20 Jahre "Half-Life 2": Der beste Shooter aller Zeiten?​
Vor genau 20 Jahren veröffentlichte Valve Software mit "Half-Life 2" einen Shooter, der sein Genre für immer verändern sollte. Schon wieder!​

(Bild: Valve)
"Half-Life 2 ist ein Meisterwerk, ein Meilenstein, ein absolutes Muss für jeden PC-Spieler, ob Shooter-Freund oder nicht." schreibt 2004 ein gewisser Paul Kautz bei 4Players. Bei all diesen Superlativen vergisst man sehr leicht, dass "Half-Life 2" keineswegs ein Selbstläufer war. Ganz im Gegenteil, das Spiel war eine extrem schwere Geburt, die ihr Entwicklungsteam bis weit über reguläre Belastungsgrenzen hinaus geschubst hat. Genau 20 Jahre später merkt man aber immer noch, dass sich dieser Einsatz von Blut, Schweiß und Tränen gelohnt hat.
"Rise and shine, Mr. Freeman!"
Die Arbeiten an "Half-Life 2" begannen im Frühsommer 1999, kurz nach der Veröffentlichung des bahnbrechenden Vorgängers. Und es sollte kein Schnellschuss werden: Gabe Newell, Gründer und CEO der Entwicklungsfirma Valve Software, wollte nicht weniger als den ultimativen Ego-Shooter erschaffen, wofür er bereit war, nicht nur das Geld seiner Firma, sondern auch seine persönlichen Finanzen aufs Spiel zu setzen.
Mehr als fünf Jahre sollte ein mehr als 100 Personen umfassendes Team an dem Spiel und der dahinter werkelnden Technologie arbeiten. Denn anders als beim Vorgänger, der noch auf eine stark erweiterte "Quake"-Technologie setzte, entwickelte Valve bei "Half-Life 2" ein eigenes 3D-System. Diese "Source" genannte Engine wurde parallel zum Spiel erschaffen und für den Einsatz in "Half-Life 2" maßgeschneidert.
"Half-Life 2" wird 20 Jahre alt (20 Bilder)

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)Das Resultat all dieser Bemühungen sollte eigentlich im September 2003 erscheinen, was aber nicht klappte. Was dafür aber in ebendiesem Monat veröffentlicht wurde, war der Sourcecode des Spiels, den der deutsche Hacker Alex Gembe von den Valve-Servern gestohlen hatte. Der fand dann über Umwege seinen Weg in die Weiten des Internets und wurde von interessierten Bastlern in einen lauffähigen Build kompiliert. Der zeigte, dass Valve mit der Entwicklung lange nicht so weit war, wie eigentlich versprochen wurde. Hacker Gembe wurde gefasst und zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt (und erhielt bizarrer Weise einen Eintrag auf der Webseite der Guinness-Weltrekorde, als erste Person außerhalb von Valve, die "Half-Life 2" gespielt hat), die Arbeiten am Spiel gingen trotz dieses Motivationsknicks weiter – und am 16. November 2004 erfolgte schließlich die Veröffentlichung.
Steam = heiĂźe Luft?
"Half-Life 2" erschien zunächst nur auf dem PC und entpuppte sich als erste große Bewährungsprobe für das noch sehr junge Vertriebssystem namens "Steam", ebenfalls entwickelt von Valve Software. Das Spiel war zwar auch ganz normal im Handel erhältlich, musste aber zum Starten über Steam aktiviert und an den entsprechenden Useraccount gebunden werden. Abertausende von Spielern wollten dieses Manöver gleichzeitig duchführen. In der Konsequenz kollabierten Valves Steam-Server pausenlos. Zum Start des Spiels passierte stunden- und zum Teil sogar tagelang einfach nichts.
Der Ärger über diesen nervenden Schritt in eine schöne neue Digitalwelt verflog aber spätestens, wenn das Spiel dann endlich lief und wurde direkt durch Verwirrung ersetzt. Denn "Half-Life 2" knüpft keineswegs direkt an den Vorgänger an, sondern spielt etwa 20 Jahre danach: Die außerirdische Invasion, um die sich der erste Teil drehte, wurde doch nicht so erfolgreich abgewehrt wie gedacht. Ein Alien-Imperium namens "Combine" machte sich die Erde im sogenannten "Sieben-Stunden-Krieg" schnell und heftig untertan, und errichtete für die verbleibenden Menschen eine Dystopie, bei der selbst George Orwell eine Gänsehaut bekommen hätte. In Dr. Wallace Breen, dem ehemaligen Administrator der "Black Mesa"-Forschungseinheit, fanden die Außerirdischen ein willfähriges Subjekt zur sanftmütigen Unterdrückung der Menschheit. Und dann taucht aus dem Nichts Dr. Gordon Freeman wieder auf, der Held des ersten Spiels, und muss den Karren wieder aus dem Dreck ziehen.
