20 Jahre Steam: Der Dampf, der die Spielewelt veränderte​

Seite 2: Mekka für Entwickler

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2017 streicht Stream den ungeliebten Greenlight-Prozess, bei dem die Community durch ihre Stimme über die Veröffentlichung eines Spiels entscheidet. Heute gibt es keine Auswahl mehr: Jeder kann gegen eine Gebühr von 100 Dollar sein Spiel anbieten. Vom Erlös der Verkäufe zieht sich Valve einen Anteil von typischerweise 30 Prozent ab.

Eva-Ramona Rohleder, die mit Kickstarter ihr Adventure "A Twisted Tale" finanziert und über Steam veröffentlicht, ist dankbar über die Plattform: "Steam macht es leicht, sein eigenes Spiel der breiten Masse zur Verfügung zu stellen – grundsätzlich. Das Einrichten habe ich als knifflig empfunden, die Plattform ist unübersichtlich, die FAQs helfen nur bedingt. Es kann viel Zeit und Nerven kosten, bis alles so eingerichtet ist, dass es auch wirklich funktioniert. Trotzdem überwiegt für mich der Vorteil, als Solo-Entwickler Zugang zu einem Publikum zu bekommen, das vor einigen Jahren kaum ohne Publisher zu erreichen wäre."

Freilich: Schon vor 30 Jahren gibt es zahllose Wege, seine Spiele unters Volk zu bringen. Über Cover-CDs von Zeitschriften, vernetzte Mailboxen und FTP-Server.

Und: Ohne Fleiß kein Preis, sagt Konrad Kunze vom Studio FusionPlay, Entwickler wie Publisher: "Für Indie-Entwickler ist Steam eine Chance und eine Challenge gleichzeitig. Schafft man es, einen kleinen Hit zu landen, kann Steam diesen Erfolg multiplizieren. Gelingt aus eigener Kraft aber kein Erfolg, dann lässt dich der Algorithmus eiskalt im Regen stehen."

Seiner Erfahrung nach orientiert sich die Präsenz eines Spiels auf Steam am Erfolg, nicht am Zufall oder an einer manuellen Auswahl. Und für den Erfolg sei der Entwickler (oder Publisher) verantwortlich. Ganz simpel: Verkauft sich ein Spiel gut, dann bekommt es eine gute Sichtbarkeit. Die Qualität spiele dabei keine Rolle. Manche hochwertige Spiele werden von der Presse und von Streamern übersehen, sodass sie auch bei Steam durch das Raster fallen.

Hinzu kommt die enorme Fülle an Spielen. Es reicht laut Kunze nicht mehr, einfach nur "gut" zu sein, um Aufmerksamkeit zu erzielen. In dieser Beziehung sei Steam mit anderen Plattformen wie Amazon oder Ebay vergleichbar.

Auch für den langjährigen PR-Profi Dieter Marchsreiter trägt der Entwickler selbst entscheidend für den Erfolg auf Steam bei. Events wie das Steam Next Fest, das auf kommende Spiele hinweist (wieder vom 9. bis 16. Oktober 2023), größere Updates als PR-Meldung und Publisher-Sales einerseits und eine perfekt gepflegte Steam-Page andererseits seien ein Schlüssel zum Erfolg. Gerade für PC-Spiele (ohne Konsolen-Versionen mit den jeweiligen Shops) ist Steam laut Marchsreiter es wichtigste Verkaufsschaufenster weltweit.

Daher seien die Beschreibung, Positionierung inklusive Hashtags, die Angabe und Implementierung aller gängigen Sprachen in guten Absatzmärkten mit großer Bevölkerung (englisch, deutsch, chinesisch, französisch, spanisch, brasilianisch/portugiesisch, polnisch, italienisch, russisch, koreanisch und japanisch) sowie regelmäßige Updates und Aktionen essenzielles Marketing.

Für die PR-Branche ist Steam ein Segen. Marchsreiter sehnt sich nicht nach den Zeiten zurück, als sich Hunderte von Testmustern im Büro und im Keller stapelten, ganz früher noch als große Pappboxen, um sie mühsam zur Post zu fahren.

Keys haben den Prozess digitalisiert. Auch der weltweite Versand ist ein Kinderspiel geworden. Teilweise sind die Codes mit exakten Versionen verknüpft und lassen sich auch deaktivieren. Mittlerweile gibt es Dienstleister wie Keymailer, die den Versand von Keys automatisieren. Sie gehen ja nicht nur an Journalisten, sondern auch (und häufig: mehr) an Streamer und andere Content Creators.

Weil Steam-Keys so omnipräsent sind, werden oft sogar Retail-Videospiele im Laden ohne Disc verkauft. Stattdessen wird im Inneren der Box der Key abgedruckt. Darüber sind nicht alle glücklich. Jasmin Gerhardt vom Leipziger Ladengeschäft RETRO Games kann DRM-Spielen in Plastikhüllen aber nichts abgewinnen: "Für mich wird es immer ein Rätsel bleiben, warum sich Steam-Nutzer im Geschäft leere Boxen oder sogar leere Disks kaufen, wenn man das Spiel trotzdem downloaden muss. Für mich ist es frustrierend, einigermaßen aktuelle PC-Spiele nicht an- und verkaufen zu können, da sie an Einmalcodes und Accounts gebunden sind. Meist wird das den Besitzern erst beim Versuch des Verkaufs bewusst."

Patrick Becher vom Retro-Spiele-Club, einem "bespielbaren Museum" in Hamburg, denkt auch an das kulturelle Erbe: "Individuelle Sammlerstücke werden wertlos. Wenn es wenigstens eine Verpackung gibt, hat man immerhin etwas in der Hand; alles andere wird irgendwann im digitalen Nirwana verschwinden. Wir bevorzugen DRM-freie Plattformen wie GOG, wenn es schon digital sein muss, da wir uns nicht darauf verlassen möchten, dass ein Dienst ewig bestehen bleibt."

"Irgendwann in der Zukunft wird es wohl in der Geschichte der Spiele eine große Lücke geben, wegen der an Firmen gebundenen Titel, die nachfolgenden Generationen nicht mehr auf einfachem Weg gezeigt werden können", sagt Becher weiter. Er hofft auf eine Archivierungspflicht für digitale Güter.

Doch im Moment ist Steam kerngesund. Was die Valve-Plattform eingeleitet hat, trifft mittlerweile auch die Konsolen – sie haben ähnliche Shops, in denen Spiele immer häufiger rein digital gekauft werden. Die Ära der Silberscheiben geht vorbei, zumal neue PCs in der Regel ohne Laufwerk angeboten werden. Man liest mitunter, dass Steam bei einem möglichen Aus der Plattform eine Lösung für bereits gekaufte Spiele anbieten würde. Aber der Zugriff auf die gesamte Datenbank wäre wohl verloren. Und damit der Zugriff auf viele, viele Spiele, die von kleinen Studios kommen, die ihre Werke nur auf Steam anbieten. Am Ende wird es wohl wieder die Community richten müssen, um wie bereits bei den Heimcomputern "graue" Archive von PC-Spielen für die Nachwelt aufzubauen.

(dahe)