Jenseits von gut und böse

Google ist der Liebling von Surfern und Anlegern. Innerhalb von nur acht Jahren wuchs das Suchmaschinen-Unternehmen vom Start-up zweier Studenten zum milliardenschweren Global Player. Doch in der letzten Zeit hat das strahlende Image einige kräftige Kratzer erhalten.

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Von
  • Mario Sixtus
Inhaltsverzeichnis

Google ist Pop. Die Website des Googlestores hält Fan-Artikel von Bikerhosen bis Babyshirts bereit, im Internet kursiert eine gesungene Liebeserklärung (zur Melodie von „My Girl“) und in Schweden wird der Name der Suchmaschine mindestens einen Menschen sein Leben lang begleiten: Der Software-Entwickler Elias Kai hat seinen im September geborenen Sohn Oliver Google genannt.

Jeder der rund 6000 Google-Mitarbeiter erwirtschaftete im letzten Jahr einen Umsatz von etwa einer Million Dollar. Das brachte Google einen Gewinn von 1,5 Milliarden Dollar ein. Mit circa 100 Milliarden Dollar hat sich Googles Wert an der Börse innerhalb der letzten sechs Monate glatt verdoppelt. Auf Basis des aktuellen Wertpapierkurses ist Google sogar teurer als Daimler-Chrysler und die Deutsche Bank zusammen. Das Bizarre daran: Bei der Produktion von Autos oder dem Bankgeschäft handelt es sich um erprobte Geschäftsmodelle.

Googles Methode der Einnahmengenerierung ist dagegen erst wenige Jahre alt - und wurde aus der Not heraus geboren. Noch im Sommer 1999 fragte ein Journalist John Doerr, Google-Investor und Vorstandsmitglied, womit das junge Unternehmen denn seine Einnahmen erzielen wolle. Doerr verwies auf die vier Millionen Seitenaufrufe, die Google damals täglich zählte und antwortete: „Wir werden noch herausfinden, wie man damit Geld machen kann.“

Eine klare Geschäftsstrategie hört sich anders an und tatsächlich wurschtelte das junge Unternehmen damals recht planlos vor sich hin. Die Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten bereits erfolglos versucht, einen Käufer oder Lizenznehmer für ihre Suchtechnologie zu finden. Knapp 40 Mitarbeiter arbeiteten zu diesem Zeitpunkt für Google. 500 000 Dollar verschlang der Betrieb jeden Monat, und mit gerade einmal 20 Millionen Dollar Risikokapital auf dem Konto war es allerhöchste Zeit, ans Geldverdienen zu denken.

Page und Brin benötigten dringend ein funktionierendes Geschäftsmodell, also borgten sie sich das des Konkurrenten GoTo.com aus. Die später in Overture umbenannte Suchmaschine besaß bereits ein Selbstbedienungs-Interface, in das man seinen Anzeigentext eintippen konnte und das ein Auktionssystem für Keywords enthielt. Im Unterschied zu dem unfreiwilligen Ideenlieferanten verfügte Google bereits über die notwendige kritische Nutzermasse. Der Selbstbedienungsladen für Inserate wurde schnell ein Erfolg und der Rest ist Geschichte.

Heute liegt Google in Sachen Web-Suche und Online-Werbung fast uneinholbar vorne. Rund 48,5 Prozent, also fast jede zweite Suchanfrage, läuft in den USA über den Eingabeschlitz von Google. Yahoo, die aktuelle Nummer zwei, kommt nur auf 22,5 Prozent. Auf den Plätzen folgen MSN (10,7 Prozent) und AOL (6,6 Prozent). Geht es um Bildersuche im Web, ist Google der Konkurrenz mit einem Marktanteil von 71,9 Prozent noch weiter voraus. Noch klarer sind die Verhältnisse in deutschen Landen: Im letzten Jahr kam Google auf 83,2 Prozent Marktanteil bei den Suchmaschinen, MSN (4,5 Prozent), Yahoo (4 Prozent) und AOL (2,5 Prozent) stellen keine ernstzunehmende Konkurrenz dar.

Google erzielt 99 Prozent seiner Einnahmen durch den Verkauf von Werbung, etwa 43 Prozent davon spült mittlerweile das Adsense-Netzwerk in die Kassen. Bei diesem System vermittelt Google Werbeplätze auf den Websites Dritter und versucht dort automatisiert passende Anzeigen zum jeweiligen Thema einzublenden. Einnahmen aus Lizenzen und „sonstigen Umsätze“ machen gemeinsam ein mageres Prozent aus.

Online-Werbung erlebt zwar derzeit einen Boom wie zuletzt nur zu Zeiten der verblichenen „New Economy“, aber der Werbemarkt gilt als launisch; die einseitige Abhängigkeit von fremden Marketing-Etats ist Googles offensichtlichste Schwäche. Der Gigant steht derzeit also noch auf wackligen Beinchen.

Wie wichtig der Werbemarkt für Google ist, zeigt unter anderem die Beteiligung an AOL. Eine Milliarde Dollar legte Google für fünf Prozent des angeschlagenen Providers auf den Tisch. Google will AOL sogar ein Werbesystem maßschneidern - alles nur, um den wichtigsten Werbekunden zu binden und den Mitbewerber Microsoft auszustechen. Microsoft versucht derzeit mit aller Macht, seine Online-Werbeaktivitäten auszubauen, zum Beispiel mit seiner Plattform Microsoft Live. Der Software-Branchenriese denkt angeblich sogar über kostenlose, werbefinanzierte Software nach.

Ein weiteres Risiko: Googles einzig nennenswerte Einnahmequelle ist permanenten Attacken zwielichtiger Zeitgenossen ausgesetzt. Bei manchen Suchanfragen findet man vor lauter Spam-Seiten kaum noch ein relevantes Ergebnis. In einem Interview gab Google-Vizepräsidentin Marissa Mayer zu: „Es lässt sich enorm schwer differenzieren zwischen einem Akt der Manipulation und einem relevanten Ergebnis; etwa, wenn eine Firma ein neues Produkt mit einem Fantasie-Namen einführt.“

Zwar versuchen Googles Techniker permanent den Such-Algorithmus zu optimieren, um Linkfarmen und Keyword-Wüsten aufzuspüren und aus dem Index zu eliminieren. Auch feuert das Unternehmen gelegentlich medienwirksame Warnschüsse ab, etwa als es kürzlich die Webseiten von BMW wegen Verstoßes gegen die Suchmaschinen-Richtlinien aus der Datenbank warf.

Trotzdem bleibt es ein Hase-Igel-Spiel: Die Spammer sind meist schon da - und oft genug kleben auf den Spam-Blogs und Fake-Seiten Anzeigen aus dem eigenen Adsense-Programm. Ob sich die Inserenten über Besucher von solchen Seiten freuen, die wohl eher zufällig in die Anzeigen hineinklicken, ist fraglich.

Eine weitere Gefahr für Googles Geschäftsmodell ist Klickbetrug. In den USA zahlen Inserenten für besonders begehrte Keywords bis zu 80 Dollar je Klick. Da ist die Versuchung groß, einen Mitbewerber arm zu klicken. Andere Webseitenbetreiber treiben ihre Adsense-Einnahmen künstlich nach oben. Gerüchten zufolge soll bereits eine ganze Branche existieren, die sich durch Annoncen-Klicker in Internet-Cafés von Entwicklungsländern finanziert. Google Deutschland wiegelt ab und spricht von Nepp-Klicks im Promillebereich. Nichtsdestotrotz zahlte das Mutterhaus im März 90 Millionen Dollar, um eine Sammelklage verärgerter US-Inserenten vom Hals zu bekommen.

