Staatliche Förderung kreativer Forschung

Amazon & Co. saugen auch in Deutschland die Kreativköpfe vom Arbeitsmarkt weg. Die „Agentur für Sprunginnovationen“ soll diese „High Potentials“ anlocken, um den Standort Deutschland zu stärken.

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Staatliche Förderung kreativer Forschung

(Bild: TeroVesalainen - pixabay.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Mindestens eine Milliarde Euro will die Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren in die neue Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) investieren. Mitte Juli präsentierten die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek und ihr für Wirtschaft zuständige Kollege Peter Altmaier den 55-jährigen IT-Unternehmer Rafael Laguna de la Vera als Gründungsdirektor. Laguna ist Leiter des Software-Unternehmens Open-Xchange AG, das Open-Source-Alternativen zu Microsoft-Produkten anbietet.

Rafael Laguna ist designierter Gründungsdirektor der Agentur für Sprunginnovationen (SprinD).

c’t: Herr Laguna, was ist aus Ihrer Sicht eine Sprunginnovation?

Rafael Laguna: Eine Sprunginnovation würde ich ganz einfach beschreiben als etwas, was nachhaltig unser Leben verändert, was neue Märkte aufbaut. GPS etwa oder das Internet waren Sprunginnovationen.

c’t: Mangelt es in Deutschland derzeit an der Förderung solcher Innovationen?

Laguna: Wir sind sehr gut, wenn es um inkrementelle Innovationen geht. Aber Deutschland hat auch schon Sprunginnovationen hervorgebracht. Unsere Automobilindustrie und unsere chemische Industrie sind Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Ein Gutteil unseres heutigen Wohlstands ist gegründet auf den Innovationen von damals.

c’t: Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat die Agentur mit einer deutschen Version der DARPA verglichen – der amerikanischen Defense Advanced Research Project Agency. Ist das zu hoch gegriffen?

Laguna: Wir wollen das „D“ in DARPA nicht – ich bin Pazifist. Aber sonst ist die Idee der ARPA schon eine gute Grundlage. Das werden wir natürlich in die Gegenwart überführen. Die DARPA ist sehr hierarchisch organisiert. Deren Konzept ist: Wir geben die Ideen vor und suchen uns die Leute, die sie umsetzen. Ich sehe das andersherum. Ich glaube, wir wollen ein Magnet sein für Leute, die gute Ideen haben. Ich nenne die gerne High Potentials – die HiPos.

c’t: Hochqualifizierte werden stark umworben. So hat die Bundesregierung gerade entschieden, für IT-Fachkräfte eine satte Zulage zu zahlen. Wie wollen Sie als Agentur die High Potentials anziehen?

Laguna: Wenn man tariflich gebunden ist, kann man die eine oder andere Stelle nicht besetzen – wir sehen das in der Forschung zur künstlichen Intelligenz. Wenn die Fachleute bei Konzernen wie Amazon ein Vielfaches verdienen, ist das ein Problem. Wir haben die Möglichkeit, auch außertariflich zu bezahlen. Es geht aber nicht nur um die Gehälter, sondern auch um das Umfeld, das die Agentur bieten kann. Wir wollen Leuten, die Ideen haben, den Zugang zu Kapital, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ermöglichen. Gleichzeitig werden wir nicht vorschreiben, wie und wann das Endergebnis vorliegen muss. Damit haben HiPos bei uns mehr Freiheit als bei Amazon, Google und anderen Konzernen.

c’t: Zum Begriff des High Potentials: Können Sie den Typ beschreiben, der dann letztlich gesucht wird?

Laguna: In der Regel sind das ungewöhnliche Menschentypen. Ein Chef der DARPA hat es einmal so formuliert: „freewheeling zealots“ – unkontrollierbare Freigeister. Wenn man wie ich aus der Open-Source- und IT-Szene kommt, kennt und schätzt man diese Charaktere. Sie sind sehr intelligent, sehr getrieben von der Idee, und manchmal ein bisschen „socially challenging“, manchmal auch nicht. Diesem Typus ein Zuhause zu geben, in dem er sich wohlfühlt und auch ein wenig auf ihn aufzupassen – das ist eine der Kernaufgaben, die wir hier haben.

c’t: Wobei der Nimbus des unkontrollierbaren Freigeists auch ein bisschen aus der Mode gekommen ist. Ein indischer Unternehmer hat kürzlich auf Twitter Kritik daran geübt und dafür viel Gegenwind bekommen. Viele Entwickler sagten: Wir sind eigentlich den ganzen Tag damit beschäftigt, hinter solchen Kollegen aufzuräumen. Stimmt das?

Laguna: Die Diskussion habe ich auch mitbekommen. Man muss immer aufpassen, dass man nicht in Elite-Sprache verfällt. Trotzdem hatte der Unternehmer nicht ganz unrecht. Manche Entwickler sind extrem viel produktiver als andere – aber halt meist nur auf bestimmten Gebieten. Es stimmt nicht, dass man hinter ihnen aufräumen muss. Man muss sie an die richtige Stelle setzen.

