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Aus Schweinehaut gewonnen: Gezüchtete Hornhaut kann Blinde wieder sehend machen​

Rhiannon Williams

(Bild: Thor Balkhed / Linköping University)

Die aus dem Schweinehautprotein hergestellten Implantate sind leichter einzusetzen, erschwinglicher und länger haltbar als gespendete Hornhaut-Transplantate.​

Eine biotechnologisch hergestellte Hornhaut hat das Sehvermögen von Menschen mit eingeschränkter Sehkraft und auch von Blinden wiederhergestellt. Das schreiben Forschen von der schwedischen Universität Linköping im Fachjournal "Nature Biotechnology".

Das Hornhautimplantat besteht aus dem Protein Kollagen und wird aus Schweinehaut gewonnen [1]. Schweinehaut hat eine ähnliche Struktur wie die menschliche Haut. Die Kollagenmoleküle wurden gereinigt, um sicherzustellen, dass keine tierischen Gewebe oder biologischen Bestandteile daran zurückbleiben. Anschließend stabilisierten die Forscher die losen Moleküle zu einem Hydrogelgerüst, das die menschliche Hornhaut nachahmt und robust genug ist, um in ein Auge implantiert zu werden.

Chirurgen im Iran und in Indien setzten die Implantate in einer Pilotstudie 20 Patienten ein, die aufgrund eines fortgeschrittenen Keratokonus entweder blind waren oder kurz davorstanden, ihr Augenlicht zu verlieren. Diese Krankheit verdünnt die Hornhaut, die äußerste transparente Schicht des Auges, und lässt sie sich kegelförmig hervorwölben. Dadurch kann das Auge nicht mehr richtig fokussieren.

Die Hornhaut hilft, die Lichtstrahlen auf die Netzhaut im hinteren Teil des Auges zu bündeln, und schützt das Auge vor Schmutz und Keimen. Wenn sie durch eine Infektion oder Verletzung beschädigt ist, kann sie verhindern, dass das Licht die Netzhaut erreicht, so dass es schwierig wird, zu sehen.

Hornhautblindheit ist ein großes Problem: Schätzungsweise 12,7 Millionen Menschen sind davon betroffen, und die Zahl der Fälle steigt jedes Jahr um etwa eine Million. Im Iran, in Indien, China und in verschiedenen afrikanischen Ländern ist die Zahl der Hornhautblinden und insbesondere der Keratokonusfälle besonders hoch.

Die Implantate stellten die Dicke und korrekte Krümmung der Hornhaut wieder her, berichten die Wissenschaftler. Alle 14 Studienteilnehmer, die vor der Operation blind waren, erhielten ihre Sehkraft zurück. Drei von ihnen erreichten sogar die volle Sehschärfe von 20/20 nach dem Snellen-Index.

Während menschliche Hornhauttransplantate bei Patienten mit Keratokonus traditionell eingenäht werden, experimentierte das Team mit einer neuen chirurgischen Methode, die einfacher und potenziell sicherer ist. Die Chirurgen machten zuerst mit einem Laser einen Schnitt in der Mitte der bestehenden Hornhaut und setzten dann das Implantat ein. Dadurch heilte die Wunde schneller und entzündete sich anschließend kaum oder gar nicht. Folglich mussten die Patienten nur acht Wochen lang das Immunsystem unterdrückende Augentropfen einnehmen. Empfänger herkömmlicher Transplantate müssen dagegen in der Regel mindestens ein Jahr lang Immunsuppressiva einnehmen.

Als unerwarteten Bonus veränderte das Implantat die Form der Hornhaut so weit, dass die Empfänger Kontaktlinsen tragen konnten, um die bestmögliche Sehschärfe zu erreichen. Zuvor hatten sie diese nicht vertragen.

Die gezüchtete Hornhaut könnte vor allem Menschen in Ländern, in denen menschliche Hornhauttransplantate knapp sind, ihr Augenlicht zurückgeben – und das zu einem geringeren Preis. Die mit zwei Jahren recht lange Lagerbarkeit dürfte zudem mehr Menschen den Zugang zu den Implantaten erleichtern. Natürliche Transplantate müssen ungleich schneller, nämlich innerhalb von zwei Wochen eingesetzt werden.

Da es sich bei der Schweinehaut um ein Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie handelt, dürfte die Verwendung dieses biotechnologisch hergestellten Implantats nur einen Bruchteil der Kosten für die Transplantation einer menschlichen Spenderhornhaut betragen, so Neil Lagali vom Fachbereich Biomedizinische und Klinische Wissenschaften der Universität Linköping und einer der Studienleiter. "Es wird sogar für Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen erschwinglich sein", sagte er. "Die Kostenersparnis ist viel größer als bei der traditionellen Hornhauttransplantation, die heute durchgeführt wird."

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Das Team hofft, als nächsten Schritt eine größere klinische Studie mit mindestens 100 Patienten in Europa und den USA durchführen zu können. In der Zwischenzeit soll das Zulassungsverfahren bei der FDA eingeleitet werden.

Das Implantat hat sich bei der Behandlung von Keratokonus als wirksam erwiesen, doch den Forschern zufolge könnte es auch bei der Behandlung anderer Augenkrankheiten helfen – darunter Hornhautdystrophien, also Fehlbildungen, und Narbenbildung infolge von Infektionen oder Traumata. Um das zu bestätigen, sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich.

Obwohl der Mangel an Hornhautspendern in den westlichen Ländern nicht so groß ist wie in den Entwicklungsländern, könnte das Implantat auch dazu beitragen, die Wartelisten in den reicheren Ländern zu verkürzen, sagte Mehrdad Rafat von der Universität Linköping, der die Implantate entwickelt hat. "Wir denken, dass es in den Industrieländern zu einem höheren Preis verkauft werden könnte, um die Produktionskosten auszugleichen, so dass wir die Arbeit an anderen Augenkrankheiten fortsetzen können", sagt der Forscher. "Wir sind da sehr optimistisch."

(jle [3])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7223519

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nature.com/articles/s41587-022-01408-w
[2] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[3] mailto:jle@heise.de