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  • Twister

mehr als 1000 Beiträge seit 27.11.2000

Freiheit für die Daten

"Eigentlich eine richtig klasse Idee." dachte sich Walter M. und da
er wusste, wie langsam die Leute waren, wenn es um gute Ideen ging,
fing er damit jetzt schon an. Warum auch an einer rückständigen Idee
des Datenschutzes festhalten? Immerhin war ja auch im Fernsehen zu
sehen, dass Privatsphäre voll out war. Walter M. hatte mittlerweile
mindestens drei seiner Nachbarn in Talkshows gesehen, er wusste, dass
Viola drei Häuser weiter spitz wie Lumpi war und es sich öfter mit
dem Staubsaugerschlauch machte, dass Frank und Laura es am liebsten
in Ouvert-Unterwäsche trieben und es mochten, wenn dabei die Webcam
lief und dass Sandra seit Jahren nicht hatte über ihre Emotionen
sprechen können, mit niemanden, was sie aber wunderlicherweise
plötzlich und unerwartet in der Talkshow überwunden hatte und so dem
Showmaster mit der Betonfrisur sogar ihre Probleme wegen der zu
großen (oder zu kleinen? Walter hatte es vergessen) Schamlippen
anvertrauen konnte. Erst gestern hatte er sich gefreut, Monika aus
der Selbsthilfegruppe im Fernsehen zu sehen, auch wenn sie sich dort
Bärbel nannte und über irgendwelche Nummern reden wollte (hallo,
sprich mit mir über 118...). Walter M. redete nicht gern über
Nummern, er fand sie langweilig, deshalb rief er Bärbel/Monika auch
nicht an. Aber dass Daten frei sein sollen, fand er halt gut.

Er zog seine leicht transparente Hose mit der Swell-Funktion an (das
macht was her...), schlüpfte in das Netzshirt und machte sich also
auf die Pirsch. Erste Station war natürlich seine Lieblingspinte um
die Ecke. "Na, Meister... Lust auf was zu Rauchen?" kam von einer
zwielichtigen Gestalt. "Nein danke." meinte Walter M. freundlich.
"Ich habe gar nicht genug Geld dafür und rauche sowieso nicht. Heute
hab ich nur 200 Euro dabei, die brauche ich aber für das Trinken,
später ein Taxi und eventuell eine heiße Mieze."
"Schon klar." sagte der Typ und grinste etwas unangenehm. Walter M.
ging in seine Kneipe. Die Dame an der Theke bekam als Erstes von
Walter M. seine gesamten sexuellen Phantasien zu hören und machte
sich schließlich aus dem Staub. Spießerin!

Als Walter M. ein paar Tage später an diesen Tag zurück dachte,
wusste er noch immer nicht, was er falsch gemacht hatte. Er hatte
doch einfach nur dieses Spießertum ablegen wollen und was war? Sein
Chef hatte ihn gefeuert und verklagt. Wegen der Weitergabe von
Firmengeheimnissen, das musste man sich vorstellen! Ein paar Damen
hatten ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt weil er nicht
aufhörte ihnen von seinem Penis und dem, was er damit machen wollte,
zu erzählen; sein Haus war leer geräumt weil er irgendjemandem sowohl
die Nummer seiner Alarmanlage, seine Dienstreisedaten als auch die
Nummer des Tresors verraten hatte und seine Freundin hatte sich in
eine andere Stadt verzogen weil er allen Leuten erzählt hatte, welche
Probleme sie mit ihren Brustwarzen hatte und mit ihren sexuellen
Phantasien, die mit Eiskreme zu tun hatten. Seine Krankenversicherung
hatte die Prämien hochgesetzt (bei Ihrem Lebenswandel!), seine
Familie hielt ihn für einen Perversen (Junge! Wie konntest Du uns das
antun? Gedanken an Sex im Schwimmbad... und dann noch mit
Schwimmringen!) und sein Konto war natürlich bis auf den Dispo
ausgereizt (Na und? Woher hätte er wissen sollen, dass man Leuten
nicht seine Geheimnummer anvertraut?)

Und was das Schlimmste war:
bei der Polizei war man sogar der Meinung, er sei selbst schuld an
allem.
"Man erzählt nicht einfach so Frauen von seinem Penis und davon, wo
man ihn reinstecken will." hatte der Polizist gesagt. "Und man gibt
auch keien Tresornummern weiter oder Geheimzahlen."
Walter M. war enttäuscht, wie weit dieses spießige Datenschutzdenken
noch verbreitet war, da musste noch viel getan werden.
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