Microsoft wird gerne mit einem 800-Pfund-Gorilla verglichen, der mit der rohen Gewalt seines Gewichts Produkte in den Markt drückt. Dabei agiert Google kaum zartfühlender. Letztes Jahr übernahm der Suchmaschinenbetreiber das Web-Analyse-Haus Urchin. Das Unternehmen aus San Diego bietet detaillierte Untersuchungen von Besucherströmen einer Website. Diese Dienstleistung ließ sich Urchin mit 200 Dollar monatlich vergüten - seit der Service unter Google-Flagge segelt, ist er kostenlos.

Professionelle Web-Analyse ist zugegebenermaßen ein kleiner Markt innerhalb des Internet-Business. Ob nach Googles Gratis-Offensive dort überhaupt noch Geld zu verdienen ist, muss sich noch zeigen. Eine Gnadenfrist haben Dienstleister in diesem Bereich jedenfalls: Seit unmittelbar nach der Kostenlos-Ankündigung der Interessenten-Ansturm die Server in die Knie zwang, lässt Google neue Nutzer erst mehrere Wochen warten, bevor sich die Pforten von Analytics für sie öffnen.

Bei der Suche nach neuen Betätigungsfeldern ist Google nicht wählerisch. Wo immer sich ein interessantes Arbeitsgebiet aufzutun scheint, ist das Unternehmen zur Stelle. Auch Anbieter von E-Mail-Diensten dürften sich kaum über Googles Eintritt in dieses Segment gefreut haben. Fast schon höhnisch erhöht Google ständig die Anzeige des verfügbaren Speicherplatz. Augenblicklich steht das Angebot bei 2,7 Gigabyte.

Googles Portfolio umfasst mittlerweile ein buntes Sammelsurium verschiedenster Dienste und Anwendungen. Client-Software wie der Foto-Organizer Picasa findet sich dort ebenso wie die webbasierte Textverarbeitung Writely oder der Instant Messenger Google Talk. Und alle Dienste finden immensen Zulauf. Bei mehreren Neuerscheinungen musste Google, wie bei Analytics, die Notbremse ziehen und konnte zeitweise keine neuen Nutzer mehr zulassen - der Zustrom war einfach zu groß.

Fast jede Woche erscheint ein neuer Dienst oder eine neue Software. Mittlerweile ist es nahezu unmöglich, sich im Internet zu bewegen, ohne über einen Google-Service zu stolpern. Ganz in der Tradition der Kostenlos-Kultur im Web sind fast alle Angebote gratis, finanziert aus der vom Börsengang prall gefüllten Kriegskasse und den Werbeeinnahmen. Die Refinanzierung scheint den Googlern erst einmal zweitrangig zu sein - Hauptsache, die Surfer kommen.

Wie das Feld besetzt wird, ist letztlich nebensächlich. Findet sich ein geeignetes Unternehmen wie der Blogger.com-Betreiber Pyra Labs, so wird es kurzerhand in die Firmenzentrale namens Googleplex verfrachtet. Ansonsten kann Google auf eine riesige Armada von Entwicklern zurückgreifen. Nur selten sind die selbst gestrickten Anwendungen wirklich so innovativ, wie sie in der Presse hochgejubelt werden. Das viel gelobte Google Earth zum Beispiel ist nicht mehr als ein gut gemachter Klon der NASA-Software World Wind [1].

Insofern ähnelt die Expansionsstrategie Googles der von Microsoft [2]: interessante Geschäftsfelder ausmachen und an sich reißen. Allerdings legt Google viel mehr Tempo an den Tag, Microsoft hechelt hinterher. Während Microsoft abwartet, bis sich ein Markt entwickelt hat, und ihn von hinten aufrollt, scheint derzeit Googles Strategie zu sein, für alles, was sich irgendwann irgendwie vielleicht einmal zu Geld machen lässt, so schnell wie möglich ein Produkt auf den Markt zu werfen.

Mit Hilfe von Kooperationen will Google seine Benutzerschaft noch weiter ausbauen. Nach Angaben des Wall Street Journal wird Google in den kommenden drei Jahren bis zu einer Milliarde Dollar an Dell überweisen. Im Gegenzug installiert der Computerhersteller die Google-Toolbar und -Desktopsuche auf seinen Rechnern.

