25 Jahre MP3: Die Klang-Quetsche hat Geburtstag

Seite 2: Hacker half, MP3 populär zu machen

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Das tat man in Erlangen; die Ausgründung Opticom verteilte ein MP3-Wiedergabeprogramm für Windows-Rechner. Die kostenlose Version spielte nur 20-Sekundenschnipsel, die Vollversion vermarktete man für kleines Geld. Die großen Summen, sagt Brandenburg, wollte das Team mit dem Encoder und den Lizenzen für Hardwareplayer verdienen. "Das Pech, nicht für DAB ausgewählt worden zu sein, wurde unser Glück. Denn die Verträge für DAB sahen vor, dass die beteiligten Firmen untereinander keine Lizenzen verlangen durften. Für MP3 galt das nicht.‟

So kostete die Encoderlizenz 250 US-Dollar. Ein australischer Hacker erwarb die Software mit gestohlenen Kreditkartendaten, bastelte für den Encoder eine neue Benutzeroberfläche und stellte seine Frankenstein-Software mit dem Vermerk, der Encoder sei nun Freeware und "Thank you, Fraunhofer" ins Netz. Fraunhofer konnte davon aber auch profitieren. "Durch den kostenlos verfügbaren Encoder stieg die Zahl derjenigen, die unser Format benutzten und uns unterm Strich dennoch Lizenzeinnahmen brachten‟, sagt Brandenburg.

Der in C geschriebene Quellcode des MP3-Encoders hingegen war offiziell frei zugänglich. Er hatte aber einen Fehler: Es gab Differenzen zwischen dem tatsächlich realisierten Encoder und der Dokumentation. Der Quellcode wurde auf den realen Encoder optimiert, die Doku bezog sich auf den theoretischen Encoder. Brandenburg: "Uns selbst fiel das erst nach zwei Jahren auf und wir beschlossen, das nicht an die große Glocke zu hängen."

Hobbyisten, die sich aus dem Code ihren eigenen MP3-Encoder kompilieren wollten, standen aber dumm da – bis das Lame-Projekt das Problem flickte. Der erste, 1998 erschienene Lame-MP3-Encoder war tatsächlich nur eine Fehlerkorrektur des Fraunhofer-Codes. Nachdem Fraunhofer sich neuen Projekten zuwandte, bauten die Lame-Entwickler von Grund auf einen eigenen Encoder, der die Klangqualität des Originals längst übertroffen hat.

Mit dem Aufkommen immer schnellerer Internetzugänge blieben die MP3-Dateien der Nutzer nicht auf deren Rechnern: Tauschbörsen wie Napster, Kazaa und später Bittorrent führten zum massenhaften illegalen Musikvertrieb. Den Verkauf von MP3-Playern und den ersten musikfähigen Handys, später Smartphones, förderte das – und es war die Firma Apple, die mit iTunes den ersten legalen Netz-Musikladen aufzog. Heutzutage ist der Verkauf von Musik in Dateiform Standard, die CD-Absätze seit Jahren rückläufig.

Im Jahr 2020 ist das Lizenzprogramm längst beendet, da auch die letzten von Fraunhofer und Thomson gehaltenen MP3-Patente erloschen sind. Nicht einmal Brandenburg kann aber verbindlich sagen, ob noch irgendein Teil von MP3 durch etwaige andere Patente geschützt sein könnte. Er selbst korrigierte im Nachfolgeformat AAC (Advanced Audio Coding) ein Problem, das er als "den einzigen wirklichen Fehler von MP3" bezeichnet: "Bei der Standardisierung haben wir bei der Layerkonstruktion Kompromisse schließen müssen – durch die verwendete Hybridfilterbank klingen Kastagnetten immer noch schlimm. Es wäre schon damals besser gegangen, wurde aber aus Gründen der Standardisierungspolitik nicht implementiert.‟

Auch wenn AAC der bessere Codec ist: Wer Wert auf maximale Kompatibilität legt, nutzt immer noch MP3 – denn wenn ein Gerät überhaupt ein datenreduziertes Audioformat wiedergibt, dann ist es mit Sicherheit MP3. Auch Internetradios senden überwiegend MP3 – einmal mehr der Kompatibilität wegen. So halten es auch viele legale Downloadanbieter. Streamingdienste hingegen, die auf Smartphones meist per App spielen, setzten auf AAC, Ogg-Vorbis oder verlustfreie Formate.

Karlheinz Brandenburg, vor 20 Jahren Gründungsdirektor des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie (IDMT) in Ilmenau, ging dort im Juli 2019 in den Ruhestand. Seit April 2020 ruht auch seine reguläre Professur an der Uni Ilmenau. Und, ja: Brandenburg kann die A-cappella-Version von Suzan Vegas "Tom’s Diner" noch hören, das sich während der MP3-Entwicklung als schwer zu meisterndes Hörbeispiel bewährte. Potenzial für noch effizientere Audio-Codecs sieht er nicht. "Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt: Das Thema ist jetzt durch.‟

(dahe)