Solarbranche sorgt für Siliziumknappheit
Auf der Intersolar Messe 2006 geht es vorrangig um die Versorgung mit dem "Graugold" und die teilweise fehlenden Produktionskapazitäten.
- Craig Morris
Die Solarbranche boomt wie einst die IT-Industrie: Zweistellige Wachstumsraten sind nichts Außergewöhnliches, in den letzten 10 Jahren wuchs die Industrie sogar weltweit um gut 30 bis 40 Prozent jährlich – 2005 schließlich um 44 Prozent. Deutschland ist dabei die treibende Kraft mit 57 Prozent des Weltmarkts: Die Solarstromproduktion in Deutschland wuchs 2005 um ganze 152 Prozent. Entsprechend wächst die Ausstellungsfläche der Fachmesse Intersolar (22. bis 24. Juni in Freiburg): 2006 werden 26.000 Quadratmeter gebucht – 50 Prozent mehr als im Vorjahr.
Doch seit 2004 wird die Produktion ausgebremst, denn es mangelt an Silizium. Experten schätzen, dass die Produktionsstraßen für Solarmodule in Deutschland momentan nur zu rund 60 Prozent ausgelastet sind, nachdem die Auslastung bei rund 80 bis 90 Prozent im Vorjahr lag. Bis mindestens 2008 dürfte der Engpass in der Lieferkette anhalten.
Lange bezog die Solarwirtschaft ihr Silizium aus der Halbleiterproduktion. Da das solare Silizium nicht so rein sein muss wie das für die Elektronik (99,99 Prozent statt 99,9999 Prozent für Halbleiter), gab sich die Photovoltaikindustrie lange mit relativ billigen Abfallprodukten aus der Halbleiterproduktion zufrieden. Zwar macht die Photovoltaik lediglich rund 0,2 Prozent der hiesigen Stromproduktion aus, doch vergleichsweise große Mengen an Silizium werden für die Solarzellen gebraucht: rund 13 Tonnen pro Megawatt-Peak.
Die Preise pro Kilogramm solares Silizium haben sich in neu abgeschlossenen langfristigen Abnahmeverträgen in den letzten Jahren verdoppelt und lagen Anfang 2006 bei gut 60 US-Dollar pro Kilogramm. Wer keine langfristigen Absprachen getroffen hat, schaut momentan in die Röhre – die Preise auf den Spotmärkten liegen teilweise bei über 100 US-Dollar. Ein enormer Anstieg, denn just im Jahre 2000 – zu Zeiten der dot.com-Krise – zahlte man teilweise 20 US-Dollar. Die Siliziumbranche klagte damals über Überkapazitäten, produzierte mit Verlusten und baute vorerst keine neuen Werke.
Der Wert steigt mittlerweile schneller als der Ausstoß: Während der Markt für Polysilizium 2005 um schätzungsweise 45 Prozent von 825 Millionen US-Dollar auf 1.200 Millionen US-Dollar wuchs, stieg die Produktion von Polysilizium lediglich um 25 Prozent von rund 25.000 Tonnen auf 30.000 Tonnen. 2006 soll die Produktion auf rund 34.000 Tonnen wachsen. Die Photovoltaikbranche macht 2006 mehr als ein Drittel davon aus bei rund 13.000 Tonnen nach lediglich 10.000 Tonnen im Vorjahr – Tendenz stark steigend. Damit frisst die Photovoltaik fast den gesamten Zuwachs dieses Jahr von rund 4.000 Tonnen auf. Bereits 2009 bis 2010 könnte die Nachfrage nach Silizium für Photovoltaik größer als die für Halbleiter sein.
