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  • Morticielle

mehr als 1000 Beiträge seit 23.03.2017

Grundlegendes Problem wird ignoriert

Vorweg: Ich bin Arzt mit einigen Jahren Intensiverfahrung und Kenntnis von Beatmungstherapie.

Leider wird von vielen im Rahmen solcher Diskussionen nicht verstanden, dass es bei der Beatmung von Patienten mit respiratorischer Insuffizienz im Rahmen einer viralen Pneumonie und ggf. ARDS, ein einfaches Hineinpumpen von Luft in die Lunge des Pat. nicht ausreichend ist.

Atmung und Gasaustausch in der Lunge beinhalten drei verschiedene Vorgänge:

1. Ventilation. Der mechanisch Akt von Ein- und Ausatmen
2. Perfusion. Die Durchblutung des Lungengewebes.
3. Diffusion. Der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid (weitere Gase vernachlässigen wir hier mal) durch die Alveolar- und Gefäßwand.

Wenn ein Pat. nur ein Problem mit der Ventilation hätte, also eine Lähmung der Atemmuskulatur oder ein Ausfall des Atemantriebs, dann würde ein relativ schlichtes Beatmungsgerät mit einem einfachen Beatmungsmodus wie z.B. IPPV ausreichen. Allerdings müsste der Pat. dann sediert sein, denn von so einer "Campingluftpumpe" im festen Rhythmus beatmet zu werden, ist im wachen Zustand nicht tolerabel.

Und damit beginnen die Probleme: Man versucht Beatmungspatienten möglichst wenig zu sedieren und sie im eigenen Rhythmus atmen zu lassen, damit sie später möglichst rasch wieder vom Beatmungsgerät entwöhnt werden können (sog. weaning). Es nutzt nämlich wenig, wenn man Menschen über Wochen beatmen muss und sie dann über Monate in Weaningzentren entwöhnt werden müssen. Für die Beatmung teils wacher Pat. braucht man dann aber einen moderneren Beatmungsmodus wie z.B. BiPAP. Dies erhöht jedoch die Anforderungen an das Beatmungsgerät.

Bei respiratorischer Insuffizienz bei Covid-19 haben wir jedoch das Problem der Ventilation nicht als primäres Problem, sondern nur als sekundäres, wenn sich die Atemmuskulatur der Pat. aufgrund rascheren Atmens erschöpft. Das primäre Problem ist dann die Behinderung der Diffusion durch entzündliche Prozesse im Lungengewebe sowie eine Störung der Perfusion einzelner Areale. Die entzündlichen Prozesse im Lungengewebe führen dazu, dass das Lungengewebe empfindlicher und verletzlicher wird.

Solche Pat. benötigen ein Beatmungsgerät, mit dem eine sog. lungenprotektive Beatmung mit feiner Regulation der Drücke in den Atemwegen sowie sehr genauer Steuerung des Tidalvolumens möglich ist, das ganze dann noch kombiniert mit Beatmungsmodi wie APRV und BiPAP und ggf. einigen noch moderneren Verfahren. Einfache Beatmungsgeräte würden ganz rasch schwere Lungenschäden erzeugen, an denen die Pat. versterben können. Bei besonders schweren Fällen von ARDS ist oftmals eine Beatmung alleine nicht mehr ausreichend und eine ECMO (Extra Corporal Menbrane Oxygenation), also der Einsatz einer "Herz-Lungen-Maschine" nötig, weil die Lunge so schonend beatmet werden muss, dass man nicht mehr genügend Sauerstoff ins Blut kriegen würde, trotz Beatmung mit 100% Sauerstoff.

Man könnte jetzt hier noch stundenlang weiter Probleme aufzählen. So z.B. die Entwicklung der Software, die so ein Gerät steuert. Solche Software ist mit dem MCAS einer 737 MAX8 gut zu vergleichen. Und wir sehen seit 12 Monaten, was für Probleme eine Firma wie Boeing damit hat. Es reicht nicht, einfach mal schnell ein paar tausend Zeilen Code hinzurotzen, da muss eingehend getestet werden.

Hier werden vermutlich gleich wieder Todschlagsargumente wie "besser eine schlechte Lösung als gar keine" oder "wenn es deine Mutter wäre ..." kommen, die absolut keinerlei faktischen Wert haben, sondern nur versuchen, auf emotionaler Basis zu punkten. Ich weiß, liebe Leute, dass ihr Angst habt um euch oder eure Lieben. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass brauchbare Beatmungsgeräte nicht einfach mal schnell konstruiert werden können. Dazu ist die grundlegende Problematik viel zu komplex. Von Dingen wie Zertifizierung und Haftungsfragen fange ich da erst mal gar nicht an.

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