Audiostreaming für Hörgeschädigte: Warum Bluetooth LE seine Tücken hat

Beim Audiostreaming von Smartphones auf Hörgeräte und Cochlea-Implantate läuft es nicht immer reibungslos. Doch es gibt einen Lichtblick.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Enno Park
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Smartphone-App gewählt, Kopfhörer gekoppelt, Musik gestartet: Für Hörende geht das Audiostreaming übers Smartphone leicht von der Hand. Über Musikgenuss und Klangqualität muss man sich in der Regel keine großen Gedanken machen. Für Menschen mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten sieht das aber anders aus. Zwar lassen sich die Geräte per App steuern, und Audio aller Art streamt das Smartphone direkt auf die Hörhilfe. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail – und hier insbesondere in der Frage: Android oder iOS?

Normales Bluetooth verbraucht viel zu viel Energie, um sinnvoll mit Hörgeräten eingesetzt zu werden. Deshalb ist Apple auf die Idee gekommen, Bluetooth Low Energy (LE) fürs Audio-Streaming zweckzuentfremden. Eigentlich ist Bluetooth LE nur für das Übertragen kleiner Datenhäppchen gedacht und musste für Audiostreams angepasst werden. Ergebnis: Seit dem iPhone 6 lassen sich Hörgeräte mit den Geräten von Apple koppeln, allerdings nicht als Kopfhörer im Bluetooth-Menü sondern als Hörhilfe über den Menüpunkt "Bedienungshilfen". Kompatible Hörgeräte und Cochlea-Implantate tragen das "Made for iPhone"-Logo.

Android-Nutzer mussten sich einige Jahre länger gedulden, bis Google mit ASHA ("Audio Streaming for Hearing Aids") etwas vergleichbares ab Android 10 anbot. Ganz wie bei Apple handelt es sich um eine Zweckentfremdung von Bluetooth LE, bei der ein Hörgerät nicht als Bluetooth-Kopfhörer, sondern über den Menüpunkt Bedienungshilfen gekoppelt wird. Allerdings genügt es nicht, Android 10 auf dem Smartphone zu haben. Auch die Hardware, sprich: das Hörgerät, muss den Standard unterstützen, weshalb es nicht möglich ist, alte Smartphones einfach mit einem Update auf Android 10 Hörgeräte-tauglich zu machen. Ob ein bestimmtes Android- Smartphone mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten gekoppelt werden kann, ist leider ein wenig Glückssache, die ausprobiert werden muss. Informationen finden sich in den leider unvollständigen Listen einiger Hersteller und in entsprechenden Erfahrungsberichten, die Nutzer in Webforen hinterlassen haben.

Auf der sicheren Seite sind Android-Nutzer ab dem Pixel 3a. Ansonsten sind die High-End-Geräte von Samsung ab dem Galaxy S20 sowie einige Smartphones von OnePlus, Oppo und Xiaomi mit ASHA kompatibel – typischerweise aber nicht die preiswerten Modelle. Hörgeschädigte, die Android vorziehen, um freie Open-Source-Varianten davon auf ihrem Smartphone zu nutzen, dürften schnell enttäuscht sein. So funktioniert ein Google Pixel 3a von Haus aus einwandfrei in Verbindung mit einem Nucleus 7 von Cochlear. Installiert man darauf jedoch Lineage OS, etwa um wieder Sicherheitsupdates für das betagte Smartphone zu bekommen, lässt es sich nur noch mit einem Hörgerät gleichzeitig koppeln – also links oder rechts, aber kein Stereo. Was für Telefonate noch akzeptabel sein mag, macht spätestens beim Musikhören keinen Spaß. Außerdem besteht die "Nucleus Smart App" von Cochlear darauf, dass die originalen Google Play Services installiert sind, und lässt sich nicht mit deren Open-Source-Variante MicroG zufrieden stellen.

Doch macht es einen Unterschied, ob man Android oder iOS einsetzt, wenn einem solche Basteleien egal sind? Leider ja. Zwar scheint es bei der Klangqualität keine hörbaren Qualitätsunterschiede zu geben, allerdings bei der Verbindungsqualität. Audiostreaming über zweckentfremdetes Bluetooth LE ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit, die sehr leicht gestört werden kann. Da kann eine laufende Mikrowelle beim Kochen genügen oder die Oberleitung einer Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit.

Android und iOS reagieren auf diese Störungen unterschiedlich. Während es bei Android relativ schnell zu Verbindungsabbrüchen kommt, reagiert iOS zunächst mit einer Absenkung der Klangqualität. Offenbar kann der verwendete Audio-Codec flexibel mit einer niedrigeren Bitrate auf eine schlechte Verbindung reagieren. Im Extremfall klingen Stimmen dann mit iOS metallisch, sind aber noch zu verstehen, was für Telefonate und Podcasts ausreicht, bei Musik allerdings keinen Spaß mehr macht. Mit Android kommt es in solchen Fällen nicht zu einer Absenkung der Klangqualität, dafür aber zu einem Stakkato kurzer Unterbrechungen, das es unmöglich macht, sinnvoll ein Telefonat zu führen oder einen Podcast zu hören. Natürlich hängt es ein wenig von den Lebensumständen ab, wie oft es zu solchen Extremsituationen kommt. Wer regelmäßig Podcasts hörend beim Hantieren in der Küche eine Mikrowelle benutzt und unterwegs an Tram-Oberleitungen vorbeikommt, dürfte von Android sehr schnell ziemlich genervt sein und lieber ein iPhone benutzen.

Das könnte sich in naher Zukunft wieder ändern. Mit Bluetooth LE Audio hat die Bluetooth Special Interest Group einen Standard für Audiostreaming bei niedrigem Energieverbrauch vorgestellt, der bald Einzug in allerlei Smartphones, Kopfhörer und Hörgeräte halten wird. Damit sollte es dann möglich sein, Hörgeräte und Smartphones so einfach wie Kopfhörer zu koppeln, ohne sich über Inkompatibilitäten und Codec-Unterschiede zwischen iOS und Android Gedanken machen zu müssen – hoffentlich jedenfalls.

Testen lässt sich das Ganze allerdings noch nicht. Der neueste Klangprozessor Nucleus 8 von Cochlear kann bereits Bluetooth LE Audio, Google hat den Standard in Android 13 implementiert und im Laufe des Jahres sind auch die ersten Kopfhörer zu erwarten. Aber derzeit gibt es noch kein passendes Smartphone – weder mit iOS noch mit Android. Wem die Krankenversicherung ein Nucleus 8 oder mit Bluetooth LE Audio kompatibles Hörgerät erstattet, darf sich jedenfalls glücklich schätzen. Die meisten Hörgeschädigten werden noch einige Jahre mit den alten Geräten und Lösungen vorliebnehmen müssen.

(jle)