An HP soll Google einen US-Dollar je vorinstallierter Toolbar zahlen. Weitere 75 Cent seien bei der ersten Nutzung durch den Käufer fällig. Intel plant, in die kommende Wohnzimmer-Entertainment-Plattform „Viiv“ Googles Videosuche zu integrieren. Mit dem US-Handyhersteller Motorola arbeitet Google derweil an mobilen und ortsbezogenen Internet-Diensten. Bereits jetzt existiert für bestimmte Modelle eine Handy-Portierung von Google Maps und Google Local.

Über den Umweg IBM werden künftig auch viele Unternehmen Software aus dem Googleplex nutzen. IBMs „WebSphere Information Integrator OmniFind Edition“ wird die Enterprise-Edition von Googles Desktop-Suche enthalten. Mit dem Server- und Netzwerkspezialisten Sun hat Google bereits eine „intensive Kooperation“ beschlossen. Und auch in Richtung Weltall zieht es die Googler: Auf dem Ames Research Center der NASA werden sie demnächst einen eigenen Bürokomplex errichten, um mit der Weltraumbehörde bei der Verwaltung von großen Datenmengen und dem verteilten Rechnen zu kooperieren.

Die Ankündigung, bald ein eigenes Bezahlsystem zu starten, ging im Windschatten des Launches von Google Video beinahe unter. Dabei wäre eine Paypal-ähnliche Payment-Lösung weit mehr als nur ein weiterer Google-Dienst. Zum einen wären natürlich Angebote wie der Web-Flohmarkt Google Base in Verbindung mit einer einheitlichen Bezahl-Plattform wesentlich attraktiver. Analysten der Investmentbank Lehman Brothers vermuten jedoch, die Suchmaschine werde mit dem als Gbuy oder Gpay kolportierten System ein gänzlich neues Anzeigen-Abrechnungssystem einführen.

Sollte neben der Reklame auch der Bezahlvorgang in Googles Händen liegen, könnte die Suchmaschine anstelle der betrugsanfälligen Klicks die tatsächlich getätigten Käufe in Rechnung stellen. Für diese Überlegung spricht, dass Googles Payment-Service nach unseren Informationen ein offenes System sein wird, das jeder Online-Verkäufer in seine Seiten integrieren kann. Und: Ganz nebenbei wird auf diese Weise aus einem werbefinanzierten Web-Imperium auch noch ein Finanzdienstleister.

Kaum ein Artikel über das Googleplex genannte Firmengelände kommt ohne Erwähnung der Sushi-Bar aus, die Google-Mitarbeiter kostenlos verköstigt, keine Reportage ohne einen Hinweis auf den Beach-Volleyballplatz im Zentrum des Google-Areals oder auf die allgegenwärtigen Lavalampen und Elektroroller.

Dass bei der Berichterstattung häufig solcherlei Nebensächlichkeiten im Vordergrund stehen, hat einen guten Grund: Das Unternehmen, das sein Geld mit dem Erschließen des Wissens im Internet verdient, rückt Informationen über sich nur äußerst spärlich heraus. Börsenstatements beschränken sich auf das gesetzlich Notwendige, Unternehmenspläne bleiben im Dunkeln. Zwar existiert seit geraumer Zeit ein offizielles Unternehmens-Blog. Dort finden sich jedoch nur sporadisch einige News zu Google-Produkten.

Auch Mark Jen, ein frisch von Microsoft zu Google gewechselter Projektmanager, erfuhr schnell, wie Google auf zu viel Gesprächigkeit reagiert. Freimütig plauderte Jen in seinem Weblog über seinen Job im Innern des Googlepex und verglich die Arbeitsbedingungen dort mit denen bei seinem ehemaligen Brötchengeber - wobei Google nicht immer besser abschnitt. Obwohl es sich bei den Blog-Einträgen um ausgesprochen harmlose Texte handelte - und nicht etwa um Unternehmensgeheimnisse -, setzte der Suchmaschinenbetreiber Jen aufgrund des Blogs auf die Straße.

