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mehr als 1000 Beiträge seit 15.06.2001

Re: Muss sowas sein?



> Es tut mir leid, wenn mein Beitrag für Dich verletzend war.

Naja ist schon ok :)

> Allerdings hab ich mich nur auf den TP-Online-Artikel bezogen, der ja
> auch ziemlich locker geschrieben ist und den Test als gut bzeichnet.

Ja den TP Artikel kannte ich auch. Es gibt wohl kaum etwas, was so
unterschiedlich
dargestellt wird, wie das Asperger Syndrom. Die einen sehen darin
eine Art "Wunderkindsyndrom",
für andere ist es schlicht weg eine geistige Behinderung. Wieder
andere behaupten, so etwas
würde es gar nicht geben, es sei eine soziale Konstruktion. Das halte
ich für Unsinn, nicht umsonst
wird es von der Weltgesundheitsorganisation seit Anfang der 90er als
Krankheit angesehen und wird in allen relevanten Diagnosekatalogen
geführt, und das was ich erlebt habe, ist bestimmt keine
"Konstruktion".....
Was nun wirklich ist und was es für den Einzelnen bedeutet, hängt
wohl vom Einzelfall ab.

> Was mich interessiert: Was würdest Du an Deinem Leben als unnormal
> ansehen?

Mir wurde berichtet, ich sei schon als Kleinkind ziemlich
verhaltensauffällig gewesen, hätte kaum mit anderen Kindern (oder
meiner Mutter) interagiert, sei agressiv und kaum zu beruihigen
gewesen usw. Schien ja zu reichen, damit mir schon in dem Alter
Autismus Diagnosen gestellt wurden.

Als ich dann etwas größer war konnte ich anderen Kindern nicht
anmerken, ob sie mich mochten oder sogar böse auf mich waren.  So
fragte dann (und oft natürlich genau die falschen...) ob sie mit mir
Freund sein wollten, und als Antwork bekam ich "eins auf die
Mütze..." , wusste bei Streitereien nie, wann besser schluss war (mit
Kindern, Lehrern, meiner Mutter). Sowas passierte nicht "mal",
sondern dauernd.
Das alles wurde mir dann als "Boshaftigkeit" unterstellt (obwohl ich
das bestimmt nicht war). Ich selbst habe überhaupt nicht verstanden,
warum es diesen Ärger gab, für mich sah es aus, als ob die anderen
irgendein willkürliches Spiel mit mir spielen würden.
Nachdem die erste Klasse vorbei war, wollte meine Klassenlehrerin,
dass ich die erste wiederhole wegen dem Sozialverhalten und die
Mathelehrerin wollte, dass ich eine Klasse überspringe, weil ich
total unterfordert war.....

Ich hatte dann so einen "Tick", alles auseinanderbauen zu müssen. Die
vielen kleinen Teile übten einen Reiz auf mich aus, den ich nicht
beschreiben kann. Das wiederum hat aber keine verstanden und es wurde
mit als "blinde Zerstörungswut" ausgelegt. Bevor Computer Thema
wurden, interessierte ich mich für Elektronik, bastelte alle
möglichen Schaltungen und hatte (für einen Grundschüler wohl eher
ungewöhnlich) eine recht gute Vorstellung davon, wie diese Dinge
funktionierten und habe es auch jedem ganz genau erklärt, ob er es
nun hören wollte oder nicht, was mir in der Grundschule des
Spitznamen "Professor" einbrachte.

Meine Mutter versuchte jede Menge, um mich mehr mit anderen
zusammenzubringen ( Ferienfahren mit Jugendgruppen usw.) aber meist
brachte es einfach nur mehr Ärger.

Später beschäftigte ich mich mit Computer am Anfang (wie bei so
vielen) der C64, ich konnte die Hexcodes der 6502 Maschinensprache
auswendig, hatte nach einem Schulwechsel plötzlich fast überall 1 und
wurde von meinen Mitschülern als irgendwie "bekloppt" angesehen, im
laufe der Zeit wurde ich aber ganz gut anerkannt, vor allem weil ich
immer Leuten, die in der Schule Probleme hatten, geholfen habe. Ich
setzte mich für andere ein, und war später jahrelang Schülersprecher.
 Schwierig wurde es dann, als so das Interesse an Mädels anfing.
Bestimmt hätte ich Chancen gehabt, ich war durch viele Aktivitäten
bekannt und schüchtern war ich auch nicht (Reeden vor 1000 Leute ohne
Zettel kein Problem, auch einzelne Leute ansprechen usw.) aber wenn
mich ein Mädel mal "nett ansah" merkte ich nichts, reagierte nicht.
Auch dann wenn es eine war, die ich selbst mochte. Wenn ich es
merkte, dann zu spät der wenn andere mich darauf hinwiesen. Ich
weiss, sowas passiert jedem. Aber mir passierte es *nur*, wurde als
"kalt" oder gar "gefühllos" angesehen. Und wenn das welche sagen, die
man sogar mag, das tut weh.....
In dieser Zeit fing ich an Musik zu machen, Keyboard zu spielen. Mit
grosser Energie, meine Mutter glaubte, ich sei irgendwie "besessen".
Es machte schon Eindruck, ich konnte fast alles, was zu der Zeit in
den Charts war, spielen - und viele sagten, sie konnten nicht
verstehen, warum ich alleine war....
Aber sie waren verwundert, dass ich oft irgendwie "abwesend"
erschien, wie in einer "eigenen Welt".

