Adventure-Games: Sechs Oldschool-Abenteuer, die kaum jemand kennt

In den 90er-Jahren kamen so viele Point&Click-Adventures auf den Markt, dass echte Perlen untergingen. Heise online hat sie wieder herausgefischt.

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Screenshot aus "The Legend of Kyrandia"

Es gibt jede Menge Magie in der Welt von Kyrandia – unter anderem dürften sich Spieler in ein Flugross verwandeln.

(Bild: Westwood Studios)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Paul Kautz
Inhaltsverzeichnis

Die Monkey Islands und Space Quests dieser Welt kennt jeder Adventurefan. Aber links und rechts von den LucasArts- und Sierra-Großtaten existierte schon immer ein gigantisches Universum an kleinen und großen Point-n-Click-Abenteuern, die nicht ganz so viel Scheinwerferlicht abbekamen. Heise online stellt sechs Oldschool-Gehirnverknoter vor, die zu Unrecht an vielen vorbeigerauscht sind.

Vor der Veröffentlichung des alles überschattenden Echtzeitstrategie-Megahits "Command & Conquer" war Westwood Studios (ursprünglich Westwood Associates) vor allem als Rollenspielfirma bekannt, die exzellente Dungeon-Hackereien wie die ersten beiden Teile der "Eye of the Beholder"-Serie (1991) oder "Warriors of the Eternal Sun" (1992) ablieferte. Aber das 1985 in Las Vegas von Brett Sperry und Louis Castle gegründete Studio legte sich nie auf nur ein Genre fest, und produzierte unter anderem auch Lernspiele ("Donald's Alphabet Chase", 1988), Actiontitel ("A Nightmare on Elm Street", 1989) – und Point-n-Click-Abenteuer!

Der erste Vertreter dieses Genres erschien im Spätsommer des Jahres 1992, trug den vollständigen Namen "Fables & Fiends: The Legend of Kyrandia – Book One", und verzauberte von der ersten Sekunde an: Das herrlich gepixelte Intro präsentierte lauschige Landschaften und weich animierte Figuren, spielte geschickt mit Vorder- und Hintergrundschärfe, und zeigte von Anfang an, wieso der ehemalige Hofnarr Malcolm ein ganz exzellenter Bösewicht ist.

In Sachen Bedienung gingen die Westwäldler beeindruckende neue Wege: Weg von den Verben-Interfaces der Konkurrenz, hin zu einer simplen Ein-Knopf-Bedienung, die die Konkurrenz erst deutlich später für sich entdecken sollte. Das sorgte zwar für einige Probleme, allen voran die Abwesenheit von Multiple-Choice-Dialogen, ließ die Spieler aber komplett in der zauberhaften Welt von Kyrandia versinken.

Inhaltlich gab es einige Knackpunkte: Einige dämliche Puzzles wie der Edelstein-Altar oder die Frustrationsgrenzen sprengende (und geduldiges Karopapier-Kartenzeichnen voraussetzende) Schlangengrotte wirken heute aus der Zeit gefallen. Aber die schlicht wundervolle Präsentation, die kinderleichte Bedienung und die liebenswerten Figuren lassen einen gnädig über diese Anachronismen hinwegsehen. Knapp ein Jahr nach der Ursprungsveröffentlichung folgte eine CD-Version mit durchgehender englischer Sprachausgabe, diversen Bugfixes und einer etwas leichteren Schlangengrotte. Außerdem erschienen 1993 respektive 1994 noch zwei Nachfolger: das hervorragende "Hand of Fate" sowie das leider sehr vergessenswerte "Malcolm's Revenge". Alle Teile sind für sehr kleines Geld auf GOG erhältlich.

The Legend of Kyrandia (1992) (9 Bilder)

Die Grafik des Spiels holt alles aus den 320x200 VGA-Pixeln heraus.
(Bild: Westwood Studios )

Die australische Spieleentwicklerszene war in den 90er-Jahren fast so umfangreich wie die mongolische. Eine der sehr wenigen Ausnahmen nannte sich "Interactive Binary Illusions" und bestand vor allem aus den Kumpels John Passfield und Steve Stamatiadis. Diese beiden hatten vor allem große Freude an schnellen Arcade-Titeln, was viele durchprogrammierte Nächte später in "Halloween Harry" mündete (auch bekannt als "Alien Carnage"), in dem man einen Weltenretter mit Flammenwerfer spielt.

