Altern "moralisch schlecht": Innovatoren wollen eigenen Staat für Langlebigkeit

Seite 3: Zulassung für Anti-Aging-Medikament unwahrscheinlich

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Ein Teil des Problems besteht darin, dass das Altern selbst nicht als Krankheit anerkannt wird, die behandelt werden muss. Das macht es schwierig, eine Studie zu genehmigen. Gleichzeitig ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Langlebigkeitsmedikament zu diesem Zweck medizinisch zugelassen werden könnte.

Und selbst wenn das Altern als eine Krankheit anerkannt wird, wäre es unglaublich schwierig und teuer, nachzuweisen, dass eine Behandlung es verlangsamt oder gar umkehrt. Studienteilnehmer müssten jahrzehntelang überwacht werden. Die Alternative wäre die Verwendung von Biomarkern, die anzeigen, wie alt eine Person biologisch ist – oder die Verwendung sogenannter Aging Clocks. Anstatt zu warten, bis jemand an Altersschwäche stirbt, könnte man theoretisch regelmäßig Spucke- oder Blutproben nehmen und anhand bestimmter DNA-Marker den Alterungsgrad der Person abschätzen. Doch weder die noch Aging Clocks sind wirklich zuverlässig.

Daher könnte ein potenzielles Langlebigkeitsmedikament im derzeitigen Zulassungsumfeld zwar nachweislich die Lebensspanne von Mäusen verlängern, für Versuche am Menschen dann aber erst viele Jahre später zugelassen werden – wenn überhaupt. Und wenn man bedenkt, wie lange diese Versuche andauern könnten, weiß man nicht, wann – und wenn überhaupt – ein solches Medikament außerhalb von klinischen Versuchen für die Verbraucher verfügbar sein wird. "Mit einem Anti-Aging-Medikament kann man derzeit nicht auf den Markt kommen", sagt Christensen.

Eines der wichtigsten Merkmale des neuen Staatengebildes wäre, dass es Selbstversuche und Biohacking ermöglicht und möglicherweise sogar fördert. Das bedeutet, dass die Menschen experimentelle Medikamente ausprobieren können, deren Sicherheit und Wirksamkeit noch nicht erwiesen ist. StemMedical-Manager Christensen unterstützt diese Idee. "Ich bin da ultra-liberal... Wer bin ich, dass ich Sie daran hindern darf, ein Präparat auszuprobieren?", sagt er. "Wir sind alle erwachsen, und wenn Sie verstehen, was Sie da tun und sich des Risikos bewusst sind, dann machen Sie es einfach."

Die Zulassungsbehörden seien derzeit "zu restriktiv, was die Validierung der Wirksamkeit angeht", sagt auch Yuri Deigin, Mitbegründer und Direktor von Youth Bio, einem Biotech-Unternehmen, das versucht, verjüngende Gentherapien zu entwickeln. "Ich bin ja für die Validierung der Sicherheit neuartiger Therapien", sagt er. Aber er sei auch der Meinung, dass die Messlatte zu hoch liege, wenn es darum geht, zu beweisen, wie gut ein Medikament wirkt – und dass dies den Fortschritt behindert. "Ich denke, dass wir als Branche davon profitieren könnten, wenn wir den Menschen erlauben würden, neue Therapien frühzeitig auszuprobieren", sagt er.

Oliver Colville, ein Redner auf der Zuzalu-Konferenz, der bei Apeiron arbeitet, einer Gesellschaft, die in Biotech- und Technologieunternehmen investiert, findet die Idee eines Staates gut, in dem selbstexperimentierende Einwohner ihre Gesundheit überwachen lassen. "Wenn es einen solchen Staat der Langlebigkeit gäbe, in dem eine der Voraussetzungen der Bürgerrechte darin bestünde, dass man sich selbst als Versuchskaninchen für die gesundheitliche Überwachung zur Verfügung stellt." Das könne einen großen Beitrag zum Verständnis der Alterungsprozesse liefern.

Doch während Investoren, Ultra-Liberale und einige Biotech-Unternehmen die Idee unterstützen, sind nicht alle von der Abschaffung bestehender medizinischer Vorschriften begeistert. Die Chancen stünden sogar gut, dass dadurch der Fortschritt auf diesem Gebiet behindert wird, sagt Patricia Zettler, Rechtswissenschaftlerin an der Ohio State University.

