… so entzieht man bei uns selbständigen IT Experten die Geschäftsgrundlage, wundert sich über den Fachkräftemangel und schreit dann nach billigen Arbeitskräften.
Sehr geehrter xxx,
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Wie ich in meiner vorherigen Mail betont habe, möchte ich Ihnen als Bundestagsabgeordnete die gesetzgeberische Sicht darlegen und mich dabei auf die Scheinselbstständigkeitsdebatte beziehen, die Sie in Ihren Mails anführen.
Das oberste politische Ziel für unsere SPD-Bundestagsfraktion beim Thema Scheinselbstständigkeit ist es, dass wir die soziale Absicherung von Arbeitnehmer:innen garantieren und verbessern. Deswegen sind in der Gesetzgebung sehr allgemeine gehaltene Kriterien formuliert, die Unternehmen davon abhalten sollen, sich über eine Scheinselbstständigkeit ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen. Wir sehen aktuell keinen Bedarf einer weiteren Reform der Gesetzgebung, da die allgemeinen Kriterien einen ausreichenden Spielraum für die Rechtsprechung offenlassen, um verschiedene Auftragsverhältnisse in verschiedenen Branchen zu bewerten. Eine weitere Spezifizierung der Kriterien würde zu einem überkomplexen Gesetz mit zu hohen bürokratischen Hürden führen. Letztendlich möchten wir uns als Politik da auch nicht zu sehr in den Bereich der Rechtsprechung einmischen.
Um dennoch auf mögliche individuellen Rechtsunsicherheiten beim Thema Scheinselbstständigkeit zu reagieren, haben wir noch zu Zeiten der großen Koalition bei der Deutschen Rentenversicherung eine Clearingstelle eingerichtet. Diese führt ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren durch, um eine Rechtssicherheit für Auftraggeber und Auftragnehmer herzustellen. Die Clearingstelle vermeidet so die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit, indem sie verbindlich prüft, ob im individuellen Fall eine Sozialversicherungspflicht für ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Einen Antrag bei der Clearingstelle können sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer einreichen. Die entsprechenden Hebel und Instrumente beim Thema Scheinselbstständigkeit sind somit aus unserer Sicht bereits ausreichend vorhanden.
Wir halten daher das Argument von Unternehmen, einen Freelancer wegen Rechtsunsicherheit nicht einstellen zu wollen, in den meisten Fällen für ein vorgeschobenes Argument, um eine fehlende Auftragsvergabe aus anderen Gründen zu legitimieren. In diesem Fall vermute ich als Grund das klassische Outsourcing von Aufträgen in Länder mit geringeren Personalkosten, wie Sie in Ihren Mails beschreiben. Ich habe daher das Gefühl, dass Ihre Branche sich derzeit in einem breiten Transformationsprozess befindet. Diese finden in einer Marktwirtschaft immer wieder statt und deswegen haben wir ein soziales Sicherungsnetz geschaffen, um Leute aufzufangen, die aufgrund eines Transformationsprozesses ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr wie gewohnt nachgehen können. Dieses soziale Sicherungsnetz soll zum einen die soziale Existenz, aber vor allem auch die Weiterqualifizierung und/oder berufliche Neuorientierung ermöglichen. Da wir uns jedoch in einer Marktwirtschaft befinden, hüten wir Politiker:innen uns dafür, zu sehr in wirtschaftliche Prozesse einzugreifen, solange das wirtschaftliche Gefüge unserer Volkswirtschaft nicht grundlegend gefährdet wird (ein Beispiel für solche Ausnahmen sind die Energiepreisbremse aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine oder die Corona-Hilfen).
Wir haben einen Fachkräftemangel in vielen Branchen, auch in der IT – so berichten es zumindest viele Studien und Umfragen von Wirtschaftsverbänden sowie Interessensverbänden der IT-Branche selbst. Der Fachkräftemangel ist keine rhetorische Erfindung der Politik, sondern wir verwenden und analysieren die Daten, die uns seitens der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Das heißt nicht, dass auch Sie nicht Recht haben, dass gerade in Ihrem Fachbereich dieser Fachkräftemangel aufgrund anderer Entwicklungen vielleicht nicht vorherrscht. Ich bin daher aber sehr zuversichtlich, dass auch Sie wieder neuen Tritt in unserem Arbeitsmarkt finden können und werden, ohne dass Sie sich völlig von der IT abwenden müssen. Ich wünsche Ihnen das auf jeden Fall sehr.
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Freundliche GrĂĽĂźe
xxx
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xxx
Mitglied des Deutschen Bundestages
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11011 Berlin