Passfield und Stamatiadis waren aber auch riesige Point-n-Click-Fans, da besonders von den Abenteuern aus dem Hause Lucas, und da wiederum speziell von den Abenteuern des umtriebigen Dr. Henry Jones Jr. Etwas in genau dieser Art wollten die beiden auch erschaffen, und zwar schon deutlich länger – die Arbeiten an dem Spiel, aus dem schlussendlich "Flight of the Amazon Queen" werden sollte, begannen bereits 1991 und sollten erst vier Jahre später abgeschlossen sein. Das auf Amiga und MS-DOS-PCs veröffentlichte Resultat konnte nie mit den ganz großen Puzzle-Giganten mithalten, war aber eine sehr respektable Leistung des winzig kleinen Enthusiastenteams: Optisch überdeutlich von Lucas-Arts-Abenteuern inspiriert, aber gleichzeitig mit einem erfrischend eigenen Grafikstil, einfache Bedienung, ein paar behämmerte, aber insgesamt nicht allzu anspruchsvolle Puzzles, guter Humor – das war schon ein wirklich schönes Ding. Die hierzulande veröffentlichte Fassung bot sogar durchgehende deutsche Sprachausgabe, was für die damalige Zeit sehr außergewöhnlich war. Nur leider nuscheln die Sprecher auf einem hörbar niedrigen Professionalitätslevel vor sich her.

Ach, egal: "Flight of the Amazon Queen" macht auch heute noch einen Haufen Spaß, was vor allem an den wirklich liebenswerten Figuren liegt: Der raubeinige Pilot Joe King, sein treuer Mechaniker Sparkey, die pausenlos herumzickende Filmdiva Faye Russel, Trader Bob, Amazonen – dieses Spiel hat einfach alles! Und all das mittlerweile komplett kostenlos, denn "Flight of the Amazon Queen" ist seit 2004 mit dem Segen seiner Entwickler ganz offiziell Freeware. Nur für die etwas erweiterte "Anniversary Edition" muss man einige wenige Kröten abdrücken. Erhältlich bei GOG, bei ScummVM und bei Steam.

Flight of the Amazon Queen (1995) (6 Bilder)

Das Abenteuer wird immer wieder von grafisch sehr ansprechend inszenierten Cutscenes unterbrochen.
(Bild: Interactive Binary Illusions )

Wer an das großartige 1988er-Comic-Realfilm-Meisterwerk "Falsches Spiel mit Roger Rabbit" zurückdenkt, der dürfte sich auch noch lebhaft an Richter Doom erinnern – den großen Bösewicht des Films und Garanten für spontane Albträume, dargestellt vom brillant spielenden Christopher "Doc Brown" Lloyd. Bei dieser Gelegenheit hat er wohl reichlich Erfahrung im Umgang mit Comicfiguren gesammelt, die ihm dann acht Jahre später sehr viel genützt hat. Denn das von den Burst Studios (später EA Pacific, heute EA Los Angeles) entwickelte "Toonstruck" platzierte ihn schon wieder als echte Person in einer bizarren Cartoonwelt, in der er nicht nur auf abgefahrene Figuren wie den königlichen Butler (ein übergroßer, staubwischender Fuß) trifft, sondern auch auf "Wirrwah" (der königliche Erfindervogel) oder "G.B. Wolf", die höflichste verfressene Bestie weit und breit. Ganz zu schweigen von Graf Widerlus und König Nick, die im Original von Tim Curry und David Ogden Stiers vertont werden.

Lloyd übernimmt die Rolle des Cartoonzeichners Drew Blanc (der in der deutschen Fassung "Mal Block" heißt), der nicht nur in einer Kreativkrise steckt, sondern auch noch zusammen mit seiner zynischen Kreation "Flux Wildly" in die Cartoonwelt "Cutopia" (dt. "Niedlingen") gesaugt wird. Der Weg zurück nach Hause ist gepflastert mit zum Teil völlig wahnwitzigen Begegnungen, aggressiven Eichhörnchen, wunderbar bizarren Figuren und natürlich, es handelt sich dabei ja immer noch um ein Point-n-Click-Adventure, vielen, vielen Rätseln. Die der abgefahrenen Thematik zum Trotz relativ entspannt sind und weniger Um-vier-Ecken-Denken voraussetzen, als man annehmen könnte.

"Toonstruck" ist folgerichtig (auch nicht zuletzt dank seiner sehr einfachen Bedienung) kein allzu anspruchsvolles Abenteuer, sondern vielmehr eines, das dazu einlädt, es einfach zu genießen, in der ebenso stilsicheren wie vollkommen bekloppten Cartoonwelt zu versinken und den abgefahrenen Humor zu feiern, der selbst in der etwas biederen deutschen Fassung noch gut funktioniert. Erhältlich bei GOG und bei Steam.

Toonstruck (1996) (9 Bilder)

Der zum Beispiel aus den "Zurück in die Zukunft"-Filmen bekannte Christopher Lloyd ist die einzige digitalisierte Figur im Spiel – alle anderen sind handgezeichnet.
(Bild: Burst Studio/EA)