Manch einer glaubt hier offensichtlich immer noch, Gesetze werden durch leidenschaftliche Debatten und Abstimmungen im Bundestag bestimmt. Dem ist nicht so.
Der Bundestag dient nur noch dazu, das abzunicken, was in kleinem Kreise, den FachausschĂĽssen, dem Koaltitionsausschuss, den Konzernen und deren Lobbyisten entschieden wurde.
Der Trick besteht darin, dass man so den Werdegang von Gesetzen dem (kritischen?) Auge der Öffentlichkeit entzieht. Selten erfährt der Bürger, welcher geschmierte und lobbytomierte Hansel für diese oder jene Änderung verantwortlich war. Mögliche Alternativen oder grundsätzliche Bedenken bleiben so auch hinter verschlossenen Türen.
Es ist darüber hinaus gängige Praxis, Gesetzesvorhaben noch in letzter Sekunde durch entscheidende Passagen "zu eränzen" oder Abstimmungen über heikle Themen bis weit in die Nacht zu verschieben, wenn eh kaum noch einer zuhört.
Weiterhin ist es absolut ĂĽblich, dass der Bundestag nur in Minimalbesetzung die meisten Gesetze im Sinne der Regierung durchwinkt. Das nennt sich Pairing und funktioniert so:
Angenommen, die Regierung hat 400 Abnicker und die Opposition 200. Wozu sollen alle ihren überbezahlten Hintern ins Plenum schieben, wenn die Sache längst entschieden ist? Also schickt die Regierung 40 Abnicker und die Opposition 20. Alle halten brav ihre Reden oder geben sie zu später Stunde nur noch zu Protokoll (als Gute-Nacht Lektüre für die Nachwelt), erste, zweite und dritte Lesung. Nächster Tagesordnungspunkt. Vielleicht schafft es der eine oder andere brilliante Satz es bis in die Abendnachrichten. Am Gesetz ändert das aber nichts, da wurde alles vorher in trockene Tücher gewickelt. Notfalls nach "Probeabstimmungen" eventuelle "Abweicher" mit der Drohung von LiebesMandatsentzug auf Linie gebracht. Das ganze Affentheater ist eine Farce, der Bundestag zu einem Abnickerverein verkommen.
Wer jetzt glaubt, das alles habe nicht mehr viel mit der Demokratie zu tun, welche die Väter unseres Grundgesetzes im Sinn hatten, der liegt genau richtig.
Natürlich kann die Opposition dieses Spiel jederzeit unterlaufen, indem sie entweder mehr Abnicker schickt oder die Beschlussunfähigkeit des Plenums feststellen lässt:
Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Vor Beginn der Abstimmung kann die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf Prozent der Abgeordneten angezweifelt werden. Wird sie auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht, ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlussfähigkeit durch Zählen der Stimmen festzustellen. Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen zählen dabei mit.
Ist der Bundestag beschlussunfähig, hebt der Sitzungspräsident die Sitzung auf. Ein Verlangen auf namentliche Abstimmung bleibt jedoch in Kraft.
Aber dies ist natĂĽrlich eine "kann" und keine "muss" Bestimmung.
Theoretisch könnte ein einzelner Hansel im Parlament ein Gesetz verabschieden, etwa zur Auflösung der BRD oder dem Austritt aus der Nato. Solange er selbst keinen Antrag auf Beschlussunfähigkeit stellt.
Es gibt wenige Beispiele, da schert schon mal eine Partei aus. Ich glaube, die Linke war es sogar einmal. Deren Antrag auf Missbilligung der Amtsführung von Bundesminister de Misere führte einmal zu einem "Hammelsprung", weil von der Regierung zu wenige Abgeordnete erschienen waren und bei der Abstimmung per Handzeichen nicht klar war, ob der Antrag der Linken mit der nötigen Mehrheit abgelehnt wurde.
Normalerweise verlassen nun alle Abnicker fix das Plenum und gehen durch die entsprechenden TĂĽre fĂĽr Ja, Nein und Enthaltung wieder rein.
Ne ne, da wird debattiert, gestikuliert und vor allem telefoniert. Um schnell noch ein paar Abnicker zusammenzutrommeln. Das dauert geschlagene 15 Minuten, und am Ende sind genĂĽgend Abnicker der Union da, um den Antrag der Linken abzulehnen.
Und hinterher waren alle auf die Linke sauer, weil die den gewohnten Müßiggang gestört hat.
https://www.youtube.com/watch?v=Z8FbLzx6Lt8
Linke und Grüne hätten demnach in der Frage der drastischen Ausweitung der Quellen-TKÜ genau diesem Kunstgriff bemühen können und die Abstimmung zumindest etwas verzögern können. Das wäre zwar letztendlich nur ein Symbol gewesen, aber Politik lebt auch machmal genau von solchen Symbolen.
Da sie brav das abgekartete Spiel mitgespielt haben, ist ihr Vortum ziemlich unglaubwĂĽrdig.
Übrigens genau so wie ihre Ablehnung der automatischen Kopplung der Diäten an den Lohnindex (da hätte jeder Abgeordnete vorm BverfG wahrscheinlich mit Erfolg klagen können, denn die langjährige Rechtsprechung des BVerfG verbietet eine Erhöhung der Diäten ohne Debatte) oder wie unlängst ihr Verhalten in der Frage der Privatisierung der Autobahnen. Im Bundestag dagegen bzw. enthalten, im Bundesrat aber dafür. Die Frage ob man "dafür" oder "dagegen" ist ist meist eine Frage von Opposition oder Regieurung und weniger von eigener Überzeugung, Gewissen oder Haltung. Deswegen sind die Abnicker auch leicht austauschbar. Spielt mal einer nicht mit, kommt halt der nächste Kostgänger auf den Stuhl.
Deswegen ändern Wahlen auch kaum etwas. Es spielt heute kaum noch eine Rolle, welche Farbe das Parteibuch der Abnicker hat. Die wichtigen Entscheidungen fallen in ganz anderen Gremien, deren Entscheidungswege intransparent und der Öffentlichkeit verschlossen bleiben.
Der Bundestag ist wie eine Kiste mit faulen Äpfeln. Man erhält kein frische Obst, indem man ein paar faule Äpfel durch ein paar frische ersetzt und diese der schöneren Optik wegen oben drauf legt. Die faulen Äpfel werden die frischen ganz schnell faulen lassen.
Da hilft nur noch die komplette Entsorgung aller faulen Ă„pfel einschlieĂźlich der Kiste.