25 Jahre Grim Fandango: LucasArts’ letzter Tanz​

Seite 2: Es wird knifflig

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"Grim Fandango" ist in vier Kapitel eingeteilt, von denen jedes ein Jahr der vierjährigen Reise ins Reich der Ewigen Ruhe repräsentiert: Der Weg beginnt in El Marrow, geht dann über in die Hafenstadt Rubacava, auf den Boden des Meeres – und zum großen Finale geht’s per Dämonenexpress zurück zum Anfang. Das Ganze ist erstaunlich umfangreich: Lässt man sich Zeit, um alle Örtlichkeiten angemessen zu erkunden und alle Gespräche zu führen, verbringt man locker 15 bis 20 Stunden in der Gesellschaft von Manny Calavera.

Das hängt aber natürlich auch davon ab, wie bereit man ist, um möglichst viele Ecken zu denken, um die zahlreichen Puzzles zu lösen. Denn natürlich ist ein Knobel-Abenteuer nur so gut wie seine Rätsel. "Grim Fandango" ist… hmmm… nun… sagen wir’s so: Die Puzzles hier sind jetzt nicht direkt die großen Leuchttürme in den tosenden Wogen der Videospiel-Logik. Ein Beispiel: Manny muss zwischendurch ein paar Taubeneier besorgen, die gurrenden Flugratten lassen ihn aber nicht ran. Was also tun? Die einzig logische Vorgehensweise ist selbstverständlich, sich von einem Straßenclown eine Luftballonkatze aufpusten zu lassen, dann an einem daneben befindlichen Brotstand ein Baguette zu klauen, und beides anschließend in eine oben bei den Tauben befindliche Schüssel zu legen. Die skelettierten Vögel kommen angeflogen, picken dienstbeflissen auf dem Brot und damit gleichzeitig auch auf der Ballonkatze herum, die folgerichtig platzt und damit die dämlichen Viecher verjagt. Offensichtlich!

Jetzt kann man sich völlig zu Recht fragen, was dieser Blödsinn denn bitteschön soll, und wie man als normal funktionierender Mensch jemals auf diese Lösung kommen soll. Hatte Genre-Urvater Ron Gilbert in seinem 1989er Manifest "Why Adventure Games Suck" nicht extra-doll betont, dass Puzzles und ihre Lösungen Sinn ergeben müssen, um den Spieler nicht zu frustrieren? "[Puzzles] don't have to be obvious, just make sense. The best reaction after solving a tough puzzle should be, ‘Of course, why didn't I think of that sooner!’ The worst, and most often heard after being told the solution is, ‘I never would have gotten that!’ If the solution can only be reached by trial and error or plain luck, it's a bad puzzle." – hat Tim Schafer direkt mit der Weisheit seines Mentors gebrochen? Ja und nein. Denn vom "Grim Fandango"-Spieler wird verlangt, dass er aufpasst! Die Lösung der Aufgaben wird einem nicht vorgekaut, aber zu jeder Herausforderung gibt es viele kleine und größere Hinweis, die man sich durch aufmerksames Verfolgen der Gespräche verdienen muss.

“Grim Fandango” ist voller witzig geschriebener Dialoge, die man sehr gewissenhaft durcharbeiten sollte - darin verstecken sich immer wieder wichtige Hinweise zum weiteren Vorgehen.

Das ändert aber nichts daran, dass es neben klassischen Kombinationsrätseln auch "Myst"-artige Interaktionen mit Maschinen oder sogar Timing-basierte Puzzles gibt: So muss Manny zum Beispiel einen Tätowierer ablenken, damit er in das Getränk seines Kunden ein Betäubungsmittel schütten kann. Oder einen Fahrstuhl über einen korrekt positionierten Gabelstapler aufhalten. Das war in den Neunzigern zeitgemäßes Spieldesign, mit dem man einfach leben muss. Immerhin gibt es, auch ganz der von Gilbert definierten Adventure-Maxime folgend, hier keine Möglichkeit zu sterben. Was in einem Spiel, das sich um das Reich der Toten dreht, natürlich wie eine gemeine Einschränkung klingt.

Spielehelden sind schön, blond, durchtrainiert und haben im Wind wehende Capes. Manny Calavera und seine Zeitgenossen sind Skelette, gestaltet im eigenwilligen "Calaca"-Stil, der durch den mexikanischen Feiertag "Día de los Muertos" weltweit bekannt ist. Auch andere Figuren sind keine klassischen Abziehbilder: Glottis zum Beispiel, Mannys Chauffeur, ist ein Dämon bzw. ein "Elementargeist", der seine Vehikel immer so flammenröhrend und chromglänzend wie nur möglich gestaltet.

Alle Figuren sind texturierte und schattierte Echtzeit-Figuren, die sich aus starren Kameraperspektiven durch vorgerenderte SVGA-Hintergründe bewegen, was ein bisschen an die frühen "Resident Evil"-Spiele erinnert und damals sogar noch ohne die Nutzung einer 3D-Beschleunigerkarte auskam! Das komplette Bild ist Spielfeld, es gibt kein HUD, keine Verbenleiste, kein im Bild wartendes Inventar. All das war für LucasArts damals ziemlich revolutionär.

