Auf Augenhöhe mit einem Chatbot

Wäre es zufriedenstellender, beim Online-Banking in die Augen eines Avatars zu blicken und zu wissen, dass der Service-Chatbot den Frust des Kunden über die Überziehungsgebühren auch bemerkt?

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Tom Simonite

Mark Sagar, der bereits für innovative digitale Animationstechniken in Filmen wie "Avatar" und "King Kong" mit einem Technik-Award der amerikanischen Filmakademie ausgezeichnet wurde, glaubt an lebensechte Chatbots.

Als außerordentlicher Professor der neuseeländischen University of Auckland und Chef des Start-ups Soul Machines entwickelt er ausdrucksstarke digitale Gesichter für Kundenbetreuungssysteme. Für den Computerwissenschaftler machen sie die Bots nützlicher und überzeugender: Ähnlich wie es eine Kommunikation bereichert, wenn man jemanden persönlich trifft und nicht nur Textnachrichten mit ihm austauscht. "Es ist viel einfacher, mit einem komplexen System von Angesicht zu Angesicht zu interagieren", sagt Sagar.

Das erste Produkt von Soul Machines ist ein Assistent namens Nadia für das National Disability Insurance Scheme (NDIS) der australischen Regierung. Die Stimme des Avatars stammt von der australischen Schauspielerin Cate Blanchett, und die Inhalte liefert die IBM-Software Watson. Betroffene haben bei der Ausgestaltung mitgearbeitet, um sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Der Chatbot kann sowohl sprechen als auch schreiben.

Vor der endgültigen Inbetriebnahme wird er in einem einjährigen Probelauf über das Angebot des staatlichen Versicherungssystems für Behinderte informieren. Der virtuelle Online-Assistent kann schon jetzt Tausende Fragen verstehen, die ihm in schlichtem Englisch gestellt werden. Er antwortet in ebenso klaren, einfach verständlichen Sätzen. Den Betreibern zufolge soll sich Nadia aber auf der Basis ihrer Erfahrungen weiter-entwickeln und mit der Zeit immer komplexere Anfragen beantworten können.

"Je mehr Interaktionen sie mit Menschen hat, desto größer wird ihr Wissen werden", sagt Louise Glanville, stellvertretende NDIS-Geschäftsführerin. Als Adressaten für den Dienst kommen rund 500.000 Australier mit einer Behinderung infrage, die eventuell nicht in der Lage sind, bürokratische Prozeduren zu absolvieren, eine Computertastatur zu bedienen oder einen Schriftverkehr zu führen.

Für die Bewegungen der digitalen Gesichter simuliert Soul Machines die Anatomie und Mechanik des mensch-lichen Antlitzes. Den Ausgangspunkt bilden detaillierte physiologische Modelle. Außerdem kann Nadia über die Frontkamera die Mimik der Person lesen, die zu ihr spricht.

Der Avatar lässt sich sogar so programmieren, dass er auf den Gesichtsausdruck des Gegenübers mit seiner eigenen künstlichen Mimik reagiert und so die Illusion von Empathie entsteht. Denn laut Sagars Einschätzung sind Nutzer, die mit einer Art menschlichem Gegenüber sprechen, wahrscheinlich mitteilsamer. Außerdem verrate ihre Mimik dem Betreiber, was den Kunden ärgere oder verwirre. (bsc)