Kein Wunder, dass es so viel Bewegung in der Siliziumbranche gibt: Der weltgrößte Polysiliziumhersteller Hemlock Semiconductor möchte genauso wie Deutschlands Wacker-Chemie – weltweit die Nummer 4 nach Japans Tokuyama Corp. – die Produktion bis 2008 in etwa verdoppeln. Die norwegische Renewable Energy Corporation (REC) legte erst im Mai 2006 den zweitgrößten Börsengang Norwegens hin, um zum zweitgrößten Wafer-Hersteller der Welt mit seinen Tochterunternehmen SGS und ASiMi zu avancieren. Die Solarfirmen sehen sich mittlerweile gezwungen, selbst in die Produktion von Silizium einzusteigen. Besonders weitsichtig war Deutschlands SolarWorld AG: Die seit 1999 börsennotierte Firma – der größte reine Solarzellen-Hersteller in Deutschland – stieg schon 2000 in die Siliziumproduktion ein, als sie die Bayer Solar GmbH in Freiberg/Sachsen übernahm. Heute betreibt SolarWorld dort auch die erste große Wiederverwertungsanlage für ausgediente Solarzellen. Außerdem hat SolarWorld langfristige Verträge sowohl mit Hemlock als auch mit Wacker für die Lieferung von Solarsilizium abgeschlossen.
Für kleinere Modulanbieter wie die Freiburger Solar-Fabrik AG wird der Markt also eng. Da es kaum möglich sein dürfte, als reiner Modulhersteller weiterhin zu existieren, nutzten auch die Freiburger den Erlös ihres Börsengangs von 2002, um in den letzten Jahren wie der große Bruder SolarWorld zu einem "integrierten Solarkonzern" entlang der ganzen PV-Kette zu werden: von Wafern bis zu Solarzellen und schließlich Solarmodulen.
Mit Hochdruck wird aufgrund des knappen Siliziums daran gearbeitet, immer dünnere Zellen herzustellen. Andere Firmen suchen andere Lösungen. Deutschlands größte Solarfirma, die Conergy AG, möchte sich unabhängiger von der Photovoltaik machen und vor allem in der Bioenergie, Windenergie und Solarwärme wachsen. Doch ein Trend in der Photovoltaikbranche tritt deutlich zu Tage: Viele Photovoltaikhersteller wollen nicht mehr vorrangig auf die siliziumintensiven Wafer setzen, die heute mehr als 90 Prozent des Marktes ausmachen, sondern auf die so genannte Dünnschichttechnik, die mit weit weniger Silizium klarkommt – je nach Technik ein Zweihundertstel an Silizium.
So hat Ölmulti Shell seine kristalline Solarsparte bereits im Februar gänzlich an die SolarWorld AG verkauft, um sich nunmehr ganz der Dünnschichttechnik zu widmen. Die Übernahme machte zwar SolarWorld zur Nummer Eins in der Solarindustrie in den USA, doch die Absage Shells an die kristalline Photovoltaik spricht Bände. Zwar hat die Dünnschichttechnik einen weit niedrigeren Wirkungsgrad als poly- oder gar monokristalline Zellen: unter realen Bedingungen rund 7 bis 10 Prozent statt gut 15 bzw. 16 Prozent. Doch die Dünnschicht ist billiger, und steigende Siliziumpreise könnten dafür sorgen, dass die Dünnschichtphotovoltaik die Oberhand gewinnt, wenn das knappe Silizium eine Kilowattstunde Solarstrom aus Dünnschichten dauerhaft preiswerter als den Strom aus Solarzellen macht.
Die Nachfrage für Silizium könnte allerdings auch die Preise für "electronic-grade silicon" für die Halbleiterindustrie erhöhen. Da die Produktion anders ist, erklärt Dr. Markus Apel vom Access e.V. auf Anfrage von heise online, dürften sich die Auswirkungen aber in Grenzen halten. Allerdings steigen viele Rohstoffpreise, was dem Zentralverband der Elektrotechnik und Elektronikindustrie e.V Sorgen macht. Auch Sematech hat seine Bedenken geäußert. Auf Anfrage erklärte Dan Tracy, Sr. Director für Industry Research & Statistics beim Halbleiterverband SEMI, dürfte sich die Lage allerdings mittelfristig entspannen. (jk)