"Grim Fandango" wird 25 (11 Bilder)

Die Puzzles sind nicht die große Stärke des Spiels. Man muss viel experimentieren, um auf die Lösung zu kommen.​ (Bild: Paul Kautz)

Aber wie das mit den Revolutionen gerne mal ist, schießen sie manchmal übers Ziel hinaus, was man bei "Grim Fandango" speziell an der Steuerung merkt. Denn hier wurde die Hauptfigur erstmals nicht mehr per Maus über den Bildschirm geschickt, sondern direkt über die Tastatur – die eine große Schwachstelle des Spiels. Man gewöhnt sich mit der Zeit natürlich daran, aber es fühlt sich selbst nach mehreren Spielstunden nie wirklich komfortabel an, Manny durch die 3D-Räume zu scheuchen und darauf zu warten, dass sich sein totenweißer Grinsekopf automatisch in die Richtung von irgendwas dreht, mit dem er interagieren kann. Oder das Inventar durch einen Griff in Mannys Jackett zu durchwühlen, in dem er jeden einzelnen darin befindlichen 3D-Gegenstand einzeln herausholt und man folgerichtig alle nacheinander durchschalten muss, bis man endlich den einen in der Hand hält, den man haben möchte. Kein Wunder also, dass die "GrimE"-Engine dann nach ihrem zweiten Auftritt im 2000er "Escape from Monkey Island" auch direkt wieder in der Versenkung verschwand.

Nichts davon konnte "Grim Fandango" davon abhalten, zum Kritikerliebling zu avancieren: In der PC Games 1/99 erhielt es eine Traumwertung von 91%, in den zeitgleich erschienenen Ausgaben von PC Player und Power Play jeweils 89% - und 88% gab’s im PC Joker sowie der GameStar, wo es als "Morbides Meisterwerk" bezeichnet wurde. Die Tester liebten das bizarre Szenario, die extravagante Inszenierung, den tollen Soundtrack, die exzellente deutsche Sprachausgabe (mit Tommy "Alf" Piper als Manny Calavera) und die innovative Grafik. Allen Schwachpunkten zum Trotz wurde "Grim Fandango" oft zum "Adventure des Jahres 1998" gewählt – zum Beispiel in Power Play, PC Player, PC Gamer, Computer Gaming World, IGN, Gamespot oder gar der "Academy of Interactive Arts & Sciences".

Das Problem war nur, dass sich das Spiel trotz aller Lobeshymnen nicht sonderlich gut verkaufte. Laut Tim Schafer wanderte es etwa eine halbe Million Mal über die Ladentische dieser und aller anderen Welten. Das macht es zwar nicht zum krassen Flop, aber auch nicht zum Megahit. Und angesichts der hohen Entwicklungskosten sollte es LucasArts' letzte neuentwickelte Adventure-Marke bleiben, der Markt für diese Art von Spiel war offiziell tot. Es gab also nie einen Nachfolger. Auch wenn Tim Schafer, der LucasArts kurz nach der Fertigstellung von "Grim Fandango" verließ, um sein eigenes Unternehmen "Double Fine Productions" zu gründen, laut einem 2014er Interview mit Kotaku gelegentlich von einem Open-World-Sequel träumt.

Nicht allzu lang nach seiner Veröffentlichung verschwand "Grim Fandango" von den Radaren der meisten Spieler. Das lag auch daran, dass es eine ziemliche Hardware-Zicke war, die auf allen Betriebssystemen nach Windows XP Probleme machte. Auftritt: die Hardcore-Fans! Die brachten dem Spiel mittels eigens programmierter Patches das Laufen auf modernen Plattformen bei, erweiterten es um HD-Texturen, fixten Bugs und programmierten sogar eine Maussteuerung hinein! Die hochoffizielle Rückkehr ins Bewusstsein der Spielewelt sollte aber erst 2014 erfolgen, als das Remaster des Spiels angekündigt wurde.

"Grim Fandango Remastered" erschien dann Anfang 2015, zuerst auf PlayStation 4, Vita und Windows, später auch für Android, iOS, Nintendo Switch und Xbox One. Es machte Manny Calaveras Abenteuer einer neuen Generation zugänglich: Aufgehübschte Grafik mit hochaufgelösten Figuren und wesentlich besseren Lichteffekten, eine viel bessere Steuerung (mit optionaler Point&Click-Mauskontrolle), einer pompös neu eingespielten Musik, zwei Stunden Audiokommentar der Entwickler und diversen Community-Verbesserungen. Ein wirklich rundes Paket, mit dem "Grim Fandango" endlich im Mainstream angekommen war, knapp 17 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung.

Und dieses herzliche Willkommen hat "Grim Fandango" auch mehr als verdient. Ja, es ist auch im Remaster noch ein hochgradig abgefahrenes, bizarres und gerne auch mal sperriges Abenteuer, das sich komplett anders spielt als die "Monkey Islands" und "Indiana Joneses" und "Leisure Suit Larrys" dieser Welt - was nicht nur am ungewöhnlichen Szenario liegt, sondern auch an der unverändert gewöhnungsbedürftigen Steuerung. Aber wenn man sich mal drauf einlässt, wenn man in der wahnwitzigen Welt der Toten und ihrer sehr menschlichen Probleme angekommen ist, dann merkt man schnell, dass in dieser scharfkantigen Muschel auch nach 25 Jahren noch eine strahlende Perle wartet. Es das letzte wirklich kreative Spiel von LucasArts, bevor aus der Firma das offizielle "Star Wars"-Fließband gehämmert wurde.

Siehe auch:

(dahe)