf abzustellen, wie sie von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden werde. Dabei seien auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen.

Strafbare Beleidigungen seien daher Äußerungen wie „Schlampe“ oder „Drecks Fotze“. Hier fehle es an einem direkten Bezug zu der als Zitat dargestellten Äußerung. Vielmehr dienten die Aussagen allein der Diffamierung der Person. Das Posting, wonach die Politikerin „entsorgt“ gehöre, stelle einen Angriff auf die Menschenwürde in dem Sinne dar, dass Künast die personale Würde abgesprochen, sie als unterwertiges Wesen beschrieben werden solle.

Gegen diese Entscheidung legte Künast Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz ein, dem Kammergericht (KG) Berlin. Dieses korrigierte Mitte März 2020 die Entscheidung des LG noch einmal zu Gunsten der Politikerin und stufte weitere sechs der 22 Kommentare als Beleidigungen im Sinne von § 185 StGB ein (Az. 10 W 13/20).

Diese sechs Äußerungen wiesen einen so massiven diffamierenden Inhalt auf, dass das Gericht sie als Schmähkritik klassifizierte. Auch unter Berücksichtigung des thematischen Kontextes könnten diese verbalen Entgleisungen nur als außerhalb einer Sachdebatte stehende Schmähungen der Person der Politikerin eingeordnet werden, so das Gericht. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik fehle gänzlich. Vielmehr werde Künast jede Würde abgesprochen.

Sie sei im Schutz der Anonymität zum „Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht“ worden. Hierdurch und durch zügellose Beschimpfungen mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache sei sie in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert worden, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund gestanden habe. Bei solchen Diffamierungen werde ungeachtet des Anlasses der Entgleisungen die weit gezogene Grenze zulässiger Meinungs¬äußerungen deutlich überschritten. Dies gelte für Entgleisungen wie „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird“ und „Pfui, du altes grünes Dreckschwein ...“.

Facebook müsse auch in diesen weiteren Fällen Auskunft zu den Nutzern erteilen. Im Übrigen aber hat das Kammergericht die Entscheidung des Landgerichts Berlin bestätigt. Zwar handle es sich bei den restlichen Kommentaren auch um „erheblich ehrenrührige Bezeichnungen und Herabsetzungen“. Allerdings sei die Schwelle zum Straftatbestand der Beleidigung nicht überschritten. Es liege zwar ein Angriff auf die Menschenwürde vor, aber die Verletzung des Persönlichkeitsrechts erreiche nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen als persönliche Herabsetzung und Schmähung erscheinen würden. Erlaubt seien daher im konkreten Fall Äußerungen wie „Kranke Frau“ und „Gehirn Amputiert“.

In seinem Urteil übt das KG erhebliche Kritik an der Entwicklung der Diskussionskultur im Internet. So konstatieren die Richter, dass es zu einem Sprachverfall und unter Ausnutzung der Anonymität im Internet zu einer Verrohung bis hin zu einer Radikalisierung des gesellschaft-lichen Diskurses gekommen sei. Dies könne aber trotzdem keine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen.

Zwar sei die von Künast aufgeworfene Diskussion berechtigt, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen für Personen des politischen Lebens tatsächlich engere Maßstäbe anzuwenden seien. Dies gelte auch für die Frage, ob die Rechtsordnung und die Justiz sich nicht stärker schützend vor politische Entscheidungsträger stellen müssten. Allerdings böten die geltende Rechtsordnung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts derzeit keinen Raum für eine Aufwertung des Persönlichkeitsschutzes für Politiker.

Die Entscheidung des KG ist rechtskräftig. Der Senat hat eine Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung erfordere.

Dass Künast mit den Daten der zwölf Verfasser der Schmäh-Postings überhaupt etwas anfangen kann, ist keineswegs sicher. Die IP-Adressen aus dem Jahr 2019 dürften von den Providern kaum noch einem Kunden zugeordnet werden können und die Namen der Verfasser müssen natürlich auch nicht echt sein. Der beste Ansatzpunkt zur Ermittlung der Hetz-Poster dürfte daher die E-Mail-Adresse sein. Stammt diese allerdings von Anbietern außerhalb von Deutschland und der EU, wird die eindeutige Identifikation der Verfasser schwierig werden. Genau sie wäre aber für die sich anschließenden Zivilverfahren zwingend.

Ein Verantwortlicher konnte in jedem Fall ermittelt werden: der Betreiber des Blogs, auf dem das falsche Zitat veröffentlicht wurde, das Ausgang des Verfahrens war. Der bekannte Rechtsextremist muss 10.000 Euro Schadenersatz an Renate Künast zahlen und außerdem die Prozesskosten von rund 1.800 Euro sowie die Kosten für Künasts Anwalt übernehmen. Künast spendet das Geld an die Organisation Hate Aid, die damit Anwaltskosten von weiteren Opfern von Hasskriminalität bezahlen und weitere Prozesse anstrengen will.

Dieser Artikel stammt aus c't 10/2020. (hob)