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  • Phil-loves-colo

854 Beiträge seit 09.06.2005

Urbäckerrecht

Eine kleine Geschichte aus der Zukunft...

Vor langer Zeit, bevor es Materiereplikatoren gab, mussten alle
Produkte einzeln hergestellt werden. Wer einen Keks wollte, musste
ihn sich selber backen. Da die Menschen erfinderisch und faul sind,
erhöhte man die Effizienz dieses Prozesses: Die einen Menschen
spezialisierten sich auf das Kekse-backen, die anderen
spezialisierten sich auf das Kekse-verteilen. Die Ladenbesitzer
kauften die Kekse vom Kekshersteller und verkauften sie an den
Kunden.

Dann, vor etwa 150 jahren wurde eine grandiose Erfindung gemacht: Der
Materiereplikator. Die ersten Modelle waren unglaublich teuer,
ineffizient, und die replizierten Kekse schmeckten merkwürdig. Aber
da es so viel billiger war, Kekse zu reproduzieren, anstatt sie
jeweils zu backen, setzte sich die Technologie bei den Ladenbesitzern
durch. Nun würden die Ladenbesitzer die Kekse reproduzieren und sie
direkt an den Kunden verkaufen, Bäcker brauchte es kaum noch,
lediglich um gelegentlich neue Rezepte zu entwickeln und neue Kekse
zu backen, da sich ja der Geschmack der Leute mit der Zeit ändert.

Doch die Keksbäcker waren nicht glücklich: Wenn man sie nun ja nicht
mehr länger benötigt, wie sollen sie denn ihr Auskommen haben? So
erfand man eine Legislatur, das Urbäckerrecht, das die Ladenbesitzer
zwingen sollte, jedem Keksbäcker Tantiemen zu zahlen wenn er "seine"
Kekse repliziert. Das Selber-backen, sogar das selber-replizieren für
den Eigenbedarf war aber natürlich erlaubt.

Dies hielt die Ladenbesitzer jedoch nur wenig im Zaum. Sie konnten
nun alle Kekse der Welt praktisch kostenlos herstellen. Sie fingen
an, sich diejenigen Bäcker auszusuchen, die sie am besten
übervorteilen konnten, und machten mit ihnen Verträge, ihre Kekse zu
reproduzieren um Kosten zu sparen. Die talentierten Keksebäcker
gingen immer weniger oft darauf ein, und konzentrierten sich auf das
Geschäft, "echte" kekse frisch zu backen. Nur diejenigen Bäcker, die
mangels bäckerischem Talent überhaupt kein Einkommen mit solcherlei
Backen erzielen würden, liessen sich auf diese Verträge ein.

Da nun jeder Mensch auf der Welt im Prinzip mit den Keksen von
wenigen einzelnen Bäckern versorgt werden konnte, wurden diese Bäcker
zu superstars - Jeder konnte ein "Stück" von diesen Stars bei sich
zuhause haben. Das wäre früher nie denkbar gewesen. Jeder Bäcker
konnte nur eine kleine gruppe an Menschen mit Keksen versorgen, und
so dankte man dem Bäcker, gab ihm sein Entgelt, und ging seines
Weges. Das bäckerische Talent verschwand mehr und mehr im Hintergrund
gegenüber Bäckern, die sich lediglich ungewöhnlich aufführten.

So verschlechterte sich die Qualität der Kekse immer mehr. Da das
Keksereplizieren dem Gelddrucken gleichkommt, wurden die
Ladenbesitzer zu multinationalen Betrieben mit unsummen an Kapital,
und konnten der verschlechterten Qualität entgegenwirken indem sie
den Werbeaufwand massiv erhöhten.

