Was sind schon 25 Jahre!

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Claudia Dengler


Was sind schon 25 Jahre!

Eigentlich nichts. Zumindest ich fühle mich keinen Tag älter als vor 25 Jahren. Was vielleicht daran liegt, dass ich ein Morgenmuffel bin und deshalb nur ganz kurz in den Spiegel sehe. Ich trage immer noch Jeans, die Gitarre ist dieselbe und die Unordnung auch. Richtig alt fühle ich mich nur, wenn ich von früher erzähle und meine Zuhörer große Augen bekommen, entsetzt ob der elektronischen Unterentwicklung, die zu meiner Sturm-und-Drang-Zeit herrschte.

Damals in der WG hatten wir zu viert nur ein Telefon. Ein vergilbt-weißes Antikstück, mit historischer Wählscheibe und mechanischem Gebührenzähler. Heute dagegen teilen sich vier Telefone einen Menschen. Anstatt eine Telefonnummer auf den Bierdeckel zu schreiben, tauscht man jetzt Visitenkarten mit ellenlangen, oftmals sinnlosen Kontaktdaten.

Als ich vor kurzem zu meinem Sohn sagte: "Ruf doch deinen Schulfreund an", da schüttelte der nur den Kopf und meinte: "Mama! Völlig falsches Jahrhundert." Auf meine verwunderte Frage: "Wieso denn das?" wurde mir erklärt, dass man heutzutage niemanden mehr daheim anrufe, weil man dort per Chat erreichbar sei. Klar, das hätte ich wissen müssen! Schließlich war es ja eben dieser Sohn, der gerne über ICQ zum Mittagessen gerufen werden wollte.

Manchmal denke ich an die Zeit zurück, als man nicht über den Secure Socket Layer zur Bank ging, sondern über die Hauptstraße. Selbst zur Apotheke geht man online, und wenn es jetzt noch jemand schaffen würde, dass der Placeboeffekt schon beim Anklicken des Medikaments eintritt, dann könnte das unser Gesundheitswesen vielleicht noch retten.

Fast alles gibt es nun papierlos: den Duden, das Lexikon, das Telefonbuch, die Urlaubsfotos. Man ist damit viel flexibler. Wenn mir an meinen Fotos etwas nicht gefällt, dann entferne ich rote Augen gemeinsam mit gleichfarbigen Pickeln, montiere mich danach vor die Pyramiden von Gizeh und spare so das Urlaubsgeld.

Die Betriebssysteme sind bunter geworden und Monitore darf man oft ganz ungeniert antouchen. Die Rechnerdichte hat sich erhöht, sodass ich bei meinem Mann gerade noch unter die acht wichtigsten Dinge komme - gemeinsam mit vier Windows- und drei Linux-Systemen.

Der Fortschritt brachte uns vom Blackscreen zum Bluescreen, vom Treiber suchen zum Plug & Pray, von der Disco zum Online-Dating und von der Speaker’s Corner zum Weblog.

Nicht jede Neuerung versetzt mich in echte Begeisterung. Einige jedoch liebe ich heiß und innig, zum Beispiel mein Navi. Der Goldschatz dreht die Karte immer so, dass vorne oben ist, was in meinem weiblichen Gehirn massive Endorphin-Ausschüttungen auslöst. Ich finde jetzt alles! Selbst in der Großstadt. Was mir natürlich nur dann etwas nützt, wenn mein Rechner ausfällt, weil ich ja sonst die Dinge online erledige.

Aber abgesehen davon ist wirklich alles beim Alten. Fast wie damals, in der WG.

(1. Platz Editorial-Wettbewerb) (vza)