"The One Free Man"
Man sollte beim Spielen von "Half-Life 2" besser gut mit den Geschehnissen des Vorgängers vertraut sein, denn das Spiel wirft zwar mit Namen und früheren Ereignissen um sich, macht sich aber nicht mal ansatzweise die Mühe einer Erklärung. Im Gegenteil: Gordon wacht in einem Zugabteil auf, bekommt vom mysteriösen "G-Man" einen ebenso mysteriösen Vortrag über seine Rolle in der Welt ("The right man in the wrong place can make all the difference in the world"), und findet sich eine rumpelige Fahrt später in "City 17" wieder – einer von vielen Mega-Städten, in der die Combine die Menschen unter Dauerüberwachung und -unterdrückung gestellt haben.
Das Spiel sagt nie explizit, wo sich City 17 eigentlich befindet, aber das Ganze fühlt sich sehr osteuropäisch an. Die Straßenzüge präsentieren sich in klassisch-kommunistischer Depressivbauweise, an Gebäuden und Plakaten finden sich kyrillische Buchstaben, einige der herumstehenden Autos sehen überdeutlich nach alten Trabbis aus und "Father Grigori", eine der Figuren, auf die man im Laufe des Spiels trifft, sprjischd mjit ejine schwjere rjussischje Akzjent.
Wie passt Gordon Freeman da rein, der MIT-promovierte Physiker und Brecheisenschwinger? Seine Rolle bleibt bis zum Abspann genauso geheimnisvoll wie er selbst. Die einzige Gelegenheit, bei der man ihn mal zu sehen bekommt, ist auf dem Cover des Spiels. Ansonsten ist er eine glatte Projektionsfläche, er sagt im ganzen Spiel kein Wort, und das Einzige, was man von ihm sieht, sind seine Hände und Teile der Arme, wenn er eine Waffe hält. Und trotzdem kennt ihn jeder im Spiel, verehrt ihn jeder, er ist der umjubelte "The One Free Man", der Befreier von den außerirdischen Unterdrückern.
"There is no place in this enterprise for a rogue physicist!"
City 17 und die sie umgebenden Ländereien sind keine einzelnen Levels, sondern präsentieren sich als riesige, sinnvoll zusammenhängende Welt. In "Half-Life 2" gibt es keine wilden Sprünge oder Stilbrüche, ein Abschnitt geht logisch in den nächsten über. Allerdings wurde diese Freiheit damals teuer erkauft, denn das Spiel lädt sehr oft nach. Grafikstreaming war damals noch lange nicht so verbreitet wie heute. Und "Half-Life 2" lädt einfach ganze Bereiche in den Speicher. Heute dauert das ein, zwei Sekunden – damals jedoch, mit den seinerzeit gängigen 256 bis 512 MB RAM musste man bei jeder Ladepause etwa eine Minute auf die Fortsetzung des Abenteuers warten.
Aber auch diese Kröte wurde geschluckt, denn in Sachen Abwechslungsreichtum gab es damals keinen Shooter, der auch nur ansatzweise mit "Half-Life 2" mithalten konnte: Man startet in City 17, bewegt sich durch schummrige Kanäle, rast mit einem Propellerboot über Flüsse und landet in der vor Untoten wimmelnden Kleinstadt Ravenholm. Als Nächstes geht's durch einen Tunnel, der an "28 Days Later" erinnert, danach kommt eine Küstenlandschaft, die man mit einem rasanten Buggy erkundet. Über eine riesige Brücke geht’s schließlich in das beeindruckend heruntergekommen gestaltete Gefängnis "Nova Prospekt", bevor Gordon nach City 17 zurückkehrt, und dort mit Rebellentruppen wilde Straßenschlachten gegen die Combine-Einheiten austrägt. Das große Finale findet schließlich in der düsteren Zitadelle der Combine statt, deren verstörende Eiseskälte einem selbst heute noch Schauer über den Rücken jagt.
All das geht logisch und (von sehr seltenen Transportersprüngen mal abgesehen) auch komplett nahtlos ineinander über. Allerdings ist diese große Welt nicht so offen, wie man denken könnte: "Half-Life 2" ist ein strikt lineares Abenteuer, das einen an der Angelmöhre durchs Spiel zieht, ohne dass man das wirklich merkt.