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100 Beiträge seit 06.11.2006

Der Brief an eco im Wortlaut

An: …@eco.de
CC: …@bundestag.de, …@gdp-online.de, …@bdk.de, …@dbb.de, …@bka.de

An den Vorstandsvorsitzenden
eco Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.
Marienstraße 12
10117 Berlin

Sehr geehrter Herr …,

am 2. März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht die deutschen
Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und
nichtig erklärt. Damit haben Bürgerrechtler, Berufsverbände und
Wirtschaft, die sich massiv gegen die anlasslose Erfassung des
Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung eingesetzt
hatten, einen großen Erfolg errungen. Nach dem Urteil haben wir ein
starkes Interesse daran, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht
wieder eingeführt wird, zumal die Kosten hierfür bei Beachtung der
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts außerordentlich hoch wären –
ganz zu schweigen von den Freiheitskosten.

In den letzten Wochen sind nun immer wieder Klagen von Seiten des
Bundeskriminalamts, der Polizei und Innenpolitikern laut geworden,
wonach mangels Vorratsspeicherung Straftaten im Internet nicht mehr
hätten aufgeklärt werden können. Diese Klagen betreffen insbesondere
solche Internet-Zugangsanbieter, die nicht unter Berufung auf § 100
TKG eine „kleine Vorratsdatenspeicherung“ von einigen Tagen
fortführen, sondern im Einklang mit der Rechtslage auf jede
Einwahldatenprotokollierung verzichten.

   1. Zum einen werden Fälle geschildert, in denen die Zuordnung
einer dynamischen IP-Adresse kurz nach dem Ende einer
Internetverbindung mangels Vorratsdatenspeicherung nicht mehr möglich
gewesen sei. Wenngleich die Identifizierung Unbekannter nach dem Ende
eines persönlichen Gesprächs oder Briefkontakts ebenfalls oftmals
scheitern wird, können weitere Ermittlungen teilweise zum Erfolg
führen. Dementsprechend sollte es auch im Internetbereich möglich
sein, Verdächtige ggf. bei ihrer nächsten Nutzung des entsprechenden
Dienstes zu identifizieren. Dazu wäre es aus meiner Sicht sinnvoll,
wenn die Polizei während einer bestehenden Internetverbindung „auf
Zuruf“ die Erfassung und vorläufige Aufbewahrung („preservation“) der
aktuellen Zuordnung einer dynamischen IP-Adresse durch einen
Internet-Zugangsanbieter erreichen könnte. Die Zeit, die bis zu einer
solchen Erfassung verstreicht, sollte minimiert werden, sowohl auf
Seiten der Polizei wie auch auf Seiten der Provider, um auch ohne
Vorratsdatenspeicherung eine angemessene, also mindestens
durchschnittliche (55%) Aufklärungsquote bei Internetdelikten zu
gewährleisten.
   2. Zum anderen wurde von Herrn Binninger im Bundestag ein Fall
beschrieben, in dem ein Internet-Zugangsanbieter während der
bestehenden Verbindung die Identifizierung des Nutzers einer
dynamischen IP-Adresse verweigert habe mit der Begründung, er sei zur
Speicherung der Zuordnung nicht verpflichtet. Nach meiner vorläufigen
Einschätzung muss es auch ohne Protokollierung der Einwahlvorgänge
während einer bestehenden Internetverbindung nach § 100g StPO möglich
sein, die verwendete Anschluss- oder Kundenkennung zu ermitteln. Hier
wäre rechtlich und technisch zu beleuchten, wie nach Abschaffung der
Vorratsdatenspeicherung in solchen Fällen auf Seiten der
Internetprovider und der Ermittlungsbehörden zu verfahren ist.

Zwar gab es nicht zuzuordnende Internetverbindungen (z.B. wegen
internationaler Anonymisierungsdienste) schon von Einführung der
Vorratsdatenspeicherung in gleicher Zahl (bei einer Aufklärungsquote
von etwa 80% blieben etwa 20% der bekannt gewordenen Internetdelikte
auch unter Geltung der Vorratsdatenspeicherung unaufklärbar). Dennoch
haben wir als Gegner der Vorratsdatenspeicherung ein gemeinsames
Interesse daran, der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass in
Deutschland – wie z.B. bereits in Österreich, Belgien, Schweden und
Kanada – Internetdelikte angemessen auch ohne Vorratsdatenspeicherung
aufgeklärt werden können. Nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts steht uns jetzt ein Zeitfenster offen, in
dem wir alternative Verfahren implementieren und Akzeptanz dafür
schaffen können. Ich bin sicher, dass auch die Befürworter einer
Vorratsdatenspeicherung ein Interesse an solchen Lösungen haben.

Vor diesem Hintergrund möchte ich anregen,

   1. dass sich die Internet-Zugangsanbieter untereinander überlegen,
wie nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung mit „quick freeze“ und
„data preservation“-Anfragen der Ermittlungsbehörden während einer
bestehenden Internetverbindung umgegangen wird,
   2. dass sich Internet-Zugangsanbieter, Ermittlungsbehörden und
Internetnutzerverbände zusammensetzen, um sich gemeinsam über die
diesbezügliche Rechtslage, die technischen Möglichkeiten und
Verbesserungsmöglichkeiten („best practise“) auszutauschen,
gegebenenfalls auch unter Einbeziehung von Sachverstand aus Staaten,
die schon immer ohne Vorratsdatenspeicherung operieren (z.B.
Österreich).

Es würde mich freuen, wenn Sie diese Anregung aufgreifen und eine
entsprechende Initiative auf den Weg bringen würden. Ich bin sicher,
dass eine solche Initiative auch auf Seiten der Politik bei deren
Entscheidungen über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung Beachtung
finden würde.

Mit freundlichem Gruß,


Quelle: http://www.daten-speicherung.de/?p=2134
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