Das Problem ist: Sie sind oft nicht teamfähig, weil sie die anderen für zu blöd halten. Das klingt natürlich unheimlich arrogant, wenn jemand so etwas von sich gibt. Wenn man ausschließlich solche Leute hat, kriegt man auch nichts auf die Reihe. Aber es gibt für jeden den geeigneten Platz. Elon Musk etwa ist ein „zealot“, wie er im Buche steht. Wenn Sie sich unsere deutschen Innovatoren von früher angucken, waren die ebenfalls so. Etwa Carl von Linde, Wilhelm Ostwald oder gar Albert Einstein.

c’t: In welche Strukturen kann man diese Leute einbinden?

Laguna: Man muss eine Umgebung schaffen, in der sie mit ihren Ideen prosperieren können. Dazu gehört natürlich eine gewisse Struktur. Aber man muss die ganzen Formalitäten von ihnen fernhalten. Wenn man ihnen ein Formular für die Reisekostenabrechnung aufzwingt, verliert man sie schnell. Stattdessen werden wir ihnen Zugang zu den Netzwerken aus Wissenschaft und Politik geben.

c’t: Wie können wir uns das vorstellen?

Laguna: Wenn zum Beispiel einer der HiPos einen Teilchenbeschleuniger braucht, dann haben wir den. Der steht bei der Helmholtz-Gemeinschaft in Hamburg und heißt DESY. Oder der neue Superrechner in Jülich. Das Equipment, das in den Universitätsinstituten steht, ist der absolute Hammer.

c’t: Haben Sie schon spezielle Sprunginnovationen im Blick?

Laguna: Wir brauchen einen europäischen Weg, der auf unseren humanistischen freiheitlichen Prinzipien aufbaut. Wir brauchen keinen digitalen Turbokapitalismus. Wir brauchen keine digitale Diktatur. Es ist an der Zeit, dass Europa sich da zusammenfindet. Ich glaube, dass in diesem Umfeld viel Sprunginnovation möglich ist.

c’t: Aber Ihre Aufgabe ist auch, dass die Sprunginnovationen in Deutschland vermarktet werden. Wenn Sie etwa die Entwicklung einer neuen Metalllegierung fördern, darf sich nicht jeder Konzern der Welt bedienen.

Laguna: Hier sind so etwas wie Patente sinnvoll. Ich bin gegen Software-Patente, weil die Innovation meist nicht gegeben ist. Aber wenn wir zum Beispiel eine Legierung entwickeln, da wird es Aufgabe der Agentur sein, das geistige Eigentum zu sichern. Das unterscheidet uns auch sehr stark von Venture Fonds zum Beispiel, die primär darauf ausgelegt sind, ihren Return maximieren. Wir haben die Freiheit zu sagen: Wir brauchen nicht den höchsten Bieter für eine Firma, sondern einen, der die Sprunginnovation in Deutschland hält.

c’t: Was sind die ersten Schritte bei der Gründung dieser Agentur?

Laguna: Wir müssen erst mal eine funktionierende Organisation aufbauen. Es gibt sehr viel Unterstützung aus den Ministerien, vor allem aus dem Bildungsministerium. Wir werden sicher bis Ende des Jahres brauchen, bis wir dann alle Leute an Bord haben, ein Büro und eine Social-Media-Präsenz.

c’t: Wann wollen Sie beginnen?

Laguna: Wir haben schon begonnen. Ich bin natürlich an erster Stelle der Chef von Open-Xchange und das bleibe ich auch. Zunächst suchen wir für die Agentur einen Standort. Deswegen geht der Ruf raus an die Metropolregionen: Wenn ihr der Standort werden wollt, dann bewerbt euch. Aber die Agentur ist nur der Kern des Ganzen. Ich erwarte, dass wir in fünf Jahren rund dreißig Projekt-GmbHs haben, die über das ganze Land verteilt sind.

c’t: Sprich: Sie als Agentur sind dafür zuständig, die Sprunginnovationen zu identifizieren. Und wenn sie eine gefunden haben, dann wird eine eigenständige GmbH gegründet?

Laguna: Genau. Die HiPos stehen an erster Stelle. Die werden in eine GmbH eingebettet, die jeweils eine Tochtergesellschaft der Agentur ist. Sofern Geld notwendig ist, wird sie mit Bundesmitteln gefüttert und dann quasi auf die Schiene gesetzt. Die Projekt-GmbHs sollen autarke Firmen sein. Wir werden die HiPos und Mitarbeiter beteiligen. Wenn eine Gesellschaft von einem Konzern übernommen oder in die wirtschaftliche Eigenständigkeit entlassen wird, werden sie auch ihren Anteil erhalten.

c’t: Die Gesellschaften sollen also im Erfolgsfall ausgegründet werden?

Laguna: Technisch werden wir das wahrscheinlich so machen, dass wir die Fördermittel über Darlehen vergeben, sodass wir eine Hand auf dem geistigen Eigentum haben und die Gesellschaft nicht in etwas überführt wird, was unseren Zielen nicht entspricht. Im Idealfall kann das Endergebnis gerne eine Firma sein, die vom Gründungsteam selbst geführt wird.

c’t: Also wenn sich eine deutsche Firma für die Patente interessiert, könnte sie auf die Agentur zukommen.

Laguna: Ganz genau. Dann sagt man: Ihr kriegt eine Lizenz, aber dafür müsst ihr euch am Standort engagieren. Oder wir stellen die Technik der ganzen Industrie und nicht nur einem Unternehmen zur Verfügung.


Dieser Beitrag stammt aus c't 18/2019 (hob)