Ansicht umschalten
Avatar von Fruusch_01
  • Fruusch_01

654 Beiträge seit 24.11.2020

Ich bin fassungslos, liebe ITler

wenn ich die meisten (zum Glück nicht alle) Beiträge hier lesen muss.

Ich kann euren Frust ja teilweise verstehen - aber was ihr hier abliefert ist gerade ein sehr sehr gutes Argument dafür, keine ausgebildeten ITler an die Schulen zu lassen, sondern lieber ausgebildete Lehrer. Wenn sich diese tief ausgeprägte Abneigung gegenüber Schule, Lehrern und der Gesellschaft bei unseren Kindern entlädt, dann gute Nacht. Ihr kennt euch sicher super mit IT aus, keine Frage. Mit Schule jedenfalls habt ihr nicht viel am Hut, jedenfalls nicht mit den Schulen, die ich kenne, als Lehrer und als Vater. Und mal ganz ehrlich... wenn man Kurse für Erwachsene halten kann, die gut ankommen, heißt das noch lange nicht, dass man auch 30 Zehnjährige oder 30 Pubertiere unterrichten kann - da sind ganz andere Qualitäten und ganz andere Persönlichkeiten gefragt. Da hilft auch oft kein "Pädagogik-Kurs". Ich bin selbst Seiteneinsteiger und habe so manchen Kollegen an genau diesen Dingen scheitern sehen, inklusive Burnout und langen Klinikaufenthalten, dann Frühpensionierung mit 40.

Ja, an den Schulen läuft definitiv nicht alles richtig, als Lehrer kann ich da ein ganzes Nibelungenlied von singen. Ich bin IT-Koordinator, unterrichte MINT Fächer und für die 5er auch Informatik (fachfremd, weil wir nur zwei ausgebildete Informatiklehrer haben, und damit schon mehr als alle Nachbarschulen). Unsere digitale Ausstattung ist trotz (oder wegen?) des Digitalpakts noch sehr rudimentär, aber wir versuchen, das Beste draus zu machen. In Informatik (das wir bei uns sogar bis zum Leistungskurs unterrichten) bilden wir keine MS-Office Bediener aus, sondern vermitteln die ganze Bandbreite, und zwar schon in der 5. Klasse. Genauso wie ich meinen Schülern in Mathe beibringe, dass das Rechnen nur das Handwerkszeug und nicht der Zweck der Mathematik ist, lehre ich sie, dass in der Informatik nicht das Öffnen von Word oder das Programmieren von Spielchen in Scratch, sondern die zugrunde liegende Denkweise, Logik und Algorithmik der eigentliche Inhalt ist. Und in so gut wie jeder Stunde fördere ich das freie Denken meiner Schüler. Ich fordere sie zum Widerspruch auf, diskutiere offen mit ihnen über Fehler (ihre und meine) und versuche sie so weit es geht auch in die Form und die Themen des Unterrichts mit einzubeziehen. Und da bin ich kein Einzelfall, viele meiner Kolleg:innen machen das auch. Klar haben auch wir noch ein paar Dinosaurier an Bord (manche davon erschreckend jung), aber die gibt es auch in jeder IT-Abteilung, genauso wie die Minderleister.

Wenn ich an meinen Informatik-Unterricht in den 80ern denken muss, dann war das genau das, was hier angeprangert wird. Man hat gelernt, ein paar kleine Programme zu bedienen und dazu ein wenig Programmierung in der Krönung aller Programmiersprachen: Basic. Mit dem schönsten aller Befehle: GOTO. Schlimmer gehts kaum. Seitdem ist aber sehr viel Wasser den Rhein hinunter geflossen und der Informatik-Unterricht hat sich grundlegend gewandelt.

Schule ist für mich definitiv nichts, was man von Grund auf verdammen muss. Hier werden keine "loyalen Untertanen" gezüchtet, was für ein Quark! Wir haben sogar explizit den Auftrag, unseren Schülern beizubringen, wie man sich selbst eine Meinung bildet und diese auch vertritt, wie man sich vor Verschwörungs-Schwurbeleien wie den euren schützt, wie man sich auch komplexere Materie aneignet. Und es tut mir leid, aber nicht nur Informatik ist wichtig, die anderen Fächer, inklusive Kunst und Musik, sind auch alle sehr wichtig, denn sie gehören zu einer allgemeinen Grundbildung dazu, ansonsten wäre es die Ausbildung zum IT Fachidioten, der nicht mehr über den Rand seines Keyboards hinaus schauen kann und will. DAS sind dann die loyalen Befehlsempfänger, die einfach das tun, was ihnen gesagt wird, weil sie keine Ahnung davon und kein Interesse daran haben, was da draußen wirklich vorgeht.

Und ganz ernsthaft: Ausgerechnet C++ in der Schule? Um Programmieren zu lernen gibt es doch weitaus bessere Alternativen als diesen überfrachteten Alleskönner. Klar, damit kann ich sowohl "Hello World" als auch Desktopanwendungen und komplexe Industrieroboter programmieren... aber das zu groß für die Schule. Für die Kleinen ist Scratch genial, weil das völlig losgelöst von irgendeiner Hochsprache grafisch die Logik dahinter vermittelt. Was man dann für eine Sprache in der Oberstufe lernt, ist auch eher irrelevant. Alle relevanten Sprachen kann man sowieso nicht lernen, auch später in einem IT-Beruf nicht. Die Bandbreite wird ja auch jeden Tag länger: Rust, D, C#, Java, Python, PHP, R, Dart, Swift.... für jede Anwendung gibt es eine gut passende Sprache, die lernt man dann halt.

Aber das eigentliche Problem, dass wir Lehrer mit allem Möglichen an Zusatzaufgaben zugesch... werden, dass unsere Schulen marode sind, schlecht ausgestattet werden, dass es viel zu wenige Lehrer gibt, dass Eltern heutzutage ihre Erziehungsaufgaben einfach bei uns abladen, dass es in der Gesellschaft immer opportun scheint, auf "die Schule" und "die Lehrer" zu schimpfen, dass Bildung allgemein immer weniger Wert zu haben scheint... das scheint Vielen hier egal zu sein, Hauptsache man sitzt in seinem IT Elfenbeinturm und weiß alles besser.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten