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  • Frank Emser

120 Beiträge seit 15.07.2000

Re: Offener Brief an Heise: Die Studie und ihre (sowie auch: Ihre) Glaubwürdigke

Lichterloh schrieb am 10. September 2012 18:44
> Wer so einen Artikel als einzige Basis für so eine
> Entscheidung heranzieht, macht auch eine Kneipe auf, weil er gerne
> Bier trinkt ...
Das ist sicher richtig, aber das darf kein Grund für heise sein,
nicht auch mal selbst ein bisschen Grips in die Angelegenheit zu
stecken, anstatt sich lediglich als Sprachrohr/Werbung für Gulp
missbrauchen zu lassen.

> Über die Aussagekraft der absoluten Zahlen kann man auch sicherlich
> streiten - die Argumente liefern Sie ja. 
Ich hatte mich in der Tat in meiner Kritik auf die absoluten Zahlen
konzentriert...

> Aber der Trend dürfte schon aussagekräftig sein. 
...aber eigentlich ist auch der hier suggerierte Trend durchaus
kritikbedürftig.
Auffällig ist schonmal die variierende Bezugsbasis von mal einem und
mal 5 Jahren:
a.) "Das sind etwa zwei Euro mehr, als vor einem Jahr
durchschnittlich gezahlt wurde."
b.) "sechs Euro mehr als noch vor fünf Jahren."

In beiden Fällen suggerieren die jeweiligen Nachsätze seitens des
Autors, dass man mit dieser horrenden Steigerung absurd hohe, kaum
erklärbare Stundensätze erreicht hätte:
a.) "Das sind etwa zwei Euro mehr, als vor einem Jahr
durchschnittlich gezahlt wurde. Der Grund für die Auszahlung der
hohen Stundensätze liegt... "
Ich seh' den Autor buchstäblich vor mir, wie er sich den Kopf darüber
zerbricht, was der Grund dafür sein kann, dass überhaupt jemand allen
Ernstes solch hohe Stundensätze auszahlen wird. 
Durch seine subjektive Bewertung des absoluten Stundensatzbetrags als
hoch unmittelbar nach Nennung der Steigerung im Vergleich zum Vorjahr
erweckt der Autor zudem den Eindruck, dass es vornehmlich dieser
Steigerung zu verdanken ist, dass es zu solch -seiner Meinung nach-
hohen Stundensätzen (deren Auszahlungsrechtfertigung er ja noch extra
darlegen muss) gekommen ist. 

b.) "sechs Euro mehr als noch vor fünf Jahren. Außerdem ist das mehr
als jede andere Altersgruppe verlangt."
Auch hier wird wieder unmittelbar nach Nennung der Steigerung ein
Kommentar zum absoluten Stundensatz abgegeben, was wiederum den
Eindruck erweckt, als handele es sich um eine übermässige Steigerung. 

Soweit also das, was uns der Autor beim flüchtigen Überfliegen des
Textes suggerieren will.

Doch nehmen wir uns die Zahlen einfach nochmal konkret vor:
a.) "Zwei Euro mehr, als vor einem Jahr" 
74 Euro sind also 2 Euro mehr als vor einem Jahr (da waren dann es
demnach  72 Euro)
2 Euro/ 72 Euro entspricht einer Steigerung von 2,78 %. 
Inflationsbereinigt sind die Stundensätze also gerade mal konstant
geblieben. 

Wenn ich mir dagegen die "effektive Inflation" anschaue (nicht am
offiziellen Warenkorb gemessen, sondern am Benzinpreis, der ja für
die meisten Freiberfuler systemimmanenterweise eine wichtige Rolle
spielt), dann könnte man sogar behaupten, dass die durchschnittlichen
Stundensätze effektiv gesunken sind.

b.) "sechs Euro mehr als noch vor fünf Jahren."
77 Euro sind 6 Euro mehr als vor 5 Jahren (da waren es demnach 71
Euro)
DAS macht nun über die letzten fünf Jahre eine durchschnittliche
Steigerung von gerade mal 1,63% und ist somit trotz der reisserischen
Wortwahl des Autors inflationsbereingt im Wesentlichen gerade mal
konstant geblieben.
Das wird insofern deswegen pikant, weil wir hier ja von der
Altersgruppe mit der höchsten Steigerung sprechen, das heisst alle
anderen haben inflationsbereinigt womöglich sogar verloren...

> Die Motivationen zu viel oder zu wenig
> einzugeben dürfte sich ja über die Jahre nur wenig ändern. 
Das ist korrekt.

Trotzdem könnte der Trend verzerrt sein, denn was mir zumindest in
der Studie leider auch nicht sauber getrennt zu sein scheint, ist die
Unterscheidung zwischen Deutschland, Schweiz und dem
Deutschsprachigen Raum:
"In der Schweiz ... 93 Euro pro Stunde. ... knapp 50 Prozent aller im
deutschsprachigen Raum arbeitenden IT-Freelancer ... relativ nah am
Durchschnitt von 74 Euro liegen"

Das gibt Anlass zu einer weiteren Nebenbemerkung bzgl. des absoluten
Stundensatzes: Wenn sich der durchschnittliche Stundensatz von 74
Euro unter Einbezug  der Schweizer 93 Euro auf den deutschsprachigen
Raum bezieht, dann fällt der durchschnittliche Stundensatz für
Deutschland recht schnell auf etwa 72,5 Euro.

Aber nun zurück zum Trend:
Der Schweizer Franken lag den schon zuvor als Massstab genommenen 5
Jahren bei 1,65, nun ist er bekanntlich bei 1,20.
Unter der Annahme, dass die CHF-Preise in der Schweiz nicht gesunken
sind, hätten die Euro-Stundensätze der Freiberufler in der Schweiz um
37% klettern müssen, alleine nur um den Kaufkraftverlust des Euro
auszugleichen. 
Ausgehend von einem durchschnittlichen Stundensatz in der Schweiz von
86 Euro im August 2007 müsste der durchschnittliche Stundensatz in
der Schweiz jetzt also bei etwa 118 Euro liegen -tatsächlich liegt er
aber nur bei 93 Euro, was bedeutet, dass die Stundensätze in der
Schweiz bezogen auf deren Währungseinheit CHF (und mit genau selbiger
zahlt ein in der Schweiz lebender (deutscher) Freiberufler ja nunmal
auch dort seine Rechnungen (Kost, Logis, Transport etc..)) effektiv
deutlich gesunken und nicht etwa gestiegen sind.  
Sicher kann man darüber streiten, inwieweit die in der Schweiz
anfallenden Kosten eines dort arbeitenden Freiberuflers in dessen
Kalkulation eingehen, aber nichtsdestotrotz ist auch das eine
Überlegung, welche -wie ich meine- bei der Nennung von etwaigen
Trends durchaus einer Erwähnung Wert gewesen wäre.

> Es dürfte
> allerdings auch eher ein Indikator sein, der der Entwicklung
> hinterher hinkt - wenns der Markt sich verschlechtert, sind viele
> noch in laufenden Projekten, die eben unter besseren Vorzeichen
> unterschrieben wurden, und umgekehrt. 
Auch dem stimme ich absolut zu.

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