Selbst Medien, deren Berichterstattung den Googlern zu weit geht, werden abgestraft. Nachdem der News-Dienst Cnet im vergangenen Sommer ergooglelte Informationen über den Vorstandschef Eric Schmidt veröffentlichte, verhängte Google gegen Cnet kurzerhand eine einjährige Nachrichtensperre.

Dem Time-Magazin sagte Larry Page kürzlich: „Wir reden generell nicht über unsere Strategie, weil das strategisch ist.“ Die einzige Zielsetzung, über die Google sich öffentlich äußert, lautet, man wolle das Wissen der Welt durchsuchbar machen. Erstaunlich, dass die Abwesenheit jeglicher nennenswerter Unternehmenskommunikation bislang kaum an Googles Kuschel-Image kratzen konnte.

Google hat auf dem Suchmaschinenmarkt erreicht, was Microsofts Windows auf dem Betriebssystem-Sektor ist: ein Quasi-Monopol. Skeptikern wird immer unwohler bei dem Gedanken, den wichtigsten Rohstoff der Wissensgesellschaft von einem omnipräsenten Internet-Unternehmen organisieren zu lassen. Sie fürchten, am Ende könnte statt der Demokratisierung eine Monopolisierung des Zugangs zu Wissen stehen. Schließlich ist Google als börsennotiertes Unternehmen niemandem verpflichtet, außer seinen Anlegern.

Besonders alarmiert hat Kritiker das Projekt Google Print. Bis zum Jahre 2015 will das Unternehmen 15 Millionen Bücher einscannen und für die Volltextsuche indexieren. Nach heftigem Protest von Verlegern und Bibliotheken in den USA, die das Urheberrecht von Autoren gefährdet sahen, musste Google das Digitalisieren der Bücher zwischenzeitlich unterbrechen. Inzwischen laufen die Scanner wieder, trotz Androhung juristischer Schritte aus verschiedenen Teilen der Welt. So erwägen beispielsweise französische Verleger eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung.

Google will die Wogen nun mit einem Opt-Out-Verfahren glätten und betont außerdem, den Suchenden nur Textschnipsel präsentieren zu wollen. In der Tat ist es eher unwahrscheinlich, dass die Insassen des Googleplex beabsichtigen, Autoren und Verlage in den Ruin zu treiben. Viel eher dürfte Google Print ein Großangriff auf Buchhändler und -versender sein. Zwar digitalisieren auch Amazon und Microsoft fleißig Druckwerke, an die Dimension des Google-Vorhabens kommen sie aber bei weitem nicht heran.

Auch um den Nachrichten-Aggregator Google News wurde bereits juristisch gestritten. Die Agence France Press versucht seit einem Jahr, ihre Meldungen per Gerichtsbeschluss aus der Nachrichtensammlung entfernen zu lassen. Die Klage ist zwar noch nicht entschieden, doch AFP hat bereits erreicht, dass ihre Texte nicht mehr in dem News-Dienst auftauchen. Besonders verärgert über Google News ist Gavin O’Reilly, Präsident des Weltverbands der Zeitungsverleger. Er spricht von einem „Geschäftsmodell, das auf Kleptomanie aufbaut.“ Mit Yahoo, MSN und Ask.com ließen sich wenigstens „konstruktive Gespräche“ führen, beschwert sich O’Reilly, Google schalte hingegen auf stur.

Auch beim Thema Datenschutz gerät Google immer wieder in die Kritik. So ist der Freemailer Google Mail seit seinem Start im Visier von Verbraucherschützern, weil sich die automatische Auswertung von Nachrichten nicht nur dazu verwenden lässt, um kontextbezogene Werbung einzublenden, sondern auch, um detailierte Benutzerprofile anzufertigen. Vor dem Gebrauch der Desktopsuchmaschine Google Desktop warnen Verbraucherschützer, weil sie Inhalte von Dateien der Benutzer auf Google-Servern hinterlegt.

