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  • Rume

mehr als 1000 Beiträge seit 20.03.2001

Vom Leben als Terrorist

Es gibt kaum eine schärfere Waffe im deutschen Strafrecht als den
Paragrafen 129a. Er gestattet so gut wie jede Maßnahme, die ein
Rechtsstaat gegen seine Bürger einsetzen kann: Hausdurchsuchung,
U-Haft, Reiseverbot und nahezu lückenlose Überwachung von Familie,
Freunden, Bekannten, Kollegen. Telefon, Wohnung, Arbeit - alles darf
ausgespäht, durchsucht und durch Spitzel unterwandert werden, wenn
jemandem vorgeworfen wird, Terrorist zu sein.

Doch wenn die Mittel bei beweislosen Vorwürfen derart mächtig sind,
ist eine Abwägung ihres Einsatzes besonders wichtig. Denn was ein
reiner Verdacht alles auslöst, erzählt die Lebensgefährtin von Andrej
H.:

> Vom Leben als Terrorist

> "Ich glaube, dass meine Kinder mich davor gerettet haben, zusammenzubrechen",
> erzählt Anne H. "Ich musste ja, als das BKA bei uns in der Wohnung stand und
> Andrej gefesselt auf dem Sofa saß, funktionieren. Was tut man, wenn man in so
> einer Situation die Anweisung bekommt, seine Kinder anzuziehen, mit Frühstück
> zu versorgen und aus der Wohnung zu schaffen?

> Der Morgen, den Anne H. beschreibt, bedeutete das Ende ihres bisherigen
> Lebens. Fast 15 Stunden lang durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamts die
> gemeinsame Wohnung, nahmen mehrere Computer, Papiere und ihren Lebensgefährten
> mit. Drei Wochen saß er anschließend im Gefängnis in Berlin-Moabit in Untersuchungshaft.

> In diesen drei Wochen lernte Anne H. viel über ihr neues Leben. Angefangen von
>  Kleinigkeiten: ob man einem Häftling Zeitungen schicken darf und wie er
> krankenversichert ist beispielsweise. Bis hin zu den großen Dingen: "Sie
> werden jetzt immer da sein", sagte ihr ihre Anwältin Christina Clemm. Sie, das
>  sind die Polizisten des Bundeskriminalamts. Und dass sie das Mobiltelefon
> besser nicht mehr ausschalte und immer mitnehmen solle, um sich nicht dem
> Verdacht auszusetzen, etwas verbergen zu wollen, lernte Anne H. auch.

> "Natürlich will man einerseits nicht überwacht werden", sagt sie.
> "Andererseits wünscht man es sich fast und denkt, vielleicht wäre es besser,
> sie würden wirklich alles mitkriegen - damit sie uns nicht vorwerfen können,
> nicht überwachbar gewesen zu sein." Denn das, erzählt sie, sei schon
> geschehen. In den Ermittlungsakten steht, es sei nicht auszuschließen, dass
> Andrej H. an einem bestimmten Brandanschlag beteiligt war. Schließlich habe
> man nicht dokumentieren können, ob er an diesem Tag das Haus verließ oder
> nicht. "Die Kamera konnte es nicht aufnehmen, weil zu viele Blätter an den
> Bäumen waren."

> "Man lebt in ständiger Angst, ob irgendeine banale Handlung im Sinne der
> Anklage gedeutet werden könnte", sagte Anne H., "da wird man doch paranoid."

> Am Telefon, erzählt Anne H., könne sie inzwischen relativ unbefangen reden.
> "Dann hören sie eben, dass ich sauer bin, weil Andrej den Einkauf vergessen
> hat. Wenn sie uns ein Jahr lang belauscht haben, kennen sie uns sowieso
> relativ gut und wissen, dass wir wie alle Paare manchmal streiten." Sie hätten
> das Telefon auch schon genutzt, um dem BKA das eine oder andere mitzuteilen.
> "Wenn sie unsere Handys aktivieren, gibt es Rückkopplungen im Fernseher, was
> ziemlich nervig ist, wenn man fernsehen will." Also habe sie ihre Mutter
> angerufen und gesagt, dass sie nicht mit ihr, sondern mit dem BKA reden wolle,
> und dass sie bitte das Funken einstellen mögen, damit sie in Ruhe Tatort
> schauen könne. Sonst werde sie das Handy ausschalten. "Es hat dann aufgehört.
> Das fand ich schon sehr surreal."

> Doch diese scheinbare Normalität ist letztlich nur eine Illusion, an dass sie
> sich nicht gewöhnen kann. "Beim Besuch im Gefängnis war es wie Theaterspielen.
> Da sieht man, dass jemand daneben sitzt und mitschreibt, was wir reden."

> Vor kurzem fing Anne H. an, ihre Erlebnisse im Weblog http://annalist.noblogs.org/
> festzuhalten. "Ich dachte, wenn ich das nicht aufschreibe, glaubt mir das in
> einem Jahr niemand mehr." Außerdem "Tut es gut, zu sehen, dass so viele
> Menschen nicht glauben, dass Andrej ein Terrorist ist." Und ihrem Verlobten
> könne es auch nutzen: "Sowohl Staatsanwalt als auch Ermittlungsrichter haben
> uns deutlich zu verstehen gegeben, dass die öffentlichen Reaktionen sie
> richtig genervt haben."

> Komplett hier:
> http://www.zeit.de/online/2007/44/Militante-Gruppe-Ueberwachung?page=all

Es wird jemand ohne jeden Beweis über Wochen in den Knast gesteckt,
das Leben über ein Jahr lang lückenlos überwacht und ausgehorcht,
sowie eine vorher intaktes Familienleben komplett auf den Kopf
gestellt... ja man darf nicht einmal mehr sein Handy ausschalten und
muss sich beim Spazierengehen deutlich von Überwachungskameras filmen
lassen, um sich nicht "verdächtig" zu machen! Aber wenn SOWAS dann
mal in die Öffentlichkeit getragen wird, reagieren Staatsanwalt und
Ermittlungsrichter "genervt".

Da fällt mir echt nix mehr ein...

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