Kleiner Schnitt, groĂźe Hoffnung
Die Sichelzellanämie ist eines der häufigsten Erbleiden weltweit. Die Betroffenen haben starke Schmerzen und eine verkürzte Lebenserwartung. Nun arbeiten Forscher an einer Gentherapie, erste Studien an Menschen sind in Vorbereitung.
- Emily Mullin
Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 01/2018 ist ab 21.12.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.
Hertz Nazaire malt gern in hellen Tönen. Die Farben erinnern den 43-Jährigen an seine Kindheit in Haiti. Eine Serie fällt allerdings viel dunkler aus. Auf einem Bild ertrinkt ein afrikanisches Gesicht in einer Flut aus roten Scheiben, die wie rote Blutkörperchen aussehen, und blauen Sicheln, die an die krankhaft verformten Zellen der Sichelzellanämie-Kranken erinnern. Aus den Augen quellen Tränen, und der Mund ist vor Schmerz aufgerissen. Die Werke handeln von Nazaires lebenslangem Ringen mit der Erbkrankheit. Sie hat den heute in Bridgestone, Connecticut, lebenden Künstler seit seiner Kindheit mehr als 300-mal ins Krankenhaus gebracht. „Es ist ein furchtbares Leiden, weil es extrem schmerzhaft ist“, erzählt er.
Die Sichelzellanämie gehört weltweit zu den häufigsten Erbleiden und betrifft Millionen von Menschen. Viele Erkrankte stammen aus Lateinamerika, dem Mittleren Osten, Asien – vor allem Indien – und aus dem Mittelmeerraum. Die meisten Betroffenen aber besitzen afrikanische Wurzeln, weil sich die Sichelzellanämie in den Malariagebieten als Überlebensvorteil erwiesen hat. Bei Trägern der Krankheit kann sich der Erreger in den sichelförmigen Zellen schlechter einnisten. Dafür bezahlen die Betroffenen indes einen hohen Preis. Im Vergleich zur durchschnittlichen Lebenserwartung in den USA von mehr als 78 Jahren liegt die der an Sichelzellanämie Erkrankten nur bei 40 bis 60 Jahren.
Verursacht wird die Krankheit durch eine Mutation im HBB-Gen, das den Bauplan für das sauerstofftransportierende Hämoglobin-Protein liefert. Rote Blutkörperchen mit gesundem Hämoglobin sind scheibenförmig. Ist das Protein dagegen fehlerhaft, sehen die Blutkörperchen sichelförmig aus. Das gab der Krankheit ihren Namen. Die missgebildeten Zellen sind klebrig und verklumpen. Dadurch können sie Blutgefäße verstopfen und die Sauerstoffversorgung blockieren. Das verursacht die starken Schmerzen. Darüber hinaus bringt die Krankheit häufig Infektionen, Augenprobleme und Organschäden mit sich.
Da die Sichelzellanämie auf einem einzelnen fehlerhaften Gen beruht, das nur an einer Stelle verändert ist, sehen Experten in ihr einen guten Kandidaten für die Anwendung des Gen-Editierwerkzeugs CRISPR. Ließe sich diese sogenannte Punktmutation mit der Genschere korrigieren, könnte der Körper der Patienten wieder gesunde rote Blutkörperchen produzieren. Im Labor haben Forscher bereits erfolgreich Tests an menschlichen Sichelzellen durchgeführt.
(inwu)