Das Unternehmen konnte zuletzt beim Schutz der Benutzerdaten punkten, weil es sich im Unterschied zu den Konkurrenten Yahoo und MSN weigerte, dem Justizministerium eine Stichprobe von Suchanfragen auszuhändigen. Dennoch: Der meistgenutzte Suchmaschinenbetreiber bleibt unter argwöhnischer Beobachtung von Verbraucherschützern (siehe auch S. 168, c't 10/06).

Anfang Februar brach ein Empörungssturm über Google herein, als bekannt wurde, dass die chinesische Variante der Suchmaschine sich brav an die Vorgaben der dortigen Machthaber hielt. Inhalte, die der politischen Führung nicht passen, werden schlicht nicht angezeigt. Informationen über das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, die Kulturbewegung Falun Gong oder zum besetzten Tibet sucht man bei google.cn vergebens. Menschenrechtsverbände warfen dem Unternehmen prompt Kollaboration mit dem chinesischen Regime vor, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sprach von einem „schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit in China“, US-Politiker verlangten Erklärungen und in unzähligen Blogs und Web-Foren schwankten ehemalige Google-Fans zwischen Verwunderung und Verbitterung.

Auch andere Unternehmen, etwa Yahoo oder Microsoft, hatten bereits Kritik für ihren allzu willfährigen Kurs gegenüber Chinas Regierung einstecken müssen. Doch Google hatte die eigene moralische Messlatte stets höher gehängt und fällt deshalb besonders tief. „Sei nicht böse“ lautet schließlich das Unternehmensmotto. Dieser Satz findet sich sogar in den Unterlagen zum Börsengang. Nun musste Vint Cerf, Erfinder des TCP-IP-Protokolls und mittlerweile bei Google als „Chief Internet Evangelist“ auf der Gehaltsliste, gegenüber der Presse relativieren: „Es gibt einen Subtext zu ‚sei nicht böse’ und der lautet ‚sei nicht illegal’.“ Auf das Thema China angesprochen, fügte er wachsweich hinzu: „Es ist besser, dass Google dort ist, als wenn sie gar nicht dort wären.“

Den Leitspruch, der ursprünglich lediglich als Orientierungshilfe für neue Mitarbeiter gedacht war, hatten die Google-Lenker oft genug nach außen kommuniziert - als eine Art Ersatz für Unternehmensinformationen, als Beruhigungsmittel gegen kritische Gedanken. Ist es beispielsweise vertretbar, dass die neue Version der Google-Desktop-Suche persönliche Informationen auf einen fremden Unternehmensserver überspielt? In jeder Antwort schwingt mit: Wir sind Google, wir sind nicht böse.

Ist Google wirklich nicht böse, zum Beispiel beim Datenschutz? Der folgende Artikel beleuchtet die immer wieder auftauchenden Fragen über Googles Umgang mit den Benutzerdaten. Er zeigt auf, über welche Daten Google bereits verfügen kann, und was es damit machen könnte, würde es eines Tages den Pfad des „Nichtbösen“ verlassen. Der Beitrag auf Seite 172 beschreibt verschiedene deutsche und französische Bestrebungen, eine Google-Konkurrenz zu entwickeln. Der Artikel ab Seite 176 schließlich stellt Alternativen für die Google-Dienste und -Anwendungen vor.

[1] Holger Bleich, Welten-Browser, Wie die NASA und Google mit ihrer Software den Blick auf den Planeten ändern, c't 20/05, S. 92

[2] Jo Bager, Die Redmond-Strategie, Schlüssel für Microsofts Erfolg

"Info-Krake Google"
Weitere Artikel zum Thema "Info-Krake Google" finden Sie in der c't 10/2006:
Der unheimliche Erfolg S. 162
Datenschutzprobleme S. 168
Gegenwind aus Europa S. 172
Alternative Service-Anbieter S. 176

(jo)