Doch mit der Zeit verbesserte sich die Energieversorgung der
Bevölkerung zunehmend, und Materierreplikatoren wurden durch die
Technologische Entwicklung des Digitalquantentechnobabble in ihrer
Leistung und Effizienz beinahe über Nacht vervielfacht.
Schlussendlich, vor etwa 20 Jahren, wurde das Maternet entwickelt -
ein Netzwerk, mit dem die enormen Datenmengen, die für eine
Materiereplikation notwendig wurden, einfach von haushalt zu haushalt
übertragen werden konnten. Innert einer Dekade hatte jeder Mensch
selbst die Möglichkeit, alle möglichen Kekse für sich selbst zu
replizieren und auf dem Maternet mit anderen zu tauschen. Eine
glorreiche neue Zeit des technologischen Wohlstandes war angebrochen!

Jeder Bäcker konnte nun seine Kekse praktisch kostenlos unter's Volk
bringen, für Ruhm oder Entgelt. Jeder Konsument konnte sich mit
vielerlei exotischen und seltenen Keksen eindecken, so viel er nur
wollte. Doch die Ladenbesitzer wehrten sich mit Händen und Füssen
gegen diese neue Entwicklung, denn für sie gab es in dieser neuen
Ordnung keinen Platz.

Das Urbäckerrecht war noch immer in Kraft - doch es verhinderte
explizit nicht, dass die Leute selbst ihre kekse backen oder
replizierten, denn es war ursprünglich an die Ladenbesitzer
gerichtet, um zu verhindern dass gestohlene Keksrezepte gewerbsmässig
verwendet wurden.

"Das ist ungerecht", dachten sich die Ladenbesitzer. "Wenn nun jeder
selbst seine Kekse replizieren kann, wer braucht dann uns noch?" Und
so gingen sie zu Pontius und Pilatus und allen Politikern, um das
Urbäckerrecht zu ändern:

Sie wollten verhindern dass die Leute selbst ihre Materiereplikatoren
benutzen dürfen. Sie forderten alle möglichen Dinge, einschränkungen
für die Materiereplikatoren, so dass diese nur noch die immer weniger
werdenden Kekse replizieren konnten, die nicht unter das Urheberrecht
fielen. Sie forderten Geldstrafen und Gefängnis für Leute, die Kekse,
ohne an die Ladenbesitzer Geld zu bezahlen reproduzierten können. Sie
forderten all dies und noch mehr, im Namen des Wohlstands,
Fortschritts, und all solchem Kram.

Natürlich wurden schlussendlich die Ladenbesitzer und die Politiker,
die sie unterstützten, an die Wand gestellt und an Bäumen
aufgeknüpft, als die Bevölkerung Begriff, was vor sich ging. Aber das
ist eine andere Geschichte.

Nachtrag

In unserer westlichen, liberalen Volkswirtschaft herrscht das Prinzip
der Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage entscheiden, was bezahlt,
was gemacht wird.

Auch ohne "Urbäckerrecht" gibt es immer noch Bedarf - genauer,
NACHFRAGE - an neuen Keksen: irgendwann schmecken die Alten einfach
öde. Wenn jemand also neue Kekse haben will, wird er - genau wie für
alles andere auf der Welt - auch bereit sein, dafür zu zahlen,
genauso wie er bereit ist für die preiswerte Menge an Energie zu
bezahlen, die ihn das Replizieren des Kekses kostet.

Ich empfehle, Bäcker-künstlern, die dir persönlich zusagen, eine
Spende, vielleicht sogar mit einem Brief, zukommen zu lassen. Bist du
wohlhabend genug, kannst du dir überlegen, so einen Künstler als
Mäzen zu sponsorn. Und diese Methode sollte propagiert und etabliert
sein: Ein Geschenk ist auch in der freiesten Marktwirtschaft eine der
effizientesten Methoden, um Ressourcen zu alloziieren. Bezahlte man,
im Vergleich, ein repliziertes Brot beim Händler, erhielt der
ursprüngliche Künstler weniger als einen Bruchteil von einem Prozent
des Erlöses - wenn überhaupt.
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