In der Zeit begann ich langsam zu spüren, dass irgendwas anders war,
ich hatte das Gefühl, die Welt irgendwie anders wahrzunehmen. Es war
normal für mich, dass gewisse Kleinigkeiten, z.B. Lichtspielereien,
wenn im Schwimmbad die Sonne auf bestimmte Arten aufs Wasser fällt,
mich so faszinierten, dass alles drum herum irgendwie "weg" war, und
ich total so aufmerksam hinsah, dass mich manchmal andere Fragten, ob
alles ok wäre. Aber ich fühlte mich schon etwas seltsam, als andere
mir erzählten, dass sie für solche Eindrücke irgendwas illegales tun
mussten.

Weil ich gegen meinen Willen allein war, wurde ich depressiv, machte
erste Bekanntschaften mit Therapeuten, die mir aber nicht wirklich
helfen konnten.

Ich zog dann nach dem Abi um, wollte studieren aber war mit der
Situation an der anonymen Massen Uni total überfordert und wurde sehr
depressiv (Selbstmordgedanken) , kam absolut nicht mehr weiter. Ein
guter Freund machte damals ZIVI, hatte dort mit Autisten zu tun
(schwere Fälle) und meinte zu mir, es sei bei deinen zwar natürlich
viel krasser, aber es gäbe schon viele Parallelen. Weil er das AS als
Begriff nicht kannte, meinte er, ich hätte "Autismus Light" ;)
Interessanterweise haben zu dieser Zeit mehrere Leute gesagt, ich
sein ein bisschen autistisch, hätte autistische Züge oder sowas, wie
gesagt, ich wusste (noch) von nichts.

Naja in der Therapie wegen der Depression schrieb ich irgendwann mal
auf, warum ich das Gefühl hatte, anders zu sein. So kam es dann zu
einer Verdachtsdiagnose, die von einem Spezialisten bestätigt wurde
nach langen Untersuchungen, dabei wurde mir auch eine Hochbegabung
bescheinigt (IQ 136).
Für mich war das schockierend, ich hatte so den Wunsch "normal"
werden zu können, das schien unmöglich geworden zu sein. Ich wollte
es nicht wahrhaben, verdrängen und beweisen, dass es nicht stimmt,
versuchte es mit dem Kopf durch die Wand. Fuhr in Discos sprach Leute
an, die ich nicht kannte (aus Verzweiflung), aber merkte dann, dass
ich nicht zurechtkam. War ich dann mit mehreren irgendwo z.B. in
einem Biergarten , sprachen die miteinander und ich bekam schnell gar
nix mehr mit, fast als ob sie eine Sprache sprechen, die ich nicht
kann und ich klinkte mich aus und sah fasziniert in den
Sternenhimmel... Damals trank ich dabei immer nur Cola, war schon
"instinktiv" richtig. Sie wollten mich dann (gut gemeint) mal zu nem
Bier (zum "Lockerwerden") überreden, aber das war eine schlechte
Idee. Denn dann bekam ich von den Leuten gar nichts mehr mit.

Behandelt wegen dem Autismus wurde ich übrigens nicht (sah man keine
sinnvollen Möglichkeiten), nur wegen der Depression, die allmählich
verschwand.
Ich begann mich mit künstlerichenkunstreichen Aktivitäten zu
beschäftigen, vor allem Video Filmen (Kurzfilme), nahm an Kursen
Teil. Dabei zeigte sich, dass meine Arbeiten grundlegend "anders"
waren, als bei den meisten anderen. Diese Wahrnehmung für kleine
Details und das ausgeprägte "bildhafte" Denken erwiesen sich sehr als
Vorteil und ich fand gute Anerkennung z.B. bei Aufführungen. Ich
begann zu verstehen, dass ich auf meine eigene Art Erfolge haben
kann, nicht obwohl ich so bin, sondern gerade weil ich so bin.... Es
gab keinen Druck mehr, "anders" sein zu müssen.

> Bzw: Denkst Du nicht, dass viele Leute, die viel und gern
> mit Computern arbeiten, ähnliche Probleme haben, obwohl bei ihnen nie
> etwas Auffälliges diagnostiziert wurde?

Nein. Ich habe beruflich natürlich mit vielen Leuten zu tun gehabt,
die sich intensiv mit Computern beschäftigt haben, sowohl aus
professionellem wie auch aus privatem Interesse heraus. Aber die
meisten, die das tun, haben nicht solche Eigenschaften, wie ich oben
beschrieben habe, auch nicht, wenn sie introvertiert oder schüchtern
erscheinen mögen (ich bin wohl keines vom beidem). Es gibt einige
Menschen (mit denen ich mich auch gut verstehe), die sagen, dass sie
gewisse Dinge in Ansätzen nachempfinden können, aber längst nicht in
dem Ausmass. Von "Normal" zu Autismus ist sicherlich ein Kontinuum,
aber ich halte es für Unsinn, als "Computerfreaks" als "Aspies"
anzusehen.

Da mag es Überschneidungen geben, aber gleichsetzen sollte man das
nicht !

So das war jetzt viel, , aber ich hoffe, du kannst dir jetzt ein
Bischen vorstellen, was das AS (für mich) bedeutet....

Christian

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