Gene, Geld und Ehre

2012 entwickelten Wissenschaftler eine Technologie, um das Erbgut zu manipulieren. Sie ist so revolutionär, dass sich mit ihr womöglich Erbkrankheiten und sogar Aids heilen lassen. Doch nun tragen die Forscher einen erbitterten Kampf um die Rechte daran aus. Wer ihn gewinnt, der wird reich. Wird er auch den Nobelpreis bekommen?

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Von
  • Jens Lubbadeh
  • Antonio Regalado

2012 entwickelten Wissenschaftler eine Technologie, um das Erbgut zu manipulieren. Sie ist so revolutionär, dass sich mit ihr womöglich Erbkrankheiten und sogar Aids heilen lassen. Doch nun tragen die Forscher einen erbitterten Kampf um die Rechte daran aus. Wer ihn gewinnt, der wird reich. Wird er auch den Nobelpreis bekommen?

Es macht dieser Tage wenig Spaß, bei Emmanuelle Charpentier anzurufen – zumindest, wenn man Journalist ist. Aber man kann es der Wissenschaftlerin, die derzeit eine Humboldt-Professur am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig innehat, kaum verdenken, wenn sie nicht mehr mit der Presse reden will. Denn alles, was die französische Mikrobiologin öffentlich sagt, könnte gegen sie verwendet werden.

Es tobt ein erbitterter Patentstreit. Auf der einen Seite: Charpentier und die Amerikanerin Jennifer Doudna von der University of California, Berkeley. Auf der anderen: Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Es geht um nichts weniger als die Rechte an einer Technologie, die Manipulationen im Erbgut so einfach macht wie nie zuvor. Gene einfügen, löschen oder umschreiben – mit CRISPR-Cas9, so der sperrige Name der Methode, wird Gentechnik fast so simpel wie eine Textverarbeitung.

Das medizinische Potenzial ist enorm: Gendefekte, die Krankheiten verursachen, ließen sich nun erstmals mit einer nahezu sicheren Gentherapie sozusagen „reparieren“. Vor allem Erkrankungen des Blut- und Immunsystems wären prädestiniert dafür: Man entnimmt dem Patienten Zellen, repariert ihr Erbgut und pflanzt sie ihm wieder ein. Man könnte beispielsweise Menschen gegen das HI-Virus immun machen und damit Aids heilen. Selbst der berühmteste und gleichzeitig gefürchtetste Traum vieler Gentechnologen rückt in greifbare Nähe: Mediziner könnten Wunschkinder erzeugen, indem sie das Erbgut von Eizellen, Spermien oder gar Embryos verändern – und sie damit vor Erbkrankheiten schützen (siehe Seite 48).

Wer das Patent auf CRISPR-Cas9 hält, besitzt eine Lizenz zum Gelddrucken. Sowohl Charpentier, Doudna als auch Zhang sind bereits an Start-ups beteiligt, die die Technik kommerzialisieren wollen. Aber es geht auch um Ruhm, Anerkennung und einen möglichen Nobelpreis. Wer hat CRISPR-Cas9 wirklich erfunden? Um das zu beweisen, wird der Kampf zwischen den Beteiligten zunehmend persönlich.

Die Geschichte beginnt 1987, als japanischen Forschern im Erbgut des Darmbakteriums E. coli eine Stelle auffällt, an der sich die vier DNA-Buchstaben in gewisser Regelmäßigkeit und Länge immer wiederholten. Manche von ihnen sind sogenannte Palindrome – Zeichenketten, die immer den gleichen Inhalt ergeben, egal ob man sie von vorn nach hinten und von hinten nach vorn liest, so wie das Wort „Rotor“ im Deutschen. Zwischen diesen Abschnitten finden die Forscher aber auch Inseln mit anderen Sequenzen. Die Forscher können sich keinen Reim auf diese seltsame Struktur machen. Noch rätselhafter wird das Ganze, als litauische Wissenschaftler Ähnliches in vielen weiteren Bakterien finden. Die ungewöhnliche Abfolge muss also einen Sinn haben. Aber welchen? 2002 geben holländische Wissenschaftler diesem Gebilde den Namen CRISPR für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Noch etwas entdecken die Holländer: Um die CRISPR-Region liegen immer die gleichen Gene. Diese nennen sie schlicht Cas-Gene, kurz für CRISPR-associated. Ihre Funktion? Unbekannt.

2005 dann nimmt die CRISPR-Forschung gewaltig an Fahrt auf. Mehrere Forscherteams entdecken, dass die Sequenz der Erbgut-Inseln sehr der von Viren ähnelt. Sind sie auf ein bakterielles Immunsystem gestoßen? Mehrere Forschergruppen arbeiten an der Entschlüsselung des Puzzles, darunter der Franzose Rodolphe Barrangou – und Jennifer Doudna, die vor allem die Struktur der Cas-Enzyme erforscht.

2007 liefert Barrangou den ersten experimentellen Nachweis, dass die Einzeller mit CRISPR eindringende Viren abwehren, indem sie deren Erbgut gezielt zerschneiden. 2010 und 2011 kristallisiert sich heraus, aus welchen Komponenten das Immunsystem der Bakterien gebaut ist (siehe Kasten Seite 46). Ein kanadisches Forscherteam entdeckt in Zusammenarbeit mit Rodolphe Barrangou das Funktionsprinzip. Aber erst das Team von Emmanuelle Charpentier findet 2011 heraus, wie das Abwehrsystem weiß, wo genau es schneiden muss.

Spätestens jetzt ist allen Forscherteams klar, dass sie hier einem System mit gewaltigem gentechnischen Potenzial auf der Spur sind. Das Rennen ist eröffnet. Und schon steht ein neuer Player in den Startlöchern: Feng Zhang.

Zhang ist eine Überraschung. Der Bioingenieur und Chemiker kommt aus einem völlig anderen Gebiet – der Neurobiologie. In den Jahren zuvor hat er sich im Labor des Stanford-Psychologen Karl Deisseroth auf dem neuen heißen Forschungsfeld der Optogenetik einen Namen als genialer Experimentator gemacht. Zhang und seine Kollegen waren es, denen es erstmals gelang, Nervenzellen von Säugetieren mit Licht an- und auszuschalten (siehe TR 8/2014, S. 26). 2011 wirbt das MIT den genialen Forscher mit dem Angebot ab, sein eigenes Labor aufbauen zu können. Kurze Zeit später hört Zhang zufällig einen Vortrag über CRISPR und ist sofort Feuer und Flamme. Im Rückblick behauptet er, das Potenzial sofort erkannt zu haben: „Als ich Anfang 2011 all die Veröffentlichungen las, wurde mir klar, dass das CRISPR-System DNA-Editieren in menschlichen Zellen ermöglichen würde.“

(jlu)