"Die Anforderungen der US-Arzneimittelbehörde zwingen Einzelpersonen oder Unternehmen dazu, strenge wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, um nachzuweisen, dass ihre Behauptungen tatsächlich durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden", sagt sie. Ohne diese Vorschriften würden wir in einer Welt enden, in der die Unternehmen jede beliebige Behauptung über ihre Produkte aufstellen können, warnt sie. Wir wüssten nicht, welche Produkte funktionieren – und die Menschen könnten generell das Vertrauen in die Medizin verlieren.

"Sollten Unternehmen in der Lage sein, Produkte zu vertreiben, ohne den Nachweis dafür zu erbringen, dass sie für medizinische Zwecke geeignet sind?", fragt sie. "Meine Antwort lautet nein." Die Probleme, mit denen sich die Entwickler von Medikamenten gegen die Alterungsprozesse konfrontiert sehen, gehen ihrer Meinung nach weit über die Regulierung hinaus: "Das sind einfach schwierige wissenschaftliche und medizinische Herausforderungen."

Unternehmer Christensen räumt ein, dass eine Aufhebung der Vorschriften auch andere Probleme mit sich bringen könnte. "Wenn man die Messlatte [für die Nachweise] niedriger legt, ist die logische Schlussfolgerung, dass es mehr unerwünschte Ereignisse geben wird. Mehr potenzielle Todesfälle etwa", sagt er. Er weist auch darauf hin, dass ein Medikament, selbst wenn es im neuen Langlebigkeits-Staat eine Art Schnellverfahren durchlaufen hat, in anderen Ländern möglicherweise nicht akzeptiert wird – einschließlich der großen internationalen Akteure wie der EU.

Wo genau ein solcher Staat der Langlebigkeit entwickelt werden könnte, wird derzeit noch ausgearbeitet. Die Geldgeber, so schlägt Ion vor, könnten sich an den Gründern von Próspera orientieren – einer Krypto-Stadt, die in einer Sonderwirtschaftszone in Honduras errichtet wurde, um Unternehmen ein steuergünstiges Umfeld mit "innovationsfreundlichen" Vorschriften zu bieten. Die Organisatoren von Zuzalu haben schon Gespräche mit Politikern in Montenegro geführt, wo sie die Möglichkeit ausloten, ein ähnliches "langfristiges Zuhause" für Longevity-Fanatiker zu schaffen.

"Im Grunde genommen versuchen wir, die Menschen dazu zu bringen, proaktiv politisch zu handeln", sagt Experte Cheng. Die Politik eines Staates müsse immer auch zum Nutzen aller Bürger arbeiten – inklusive der Gerichtsbarkeit.

Er sprach auch die Möglichkeit an, einen solchen Ort in den USA zu gründen, da es dort viele Aktivisten und Biotech-Unternehmen gibt, die aber vielleicht nicht bereit sind, ins Ausland zu gehen. Konkret hat er den Bundesstaat Rhode Island ins Auge gefasst. Der liegt in der Nähe von Boston, einem gut etablierten Biotech-Zentrum. Und das Land hat eine kleine Bevölkerung. Wenn genügend Menschen, die daran glauben, dass man Alterungsprozesse stoppen kann, dorthin zögen, könnte man genügend Stimmen bekommen, um die Bürgermeister- und Staatenwahlen zu beeinflussen, sagt er. "Fünf- bis zehntausend Menschen – mehr brauchen wir nicht."

Aber die föderale Struktur könnte den Plan erschweren. "Kein Staat kann Bundesrecht aushebeln", sagt Rechtswissenschaftlerin Zettler. "Es ist nicht so, dass Rhode Island Einzelpersonen von den Anforderungen der US-Medikamentenaufsicht ausnehmen kann." Das ist ein Grund, warum andere Teilnehmer der Konferenz vorschlugen, den neuen Staat irgendwo in Lateinamerika anzusiedeln, etwa in Costa Rica. Einige planten, die Idee eines Staates der Langlebigkeit direkt mit dem Ministerpräsidenten von Montenegro zu besprechen, das bislang kein Teil der EU ist.

Wie auch immer die Sache ausgeht, Zuzalu ist auf jeden Fall eine faszinierende Veranstaltung. Youth Bio-Gründer Deigin sagt, dass es für ihn ein Höhepunkt war, "unter Menschen zu sein, die zum eigenen Stamm gehören". Ein anderer Teilnehmer, der bereits sechs Wochen dort war, verglich Zuzalu mit einer Religion. Die Organisatoren hoffen, in Zukunft weitere ähnliche Treffen zu planen. Ob sich daraus dann ein echter neuer Staat ergibt, bleibt abzuwarten.

(jle)