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  • Klaus Hamann

269 Beiträge seit 31.01.2000

RFID ist böse!

Jaja, wieder einmal wurde auf dem heise-Ticker etwas über RFID
geschrieben. Wieder einmal funktionieren die Beißreflexe des Forums
und man ist sich ja schon lange einig, dass dies das Ende der
Zivilisation ist (nun aber wirklich), ohne das nur vage vorgestellte
System und seine technischen Eckdaten zu kennen.

So wenig, wie man sich in Amerika vernünftig über Waffenkontrolle und
Todesstrafe unterhalten kann, so wenig ist man in Deutschland in der
Lage z.B. über Tempolimit auf Autobahnen, oder eben RFID sachlich zu
diskutieren. Schnell hat man seine Feindbilder im Kopf hervorgekramt
und geifert sich gegenseitig (anders kann man es leider nicht mehr
nennen) blühendsten Blödsinn zu, der dann eifrig aufgenommen und
unkritisch weitergesponnen wird. Der Glaube an den großen Bruder und
den Überwachungsstaat haben längst den Glauben des Mittelalters an
den Beelzebub abgelöst. Auch damals war dem Teufel ja wirklich alles
zuzutrauen, er war überall, vor ihm wollte oder konnte man auch "im
Zweifel" keinen Schritt zurückweichen, "um die Welt", die Seelen der
Gläubigen, oder was auch immer, um jeden Preis zu retten, egal was
Logik, gesunder Menschenverstand oder Physik dazu sagen. Das
Vokabular von damals ähnelt dem heutigen Sprachgebrauch manchmal auf
denkbar unheimliche Weise.

1. Anstatt darüber zu reden, welche gesetzlichen Regelungen und/oder
technischen Maßnahmen zur Gewährleistung eines effektiven
Datenschutzes _mit_ RFID-Technik sinnvoll, möglich und/oder
wünschenswert sind, ergeht man sich lieber in eine sauertöperische
Jammerei, wie schlecht doch heutzutage alles geworden ist.

2. Wenn die Lösung zur Vermeidung von fälschlich oder falsch
Operierten wirklich so einfach ist (Zettel, Buntstifte, Bildchen
usw), warum geschehen dann weiterhin solche Tragödien? Ist die
Ärzteschaft denn komplett doof? Liebe Leute: Das wird schon lange
eingesetzt, aber warum passieren dann trotzdem solche Fehler? Hat man
sich das vorgestellte System denn nur aus Jux und Dollerei ausgedacht
oder will man tatsächlich ein existentes Problem lösen?

3. Jaja, die "Unmenschlichkeit" und "Unpersönlichkeit" in deutschen
Krankenhäusern. Der spezialisierte Herzchirurg soll während seiner
Arbeit lieber 50 % seiner Zeit dem Kontakt zum Patienten widmen,
statt das zu tun, wofür er (möglicherweise zu Recht) viel Geld
bekommt. Leute: Der Arzt der euch operiert, _kann_ euch heute nicht
mehr kennen. Seine Zeit und Fähigkeiten sind viel zu kostbar, wer von
euch will das denn bezahlen? Der (gestresste) Typ, der euch tagsüber
pflegt und zum OP schiebt, hat oftmals auch keine Erlaubnis direkt in
den OP zu kommen, denn der hat auch nicht immer Zeit sich zu
sterilisieren usw. Es gibt ja auch noch andere Patienten. Wenn da bei
der Patientenübergabe mal Fehler passieren, dann ist das Problem da.
Jaja, wir setzen Filzstifte und Papier gegen zeitlichen Streß und
wirtschaftlichen Druck in Krankenhäusern ein... Vorschlag: Geht doch
mal heute ins Krankenhaus zu den Schwestern dort und redet ihnen mal
so ordentlich ins Gewissen, dass sie sich verdammt nochmal in ihren
Schichten etwas mehr Zeit nehmen und mehr menscheln sollten. Und
natürlich haben wir ja alle in jungen Jahren freiwillig ein
unbezahltes soziales Jahr abgeleistet, nicht wahr? (Übrigens: Meine
Hochachtung vor den Leuten die das wirklich tun!)

4. Die Kosten des Gesundheitswesens explodieren. So oder so, muss
sich früher oder später was tun. Die Menschen werden im Schnitt immer
älter und bedürfen im Alter immer mehr ärztliche Unterstützung. Aber:
Wir werden immer älter, weil sich unsere medizinische Versorgung
verbessert hat, nicht wegen eines Überlebensvorteils im Sinne von
Darwin. Und zu welchem Preis? Wollen wir das Spiel weitertreiben und
einfach immer mehr bezahlen? Wer von den hier im Forum Anwesenden
pflegt heute schon freiwillig seine Eltern zuhause, damit das
allgemeine Gesundheitssystem entlastet wird?


Ob diese Technik eine Verbesserung verspricht, datenschutzgerecht
sein kann und _vielleicht_ effektiv Kosten senken kann, kann man auch
sachlich und vernünftig diskutieren, aber nein. Was tut man
stattdessen? Man pflegt ausschließlich seine Paranoia und sein
albernes Selbstbild als "eigentlich gefährlicher Staatsfeind" und
Freizeit^H^H^H^Hheitskämpfer.

Leute, beruhigt euch wieder, kommt wieder etwas runter, einmal feste
durchatmen. Ein bißchen weniger Polemik und etwas mehr Sachlichkeit
bitte...

MfG

Klaus Hamann
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